Hamburg. 7000 Flüchtlinge kamen binnen drei Wochen in die Stadt. Senat kauft eilig neue Flächen. Gewalt in Unterkünften eskaliert.

Der Senat hat sich in der sich verschärfenden Flüchtlingskrise etwas Zeit verschafft. Kurz vor Mitternacht konnten am Mittwochabend etwa 400 Flüchtlinge noch im Hamburg-Haus in Eimsbüttel und einer Schule in Wilhelmsburg einquartiert und so ihre Obdachlosigkeit verhindert werden. Viele der Schutzsuchenden hatten zuvor eine Nacht im Freien verbringen müssen, weil alle Schlafplätze belegt waren. Noch am Donnerstagabend sollte außerdem eine weitere Unterkunft in einer ehemaligen Tennishalle in Niendorf entstehen.

„Der Ansturm und der Druck sind ungebrochen“, sagte Björn Domroese, Sprecher der Innenbehörde. Auch am Donnerstag kamen binnen 24 Stunden mehr als 400 Flüchtlinge in Hamburg an. Allein in den ersten drei Septemberwochen hatten die Behörden zuvor 6948 Schutzsuchende registriert – im gesamten bisherigen Rekordmonat August waren es 6676 gewesen. Das ergab eine Kleine Anfrage der CDU-Abgeordneten Karin Prien an den Senat.

Neumann rechtfertigt Aufbruch der Tennishalle

Am Donnerstagnachmittag wurde nun der Kauf einer leerstehenden Tennishalle an der Papenreye in Niendorf besiegelt, bis zu 500 Flüchtlinge sollen dort einziehen. Feuerwehrleute hatten die Halle in der dramatischen Situation am Mittwoch auf Anordnung der Innenbehörde aufgebrochen. Innensenator Michael Neumann (SPD) begründete den Schritt am Donnerstag in der Bürgerschaft damit, dass man sich mit dem Eigentümer zwar bereits handelseinig war, aber ihn am Mittwoch nicht erreichen konnte.

Kommentar: Zusammenhalten in der Flüchtlingskrise!

„Wenn ich vor der Alternative stehe, 400 Menschen bei den Temperaturen draußen vor der Tür stehen zu lassen oder sich Zugang zu dieser Halle zu verschaffen, war meine Entscheidung völlig klar“, sagte Neumann. Der Eigentümer sei „mit allem einverstanden, was gestern passiert ist“. Neumann verteidigte seine Entscheidung: „Ich würde sie wieder so treffen. Und ich kann Ihnen versprechen: Ich werde auch in den nächsten Tagen und Wochen, sollte es nötig sein, solche Entscheidungen treffen.“ Die CDU-Abgeordnete Prien warf dem Senator eine „beispiellose Missachtung des Parlaments“ vor, weil er den Vorgang am Vortag in der Bürgerschaft nicht erwähnt hatte.

Flüchtlinge ziehen in Tennishalle

Am Donnerstagnachmittag wurde der Kauf der Tennishalle in Niendorf beschlossen
Am Donnerstagnachmittag wurde der Kauf der Tennishalle in Niendorf beschlossen © HA | TV Newskontor
Etwa 500 Flüchtlinge sollen hier einziehen
Etwa 500 Flüchtlinge sollen hier einziehen © HA | TV Newskontor
Die Flüchtlinge sollen nur vorläufig einziehen
Die Flüchtlinge sollen nur vorläufig einziehen © HA | TV Newskontor
In der vergangenen Nacht konnten bereits die ersten Flüchtlinge die Straße verlassen und in der Halle unterkommen
In der vergangenen Nacht konnten bereits die ersten Flüchtlinge die Straße verlassen und in der Halle unterkommen © HA | TV Newskontor
Zuvor musste die Tennishalle noch ausgerüstet werden
Zuvor musste die Tennishalle noch ausgerüstet werden © HA | TV Newskontor
„Wenn ich vor der Alternative stehe, 400 Menschen bei den Temperaturen draußen vor der Tür stehen zu lassen oder sich Zugang zu dieser Halle zu verschaffen, war meine Entscheidung völlig klar“, sagte Innensenator Neumann
„Wenn ich vor der Alternative stehe, 400 Menschen bei den Temperaturen draußen vor der Tür stehen zu lassen oder sich Zugang zu dieser Halle zu verschaffen, war meine Entscheidung völlig klar“, sagte Innensenator Neumann © HA | TV Newskontor
Der Aufbau der Betten in der Tennishalle in Niendorf
Der Aufbau der Betten in der Tennishalle in Niendorf © HA | TV Newskontor
Der Aufbau der Betten in der Tennishalle in Niendorf
Der Aufbau der Betten in der Tennishalle in Niendorf © HA | TV Newskontor
Der Aufbau der Betten in der Tennishalle in Niendorf
Der Aufbau der Betten in der Tennishalle in Niendorf © HA | TV Newskontor
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Praktiker-Markthalle kostet 2,5 Millionen

