Wie verändern sich Zeiten und Menschen in einem Vierteljahrhundert? Prominente erinnern sich. Teil 9: Hafen-Chef Jens Meier.

Vor 25 Jahren nahm die Entwicklung des Hamburger Hafens eine bedeutende Wendung. Mit der Öffnung der Grenzen zum Osten und der Wiedervereinigung rückte die Hansestadt von ihrer Lage am Westrand in das Zentrum Nordeuropas. Die neue geografische Lage zahlte sich auch wirtschaftlich aus und brachte dem Hafenwachstum einen kräftigen Schub.

„Wer wachsen will, muss eben Grenzen verschieben“, sagt dazu der heutige Hafenchef, Jens Meier. Damals interessierte ihn das herzlich wenig. Während Umschlagsbetriebe und Reeder nach dem Fall des Eisernen Vorhangs neue Schifffahrtsbande nach Osteuropa knüpften und alte wiederaufleben ließen, fand Meier eher Flugzeuge faszinierend.

 1977 beim Besuch des Großonkels in den USA schlug das Herz für den HSV
1977 beim Besuch des Großonkels in den USA schlug das Herz für den HSV © Jens Meier

Der Hafenmanager mit dem auffallend blonden Schopf und der immer gebräunten Haut war vor 25 Jahren Informatikstudent. Er jobbte lieber bei der Dasa, dem Vorläufer des heutigen Airbus-Werks in Finkenwerder, anstatt sich mit Massengut, Stückgut und den schon damals wachsenden Verkehrsproblemen im Hafen zu befassen. Dass er einmal Geschäftsführer der Hamburg Port Authority (HPA) werden sollte, war nicht abzusehen. Und doch haben die damaligen Veränderungen im Hafen Jens Meier später folgerichtig in diese Funktion geführt.

Aber der Reihe nach: Den Fall der Mauer hat Meier im Alter von 24 Jahren am Fernsehen verfolgt. „Ich war politisch interessiert, aber nicht engagiert“, sagt er über die Zeit am Anfang seiner Karriere. Stark engagiert war Meier aber bei allem, was mit Computern zusammenhing. Das ging bis in die Schulzeit zurück. Mit Zahlen konnte er immer sehr gut umgehen – und mit Rechnern. Eine erste Expertise erstellte Meier, als er für den stellvertretenden Schulleiter seines Gymnasiums Süderelbe ein Programm zur Erstellung der Stundenpläne entwickelte.

Meiers Liebe zum Hafen ist schon in der Kindheit entstanden

Die Leidenschaft für Zahlen und Computer behielt Meier während seines Studiums bei, und mit dieser Neigung war er damals auch in der Luftfahrt besser aufgehoben als in der maritimen Branche. Denn die Luftfahrtindustrie machte damals mit Computertechnik einen Quantensprung: Anfang der 90er-Jahre setzte sich bei Flugzeugen das „Fly-by-wire“ durch, bei dem die Steuerbefehle des Piloten mit elektrischen Impulsen zu den Leitwerken gesendet werden. Die Zeit der mechanischen Steuerung mit Seilzügen war vorbei. Im Hafen war hingegen noch alles Handarbeit. Der Hafen sei in Sachen IT-Technik „noch hinter dem Mond“ gewesen, wie Meier heute sagt.

Der Hafen hatte allerdings auch mit anderen Problemen zu kämpfen: Die internationale Wirtschaft wollte den Handel mit Osteuropa wieder aufleben lassen, doch Straßentransporte boten sich nicht an. Viele Verbindungen waren im Kalten Krieg abgebrochen worden und die Verkehrsinfrastruktur einfach rückständig. Vom Hamburger Hafen aus konnten aber Waren auf dem Wasserweg verschickt werden, und er profitierte von einer guten Schienenanbindung in den Osten, die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg gebaut worden war. Sie bildete den Grundstein für ein rasantes Wachstum des Hafens, das sich bald darauf einstellte.

 1988 reiste Meier mit dem Motorrad durch Frankreich
1988 reiste Meier mit dem Motorrad durch Frankreich © Jens Meier | Jens Meier

Chinas Aufstieg zur Wirtschaftsmacht im Welthandel und die fortschreitende Containerisierung sorgten ohnehin für ein stetes Plus beim Warenumschlag. Um 100.000 bis 200.000 Stahlboxen pro Jahr wuchs der Containerumschlag Anfang der 90er-Jahre. In Polen, Tschechien, Ungarn fasste die Wirtschaft allmählich Tritt, ebenso in den baltischen Staaten nach dem Zerfall der Sowjetunion. Nur zwei Jahre später betrug das Umschlagsplus schon 200.000 bis 300.000 Container im Jahr.

