Maske,1988 in Seoul Olympiasieger im Boxen, über seine Begeisterung für Sommerspiele, Hamburgs Chancen und die Einbindung von Kritikern.

Henry Maskes olympischer Traum begann, als er im Alter von 13 Jahren bei der Spartakiade in Leipzig in die Sportstätte einmarschierte. „So muss Olympia sein“, dachte der junge Boxer. Dass es dann doch ganz anders ist, erlebte Maske elf Jahre später, als er in Seoul 1988 für die DDR die Goldmedaille im Mittelgewicht gewann. Im Interview mit dem Abendblatt schildert der 51-Jährige, was die Spiele so besonders macht, warum er jedem Deutschen diese Erfahrung wünscht und was zu tun ist, um sie machen zu dürfen.

Hamburger Abendblatt: Herr Maske, Sie sitzen hier im Herzen von Hamburg, nicht weit vom geplanten Olympiazentrum entfernt. Was sagt Ihr Bauchgefühl: Wird diese Stadt 2024 Gastgeber für Olympische Spiele sein?

Henry Maske: Ein solches Bauchgefühl habe ich nicht, weder positiv noch negativ. Aber mein Kopf sagt mir, dass Hamburg eine sehr realistische Chance haben wird. Jeder, der diese Stadt kennt oder kennenlernt, der weiß, wie wunderschön sie ist. Hamburg bringt diese Offenheit mit, die es braucht, um die Welt zu empfangen, nicht umsonst ist hier das Tor zur Welt. Dennoch muss allen klar sein, dass das nicht reicht, um das Internationale Olympische Komitee zu überzeugen. Dafür braucht es ein tragfähiges Konzept. Und auch da denke ich, dass Hamburg mit seiner Vision von kompakten, nachhaltigen Spielen mithalten kann. Die Idee der kurzen Wege ist perfekt für die Sportler.

Vielen Menschen graut vor den Kosten, die auf die Stadt zukommen. Sind Olympische Spiele in Ländern mit demokratischen Strukturen heute überhaupt noch durchzuführen?

Maske: Selbstverständlich muss man die Verteilung von Einnahmen hinterfragen, und auch den Fakt, dass sich immer weniger Städte aus demokratischen Ländern bewerben. Diese Kritik muss das IOC zulassen, und ich finde, dass es darauf auch mit der Agenda 2020 schon reagiert hat. Es gibt, wenn man Olympische Spiele will, keine Alternative dazu, dem IOC unter dem neuen Präsidenten Thomas Bach Vertrauen zu schenken. Aber etwas anderes ist wichtiger. Ich habe das Gefühl, dass in Hamburg die Bürger ernst genommen und in alle Prozesse eingebunden werden. Nur so können die Menschen wirklich erleben, wie es ist, mittendrin zu sein statt nur dabei. Deshalb bin ich überzeugt davon, dass die Hamburger eher die Chancen sehen als die Probleme. 2024 würde die ganze Stadt stolz darauf sein, Gastgeber für Olympische Spiele sein zu dürfen.

Es wird viel über Kosten und In­frastruktur, über Stadtentwicklung und die Visionen für Hamburg nach den Spielen gesprochen. Dabei wird bisweilen vergessen, dass Olympia eigentlich mal ein Sportfest war. Wie bringt man wieder Feuer und Flamme für den Sport in die Herzen der Menschen?

Maske: Ich glaube, dass es dazugehört, mit den befürchteten Belastungen und auch den erhofften Profiten maßvoll umzugehen und beides in die nötige Perspektive zu setzen, weil ich überzeugt davon bin, dass die Menschen dann am Ende die Schwierigkeiten in einem viel positiveren Licht sehen. Die Emotionen für den Sport kommen dann von ganz allein.

Beschreiben Sie doch bitte einmal, was Olympische Spiele in Ihrem Leben bewirkt haben.

Maske: Ich habe als 13 Jahre alter Spartakiade-Teilnehmer zum ersten Mal davon geträumt, Olympia als Athlet erleben zu dürfen. 1984 in Los Angeles hätte ich es geschafft, wenn der Ostblock die Spiele nicht boykottiert hätte. Als ich 1988 in Seoul dann tatsächlich dabei war, da war ich einfach nur überwältigt. Noch heute habe ich Gänsehaut, wenn ich an diese Momente denke. Dass ich meine einzige Teilnahme auch noch mit der Goldmedaille krönen konnte, war für mich das Größte. Mehr als einen Olympiasieg kann ein Athlet sich nicht wünschen. Diese Medaille ist heilig für mich. Ich bewahre sie zu Hause in einem Safe auf und kann nicht verstehen, dass es Sportler gibt, die nicht mehr wissen, wo ihre Medaille ist.

Wie haben Sie denn die Atmosphäre in der Gastgeberstadt erlebt?

Maske: Leider habe ich weder andere Wettkämpfe angeschaut noch viel von Seoul gesehen. Als Boxer ist man zwar, wenn man das Finale erreicht, von Beginn der Spiele bis zum Ende vor Ort, aber man muss ständig auf sein Gewicht achten, trainieren, kämpfen oder ruhen. Was mich aber nachhaltig beeindruckt hat, war die Mensa. Dort mit Sportlern aus aller Welt zu essen, die Stars zu sehen, die ich nur aus dem Fernsehen kannte, das war unglaublich. Ich habe dort oft Stunden verbracht und alles in mich aufgesogen. Und ich wusste schon damals: Das wirst du dein Leben lang nicht mehr vergessen.

Viele Athleten sagen, dass man die ersten Spiele wie in Trance erlebt und erst die zweiten genießen kann. Sind Sie traurig, dass Sie diese Chance nicht hatten?

