Hamburg. Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan verlangt in einem Brief Aufklärung und bringt „rigorose Maßnahmen“ ins Spiel.

Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) hat einen Brandbrief an die Unternehmensvorstände der großen deutschen Automobilhersteller geschrieben. Darin fordert er angesichts des VW-Abgas-Skandals rasche Aufklärung über die Emissionen ihrer Fahrzeuge – und droht mit verkehrs­beschränkenden Maßnahmen, falls die Unternehmen nicht kooperieren.

„Mit wachsender Besorgnis habe ich die Berichte über Manipulationen bei Abgastests von Dieselfahrzeugen in den USA zur Kenntnis genommen“, heißt es in dem Schreiben, das an die Vorstände von Audi, BMW, Daimler, Ford, Opel, Porsche und VW verschickt wurde und dem Abendblatt vorliegt. Als Umweltsenator habe er „Maßnahmen zu ergreifen, um die Luftbelastung mit Schadstoffen aus Gründen des Klima- und Gesundheitsschutzes wirksam zu minimieren“, so Kerstan. „Hier stehen nicht zuletzt die von Dieselfahrzeugen ausgehenden Stickstoffoxide (NOx) im Fokus der Betrachtung. Leider muss ich feststellen, dass die Emissionen von NOx aus dem Verkehrs­bereich in Hamburg auf einem unverträglich hohen Niveau geblieben sind.“

Rückrufaktionen in der Autobranche

September 2015

FIAT CHRYSLER muss in Nordamerika gut 1,7 Millionen Fahrzeuge wegen technischer Mängel in die Werkstätten beordern. Grund sind Fehler am Lenkrad und Probleme mit Airbags.

August 2015

Wegen Airbag-Problemen ruft VOLKSWAGEN in den USA 420 000 Autos zurück. Schwierigkeiten mit einer Feder am Lenkrad könnten dazu führen, dass der Airbag bei einem Unfall nicht auslöst.

Juli 2015

CHRYSLER ruft in den USA 1,4 Millionen Wagen wegen einer Sicherheitslücke zurück, die zwei Hacker aufgedeckt hatten. Durch fehlerhafte Software könnten Autos aus der Ferne manipuliert werden.

Mai 2015

Der japanische Airbag-Hersteller TAKATA gibt Gefahren bei insgesamt 33,8 Millionen Fahrzeugen zu und läutet damit die bis dahin größte Rückrufaktion der US-Autoindustrie ein.

April 2015

Der japanische Kleinwagenspezialist SUZUKI MOTOR ruft rund zwei Millionen Autos in die Werkstätten zurück, die meisten davon in Japan. Grund sind mögliche Defekte bei Zündschlössern.

März 2014

GENERAL MOTORS weitet die Rückrufaktion wegen Problemen an Zündschlössern aus. Betroffen sind mittlerweile rund 2,6 Millionen Fahrzeuge. Sie wurden meist in den USA und Kanada verkauft. Der Konzern muss sich für mindestens 13 Tote und 31 Unfälle verantworten.

November 2013

VOLKSWAGEN holt über 2,6 Millionen Autos in die Werkstätten. Weltweit gibt es Qualitätsprobleme. Im selben Monat treten wegen diverser Rückrufaktionen des südkoreanischen Autobauers HYUNDAI drei Manager dieses Unternehmens zurück.

Juni 2013

CHRYSLER startet einen massenhaften Rückruf in den USA. Die Verkehrssicherheitsbehörde hatte gefordert, 2,7 Millionen ältere Jeep Grand Cherokee und Jeep Liberty zu prüfen - Tanks könnten bersten, wenn die Geländewagen gerammt würden.

Oktober 2012

Fast 7,5 Millionen Autos weltweit ruft TOYOTA wegen Problemen mit elektrischen Fensterhebern zurück.

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Daher wende er sich mich mit „folgenden einfachen, aber dringenden Bitten“ an die Unternehmen, schreibt Kerstan : „Bitte bestätigen Sie mir, dass die von Ihnen produzierten und vertriebenen Fahrzeuge nicht nur im vorgeschriebenen Testzyklus, sondern auch im realen Fahrbetrieb die gesetzlich normierten Grenzwerte einhalten. Wenn dies auch bei spritsparender Fahrweise nicht der Fall sein sollte, muss ich Sie dringend auffordern, einen verbindlichen Zeitplan zur Heilung dieser Grenzwertverfehlungen aufzuzeigen.“

Zudem sollten die Firmen-Vorstände bestätigen, „dass in den in Deutschland zirkulierenden Fahrzeugen keinerlei Vorrichtungen enthalten sind, die eine Abschaltung von Emissionsminderungstechnik entweder automatisch per Software oder manuell-manipulativ erlauben“, so Kerstan. Sofern solche „Einrichtungen hier Anwendung gefunden haben, muss ich Sie dringend auffordern, entsprechende Fahrzeuge sofort zurückzurufen, um diese Mängel zu beheben“.

Hamburg stehe vor der Aufgabe, seinen Luftreinhalteplan fortzuschreiben, so Kerstan auch mit Blick auf das laufende EU-Verfahren gegen Deutschland und Hamburg wegen jahrelanger Überschreitung der Grenzwerte bei den giftigen Stickoxiden. „Ihre Antworten stellen für mich eine entscheidende Grundlage für die Festlegung der Maßnahmen dar, die erforderlich sind, damit die Luftverschmutzung durch verkehrsbedingte Emissionen auf das ge- setzlich zulässige Maß zurückgeführt werden kann.“

Dieser Satz lässt sich getrost als Drohung lesen – nach dem Motto: Wenn die Autofirmen sich nicht an Normen und Absprachen halten, muss Hamburg eben andere Maßnahmen ergreifen, um seine Luftqualität zu verbessern. Diskutiert werden dabei seit Jahren eine Umweltzone, eine City-Maut oder partielle Fahrverbote.

Noch deutlicher wird Kerstan mit Blick auf die Olympiabewerbung der Hansestadt. Im Rahmen der Bewerbung fordere das Internationale Olympische Komitee (IOC) „von den Bewerberstädten detaillierte Informationen zur Einhaltung der Luftqualität“, so Kerstan. Dabei nehme das IOC Bezug auf die Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation, „die – wie Sie sicherlich wissen – noch strenger sind, als die derzeit geltende Rechtssetzung der EU dies erfordert“, schreibt der Umweltsenator. „Es wäre daher sicher in unserem gemeinsamen Interesse, wenn Hamburg sich nicht gezwungen sehen müsste, zu sehr rigorosen ordnungspolitischen Maßnahmen greifen zu müssen, um im Olympiajahr 2024 glaubhaft eine deutliche Verbesserung der Schadstoffwerte zu erreichen.“

Sollten die Autohersteller nicht zügig reagieren, will die Umweltbehörde sich nicht nur in Hamburg, sondern auch bundesweit für ein schärferes Vorgehen einsetzen. „Wir bereiten zur Umweltministerkonferenz im November einen Antrag zum Thema vor“, sagte Kerstan am Freitag.