Hamburg. Sozialarbeiter beklagen Missstände. In den Unterkünften fehle es an Ärzten. CDU vermutet eine hohe Dunkelziffer von Patienten.

Die medizinische Situation in Erstaufnahmen für Flüchtlinge spitzt sich zu. In den vergangenen Monaten wurden in Unterkünften in allen Hamburger Bezirken ansteckende Krankheiten registriert, gleichzeitig fehlt Fachpersonal. Seit Freitag werden wegen gehäufter Fälle von Krätze keine weiteren Flüchtlinge mehr im Zeltlager am Jenfelder Moorpark untergebracht. „Die Unterkunft ist nicht abgeriegelt, aber die Situation erfordert eine besondere Vorsicht“, sagte Susanne Schwendtke von der städtischen Fördern & Wohnen.

Die Hautkrankheit Krätze (Scabies) wird durch eine Milbe verursacht und auch über Kleidung übertragen. Sie tritt unabhängig von der hygienischen Situation bei größeren Ansammlungen von Menschen auf und lässt sich mit Medikamenten schnell kurieren. In Jenfeld wurde Krätze bei mehren Dutzend Menschen in verschiedenen Zelten diagnostiziert.

„Wir haben zusätzliche Mediziner angefordert, um alle Bewohner untersuchen zu können, auch auf weitere mögliche Infektionen hin“, sagte Susanne Schwendtke.

In den Unterkünften fehlen Ärzte und Isolierungsräume für kranke Bewohner

Wie eine Kleine Anfrage der CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Karin Prien ergab, wurden in Hamburger Erstaufnahmen zwischen Januar und Juni bereits 119 Menschen mit meldepflichtigen Krankheiten entdeckt. Die häufigsten Infektionen waren dabei Hepatitis B (38 Patienten) und Tuberkulose (31 Fälle), aber auch Windpocken, Mumps, Noroviren und ein Fall von Malaria wurden bekannt.

Die Fragestellerin Prien vermutet darüber hinaus eine weitaus höhere Dunkelziffer der Gesamtinfektionen. „Im Bezirk Altona wurde nur ein einziger Patient gemeldet, obwohl dort an der Schnackenburgallee ein sehr großes Containerdorf steht“, sagte Prien. „Der Verdacht liegt nahe, dass die Krankheiten angesichts der Masse von Flüchtlingen nicht mehr richtig erfasst, möglicherweise auch nicht optimal behandelt werden“, sagte Prien.

Die Mitarbeiter einiger Unterkünfte klagen seit Längerem über eine mangelnde Versorgung. „Ärzte sind für die Bewohner oft nur etwa drei oder vier Tage in der Woche ansprechbar, Psychologen sogar nur einmal in der Woche“, sagt ein Sozialarbeiter aus einer großen Unterkunft mit mehr als 1000 Flüchtlingen. Zudem fehlten Isolierräume für ansteckende Krankheiten.

Zuwachs von Flüchtlingen führte zu einem Ärztemangel

„Es gab bis vor Kurzem nur einen Notfallraum“, sagt ein Insider aus der Erstaufnahme Schnackenburgallee, in der mehr als 2000 Flüchtlinge leben. Dieser werde auch für andere Zwecke gebraucht, sei oft belegt.

„Schon vor längerer Zeit gab es Schwierigkeiten dabei, kranke Bewohner angemessen zu versorgen. Jetzt sind deutlich mehr Personen untergebracht, das macht es nicht leichter“, sagt der Insider.

Fördern & Wohnen räumt ein, dass der Zuwachs von Flüchtlingen auch zu einem Ärztemangel geführt hat. „Wir steuern bereits massiv dagegen, akquirieren weitere Ärzte“, sagte Sprecherin Susanne Schwendtke. Nach Abendblatt-Informationen gab es im Senat auch Überlegungen, eine spezielle Erstaufnahme für kranke Flüchtlinge zu schaffen. Fachleute sollten dafür ein Konzept erstellen.

Im Gegensatz zu allen umliegenden Bundesländern musste Hamburg bislang keine Einrichtung wegen Krankheiten dauerhaft abriegeln. Dies weiterhin zu verhindern, hat oberste Priorität. „Wir halten den maximalen Standard, den die aktuelle Extremsituation zulässt“, sagt ein Senatsbeamter.