Maske: Ich hätte das schon gern erlebt, keine Frage. Mein Plan war ja eigentlich, nach den Spielen 1992 in Barcelona mit dem Boxen aufzuhören, weil ich mir nicht vorstellen konnte, mit über 30 noch im Ring zu stehen. Dass es dann ganz anders kam, war letztlich aber auch okay (Maske wurde nach der Wiedervereinigung Profi, war von 1993 bis 1996 IBF-Weltmeister im Halbschwergewicht, d. Red.). Ich habe mit Olympia abgeschlossen, nachdem ich die in der DDR übliche Belobigungsreise, eine Kreuzfahrt im Mittelmeer und ein Strandurlaub in Tunesien, mitgemacht hatte. Ich habe diese Reise total genossen, fand es großartig, in Ruhe Zeit mit anderen Athleten zu verbringen. Als ich vom Schiff kam, wog ich 84 Kilo anstatt die 75, die mein Kampfgewicht waren.

Haben Sie danach je wieder Olympische Spiele live erlebt?

Maske: Leider war ich nie als Zuschauer dort. Aber vor dem Fernseher fiebere ich immer mit. Das war schon früher so, als wir nur einen Fernseher in der Familie hatten, da haben sich alle davor versammelt und jede Sportübertragung geschaut, die kam. Ich liebe das, denn Sport lebt von diesen Emotionen, die er transportiert. Davon, dass er nicht planbar ist. So etwas gibt es doch sonst nur in Hollywood. Und ich kann mich aufgrund meiner eigenen Erfahrungen perfekt in die Athleten hineinversetzen.

Sie hatten das Glück – und das Können -, bei Olympia sehr erfolgreich zu sein. Viele deutsche Athleten klagen darüber, dass ihnen im Vergleich zu vielen anderen Nationen die nötige finanzielle und ideelle Unterstützung fehlt, um Topleistung zu bringen. Sehen Sie dieses Problem auch?

Maske: Das sehe ich definitiv. Deutschland ist eine perfektionistische Nation, aber auch stolz und begeisterungs­fähig. Wenn wir etwas anpacken, wollen wir erfolgreich sein. Dafür muss man aber auch bereit sein, hart zu arbeiten, Leistungswillen zu zeigen. Den vermisse ich manchmal. Genauso muss aber auch gewährleistet sein, dass die Athleten sich auf ihren Sport konzentrieren können. Man muss das Gefühl haben, es schaffen zu können, ohne Nachteile davon zu haben. Da fehlt mir eine breite Front an Unterstützung aus der Wirtschaft und der Gesellschaft. Ich finde, dass die integrative Kraft, die der Sport hat, oft nicht ausreichend gewürdigt wird.

Dabei ist das Thema Integration gerade aktueller denn je. Verstehen Sie, dass Menschen angesichts der Flüchtlingsströme kein Verständnis dafür haben, dass Milliarden Euro in Olympische Spiele investiert werden sollen?

Maske: Ich halte diese Gedanken für absolut berechtigt, und man muss in diesen Dingen ehrlich sein. Gefühlt wollen wir allen Flüchtlingen helfen, aber keiner weiß, wie das gelingen soll. Einfach nur zu sagen, wir schaffen das, reicht nicht. Deshalb sage ich: Wir werden nicht so weiterleben können wie bisher. Aber wir können es schaffen, wenn wir es wirklich wollen, und wenn wir uns vor Augen führen, dass die Menschen, die die beiden Weltkriege erleben mussten, über viele Dinge, die heute als Problem angesehen werden, lachen würden. Diesen Spirit müssen wir wieder aufleben lassen!

Kann Zuwanderung nicht auch eine Chance für den Sport sein und damit gerade ein Pluspunkt für Olympia?

Maske: Genau das müssen wir den Menschen erklären. Dass man diese beiden Themen nicht gegeneinander aufwiegen sollte, sondern den gemeinsamen Nenner finden kann. Zuwanderung ist nicht nur für den Sport eine Chance, sondern für das ganze Land. Als Unternehmer weiß ich, dass wir kürzlich noch darüber diskutiert haben, dass uns Arbeitskräfte fehlen. Nun kommen sie von selbst, und das müssen wir nutzen. Wichtig ist nur, dass man von Anfang an klarmacht, dass sich niemand daran gewöhnen darf, dass es in Deutschland auch ohne Anstrengung möglich ist, ein gutes Leben zu führen.

Hamburg würde 2024 olympische Heimspiele erleben, dennoch ist die Bewerbung eine nationale Angelegenheit. Wird sie derzeit als solche begriffen?

Maske: Nein, aber man darf auch nicht vergessen, dass wir noch am Anfang stehen. Erst wenn das Referendum positiv ausgegangen ist, wird ganz Deutschland in diese Bewerbung eingebunden. Dann aber müssen wir jeden Stein anheben, alle Gewohnheiten hinterfragen und schauen, wie wir alle gemeinsam noch besser werden können. Die ganzheit­liche Qualität entscheidet, und wenn wir sehen, dass irgendjemand auf der Welt besser ist als wir, dann müssen wir uns daran orientieren und noch härter arbeiten. Ich glaube aber, dass unsere Chancen nicht besser sein könnten als jetzt, mit einem deutschen IOC-Chef am Ruder.

Wenn man Sie so hört, fragt man sich, warum Sie nicht längst als Botschafter für die Hamburger Bewerbung arbeiten. Stünden Sie dafür bereit?

Maske: Noch hat mich niemand darauf angesprochen, und ich werde mich darum auch nicht reißen. Aber wenn Hamburg sich tatsächlich bewirbt und glaubt, dass ich helfen könnte, und alle anderen Parameter geklärt sind, ist es mehr als eine Überlegung wert.