Hamburg. Der Juwelier hat aus einem Traditionsunternehmen eine weltumspannende Kette mit Niederlassungen in New York und Paris gemacht.
Mechanische Uhren üben noch immer eine gewaltige Faszination auf Hellmut Wempe aus. Das hat nicht nur mit der hohen Handwerkskunst zu tun, die in einem der Meisterwerke aus der Schweiz oder aus dem eigenen Werk in Glashütte steckt. „In Uhren ist doch das wertvollste enthalten, was wir besitzen – die Zeit“, sagt der 83-Jährige. Es ist ein Satz, den der drahtige Juwelier mit den schlohweißen Haaren, der so leidenschaftlich erzählen kann, ganz leise und nachdenklich ausspricht. So als würde er innerlich hinzufügen: „Habe ich sie gut genutzt, meine Zeit?“
Als Unternehmer hat er das auf jeden Fall. Wempe empfängt im dezent eingerichteten Salon der Zentrale an der Steinstraße, die von der Bedeutung und der Tradition der Hamburger Juwelierkette kündet. „Gülden Gerd“ heißt das imposante Gebäude bei den Angestellten, benannt nach Wempes Großvater und Firmengründer Gerd D. Wempe. Die extra gesicherten Türen am Eingang und auf der Chefetage lassen erahnen, welche Werte in dem Haus lagern.
Hellmut Wempe ist es, der aus der 1878 in Elsfleth an der Weser entstandenen Firma eine weltumspannende Kette mit Niederlassungen in New York, Paris und sogar auf dem Kreuzfahrtschiff MS „Europa“ gemacht hat. Der den Schritt hinaus aus der Hansestadt wagte, obwohl sein Vater Herbert eher zur Vorsicht riet. Und der gemeinsam mit seiner Tochter Kim-Eva das Wagnis einging, eine eigene Uhrenproduktion im Osten Deutschlands aufzubauen. 32 Geschäfte mit 735 Mitarbeitern umfasst das Netz von Wempe heute, die im vergangenen Jahr 452,7 Millionen Euro erwirtschafteten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg lagen fast alle Wempe-Geschäfte in Trümmern
Als der 18-jährige Hellmut Wempe kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in den väterlichen Betrieb einstieg, da lag nicht nur Hamburg in Trümmern, sondern auch das meiste, was sich die vorangegangenen Generationen der Uhrmacher und Juweliere aufgebaut hatten. Die meisten Geschäfte waren verloren gegangen. Hellmut Wempes ältester Bruder, der eigentlich für die Nachfolge vorgesehen war, kam nicht aus dem Krieg zurück. „Es war früh klar, dass ich den Platz meines Bruders einnehme. Eine wirkliche Wahl gab es für mich nicht“, sagt Wempe, der sich auch hätte vorstellen können, Journalist zu werden. Er begann eine Ausbildung als Uhrmacher, beendete diese aber vorzeitig, weil er beim Wiederaufbau der Juweliergeschäfte helfen musste. „In meiner Lehre bin ich leider nur bis zum Wecker gekommen“, erzählt er schmunzelnd, aber auch ein wenig bedauernd.
Die große Gala der Gründerpreis-Sieger
Schnell erkannte Wempe, dass sich das Unternehmen von den Wettbewerbern mit einem besonderen, hochwertigen Sortiment absetzen musste. Als erster holte er die Schweizer Nobelmarke Rolex nach Deutschland. Mit 13 Stück fing er an, das Geschäft lief zunächst aber schleppend, sodass der Vater besorgt nachfragte, ob der Sohn denn schon eines der teuer eingekauften Modelle verkauft habe.
1963, nach dem Tod des Vaters, übernahm Hellmut Wempe die Geschäftsführung und begann bald darauf, über die Grenzen von Hamburg hinaus zu expandieren. Auf Lübeck folgten die Toplagen in deutschen Großstädten: Berlin Kurfürstendamm, Stuttgart Königstraße, Düsseldorf Königsallee. „Für einen jungen Mann, der bereit war, etwas zu wagen, waren die Jahre des deutschen Wirtschaftswunders eine fantastische Zeit. Es gab jede Menge Möglichkeiten, um etwas wirklich Großes zu schaffen“, sagt der Unternehmer.