Wie das Abendblatt erfuhr, kauft die Stadt neben der Tennishalle auch den leer stehenden Praktiker-Markt am Hellmesbergerweg 23 im Rahlstedter Ortsteil Meiendorf für 2,5 Millionen Euro. Damit solle dem „kurzfristigen hohen Bedarf für die Unterbringung von Flüchtlingen“ begegnet werden, heißt es in einer in der vorvergangenen Woche unterzeichneten Verfügung aus der Finanzbehörde.

Das Grundstück an der Stadtgrenze hat eine Fläche von rund 10.000 Quadratmetern und ist nahezu vollständig versiegelt, der Parkplatz neben den Hallen ist asphaltiert und für die Aufstellung zusätzlicher Container geeignet. „Es erscheint sinnvoll, dort sowohl die Hallenfläche als auch den Außenbereich zu nutzen“, heißt es aus dem Senatsumfeld. Der Kaufvertrag soll bis Mitte Oktober beurkundet werden.

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Der Senat könnte in Zukunft auch Gewerbeimmobilien gegen den Willen von Eigentümern für die Unterbringung von Flüchtlingen in Beschlag nehmen. Am späten Donnerstagabend beschloss die Bürgerschaft auf Betreiben von SPD und Grünen ein entsprechendes Gesetz. Im Visier sind vor allem leer stehende Hallen. „Wie wichtig dieses Gesetz ist, haben die vergangenen Tage gezeigt“, sagte Dirk Kienscherf (SPD).

Gewalt in Unterkünften eskaliert

Auch in den bestehenden Flüchtlingscamps spitzt sich die Lage zu. Vor einer Unterkunft am Bargkoppelstieg 10 gegenüber der Metro in Rahlstedt hatte sich der Streit zwischen zwei Bewohnern um den Diebstahl eines Handys entzündet. Mehrere Bewohner solidarisierten sich mit den Streithähnen und gingen mit Besenstilen und Holzlatten aufeinander los. 30 Polizisten rückten an und beruhigten die Situation. Sie nahmen den mutmaßlichen Dieb und vier weitere Beteiligte fest.

Kurz nach Mitternacht kam es auch in der Unterkunft in der Max-Bahr-Halle in der Kurt-A.-Körber-Chaussee in Bergedorf zu einer Massenschlägerei: Flüchtlinge gingen laut Augenzeugen mit Eisenstangen, Bettpfosten und weiterem Mobiliar aufeinander los. Drei Bewohner, ein Afghane, 16, und zwei 16 und 18 Jahre alte Syrer sowie ein Mitarbeiter, 53, des Sicherheitsdienstes, waren offenbar in Streit um die Nutzung der Duschräume in Streit geraten und trugen Platzwunden davon. Um 3 Uhr in der Früh drohte die Lage erneut zu eskalieren. Am Donnerstagnachmittag führte die Polizei zahlreiche Gespräche. 120 Personen sollen so bald wie möglich in andere Unterkünfte verlegt werden.