Das größte Wagnis ging Wempe 1980 mit dem Sprung über den Atlantik ein. In New York eröffnete er persönlich die dortige Niederlassung, nicht irgendwo natürlich, sondern an der Fifth Avenue in unmittelbarer Nähe von Tiffany’s. „Die Expansion in die USA hat uns in Deutschland großen Respekt eingebracht“, sagt Wempe. „Damals war es völlig unüblich, dass ein deutscher Mittelständler in New York eine Niederlassung aufmacht.“ Einfach war es für die Hamburger allerdings nicht, mit den rabattverwöhnten Amerikanern ins Geschäft zu kommen. Es dauerte lange, die dortige Kundschaft von der eher zurückhaltenden Art der Deutschen zu überzeugen. Zeitweilig lief die Filiale so schlecht, dass Wempe überlegte, diese wieder zu schließen. „Die Geschäftsführer waren aber bereit, auf ihre Tantiemen zu verzichten, nur, damit wir in New York bleiben konnten“, erzählt der Seniorchef. „Das hat mich tief beeindruckt.“
Ehre, Verlässlichkeit, Verantwortungsbewusstsein – das sind Werte, die Hellmut Wempe enorm wichtig sind und die er auch sich selbst abverlangt. Bis heute ist das Unternehmen Gerhard D. Wempe eine KG, mit Hellmut Wempe und seiner Tochter Kim-Eva als persönlich haftenden Gesellschaftern. Die Kette in eine GmbH, also eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umzuwandeln, wäre Wempe nie in den Sinn gekommen und er ist froh, dass sich auch seine Tochter so entschieden hat. „Es ist wichtig, dass ein Unternehmer mit seinem Vermögen für die Entscheidungen geradesteht, die er trifft. Alles andere führt zu Leichtsinn.“
Richtig ungemütlich kann Wempe werden, wenn er über hoch bezahlte Manager wie etwa den ehemaligen Karstadt-Chef Thomas Middelhoff spricht. Dieser habe der Warenhauskette mit seinem „arroganten Verhalten“ und falschen Entscheidungen schwer geschadet. Auch Middelhoff hat bei Wempe mal eine Uhr gekauft – es war eben jene, die ein Gerichtsvollzieher später in aller Öffentlichkeit während eines Prozesses gegen den heute hoch verschuldeten Manager pfändete. Eine Tatsache, die der Juwelier mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis genommen hat.
Wenig kann der traditionsbewusste Unternehmer auch mit dem Trend anfangen, externe Consultants in die Firma zu holen, wenn eine Umstrukturierung oder andere wichtige Entscheidungen anstehen. „Ich als Unternehmer weiß am besten, was für die Firma richtig ist“, sagt er. „Wozu brauche ich da einen Berater von außen?“ Tiefe Krisen hat Wempe in seiner Zeit als Geschäftsführer glücklicherweise nicht durchstehen müssen. „Als in den 80er-Jahren die Quarzuhr aufkam, hatten wir die Befürchtung, dass mechanische Uhren bald der Vergangenheit angehören könnten. Aber die Sorge war unbegründet.“
Für jemanden, der so leidenschaftlich wie Wempe mit seinem Metier verbunden ist, war es nicht gerade einfach, sich im Jahr 2003 aus dem Tagesgeschäft zu verabschieden und die Verantwortung an seine Tochter zu übergeben. „Man muss loslassen können, sonst kann die Unternehmensnachfolge nicht gelingen“, sagt er. „Ich bin sehr froh, dass es bei uns so gut funktioniert hat. Meine Tochter hat vor allem den Schmuckbereich ausgebaut, das ist ein Feld, in dem man sich als Mann etwas schwertut.“ Mittlerweile bereitet sich schon Enkel Scott auf den Einstieg ins Unternehmen vor. „Er ist so ungestüm wie ich damals“, sagt der Großvater.
Trotz des Wechsels an der Unternehmensspitze nimmt Hellmut Wempe bis heute an allen wichtigen Entscheidungen großen Anteil – seine Zeit auf dem Golfplatz zu verbringen, liegt dem Unternehmer nicht. Insbesondere die eigene Produktion von Armbanduhren in der alten Sternwarte von Glashütte liegt dem Feinmechanikfan am Herzen, gerade hat er sich um den Ausbau des dortigen Werks gekümmert.
„Wir haben 2005 eine eigene Produktion aufgebaut, weil die hochwertigen Schweizer Uhren immer teurer und für manch einen unserer Kunden unerschwinglich wurden“, sagt Wempe. „Dem wollten wir mit Modellen von 800 Euro aufwärts etwas entgegensetzen.“ Das Engagement in Sachsen bot aber auch die Möglichkeit, die Tradition der Hamburger Chronometerwerke – einer Produktionsstätte von Schiffschronometern – wiederzubeleben, die früher zu Wempe gehörten und im Zweiten Weltkrieg verloren gingen. Der Name findet sich heute in den Armbanduhren des Hauses wieder. Auch Chronometer für Forschungs- oder Kreuzfahrtschiffe werden von Wempe mittlerweile wieder hergestellt.
Kurz vor Ende des Gesprächs bittet Hellmut Wempe noch kurz in sein dunkel getäfeltes Arbeitszimmer, er will von einer weiteren großen Leidenschaft erzählen. An der Wand hängt eine Landkarte mit Hunderten von Stecknadeln – alles Orte, die der begeisterte Reisende schon besucht hat. Quer durch Afrika ist er mit Freunden in einem klapprigen Kleinbus gefahren, hat in Zelten übernachtet. Eine andere Tour führte ihn über Afghanistan bis nach Indien und Sri Lanka. Erst vor wenigen Wochen ist der 83-Jährige aus Aserbaidschan und Rumänien zurückgekommen.
Nun aber ist die Zeit für das Gespräch wirklich abgelaufen, der Unternehmer muss zum nächsten Termin, wirft einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr. Es ist eine „Zeitmeister“ mit schlichtem Ziffernblatt – aus eigener Produktion natürlich.
Wäre Wempe der Teil einer Uhr, er wäre mit Sicherheit die Unruh.