Deshalb begannen auch die Bauarbeiten für einen weiteren Containerterminal in Altenwerder. Und Meier kam erstmals beruflich mit dem Hafen in Berührung: Seine erste feste Stelle nach Studium und Dasa-Zeit hatte er damals bei der Softwareberatungsfirma sd&m, einem Tochterunternehmen von Ernst & Young. Meier erhielt den Auftrag, für den Hafen Altenwerder ein Computerprogramm zur Steuerung der Containerumfuhren zu entwickeln. Denn inzwischen hatte man auch im Hafen erkannt, dass steigender Warenstrom und Seegüterumschlag nur noch mit technologischer Unterstützung zu bewältigen waren.

Privat ist Meiers Liebe zu Wasser und zum Hafen bereits in der Kindheit entstanden. Sein Vater war zur See gefahren, sein Großvater war Fischer und später Skipper der Fähre über den Köhlbrand. Und trotz der Vorliebe fürs Wasser war der Job für die HHLA für Meier nur einer von vielen. Er führte eine Karriere auf der Überholspur. Als einer der wenigen Spezialisten für Datensicherheit war seine Expertise in Deutschland in der Nachwendezeit sehr gefragt. „Wir machten alles: vom Fundraising für Greenpeace bis zu Steuerung von Kernkraftwerken.“ Vieles war geheim, und über das, was er für die Polizei in Ostdeutschland einrichtete, darf Meier heute noch nicht sprechen.

Aber alles, was er tat, folgte einem Plan. Mit 40, so hatte sich Meier geschworen, wollte er finanziell unabhängig sein. Und darauf richtete er seinen Werdegang aus. Ein unglaublicher Optimismus. Sobald Meier nach dem Studium ausreichend Geld verdiente, um eine Familie zu ernähren, heiratete er Katja, eine Frau, mit der Meier seit seiner Jugend zusammen war. Sie bekamen drei Kinder. Ernst & Young förderte den Rechenkünstler mit der raschen Auffassungsgabe. Meier wurde in Management-Trainee-Programme aufgenommen und stieg bei sd&m in die Geschäftsleitung auf. Da war er noch keine 30. Aber er war ein Querdenker, einer, der die Grenzen in den Köpfen anderer überwinden möchte. Sagte jemand: „Das geht nicht“, erwiderte er: „Doch, das geht.“

Wenige Monate nach der Wiedervereinigung 1991 als Student im Zug
Wenige Monate nach der Wiedervereinigung 1991 als Student im Zug © Jens Meier

Sein Einstieg ins Management geschah 1995 zu der Zeit, als im Hamburger Hafen der neue Rangierbahnhof Alte Süderelbe in Betrieb genommen wurde. 160 Güterzüge mit rund 4500 Waggons fuhren damals täglich in den Hamburger Hafen oder hinaus. Mehr als 20 Millionen Tonnen Güter wurden über die Gleise der Hafenbahn transportiert.

Später sollte Meier maßgeblich dazu beitragen, dass sich dieses Aufkommen bis heute verdoppelt hat. Damals war nicht daran zu denken. Denn Meier stieß erst einmal an persönliche Grenzen: Er erkrankte unerwartet schwer, verbrachte eine Zeit im Krankenhaus zwischen Hoffen und Bangen. Letztlich wurde Meier geheilt und in seiner zuversichtlichen Grundhaltung sogar noch bestärkt. „Das Überstehen dieser Krankheit hat bei mir eine neue Sichtweise darauf eingestellt, was wirkliche Probleme sind.“

Sein Optimismus zahlte sich schließlich aus, weil Meier wenige Monate vor seinem 40. Geburtstag seinen ursprünglichen Plan tatsächlich umsetzte und die finanzielle Unabhängigkeit erreichte.

Das kam so: Nachdem er bei sd&m gekündigt hatte und nach einem Gastspiel bei der Hamburger Internetfirma Systematics eröffnete sich im Jahr 2000 für Meier eine große Chance: Ein bekannter Banker, der ein marodes Logistikunternehmen zu seinen Kunden zählte, fragte Meier, ob er sich vorstellen könnte, den Betrieb zu übernehmen. „Für mich war das eine Herausforderung. Nach Jahren als Manager in beratenden Betrieben konnte ich erstmals meine Arbeit auf ein eigenes Unternehmen konzentrieren.“ Es war aber auch eine Überwindung, denn das Risiko, mit dem Laden pleite zu gehen, bestand auch. Meier besann sich seines Mottos mit den Grenzen und schlug ein. TTS hieß der Betrieb und war auf Kontrakt- und Lagerlogistik spezialisiert. Meier konnte hier seine Erfahrung in der IT mit der Logistik nützlich verbinden. Das war die Grundlage für sein späteres Wirken im Hafen.

Sechs Jahre führte Meier TTS, päppelte das Unternehmen auf, und verkaufte es im März 2006 für viel Geld an den Logistikkonzern Fiege. Damit hatte Meier finanziell ausgesorgt. Und er dachte ernsthaft daran, sich zur Ruhe zu setzen, als sein Plan das zweite Mal von außen einen Anstoß in eine andere Richtung bekam: nämlich durch einen simplen Telefonanruf des damaligen Wirtschaftssenators Gunnar Uldall. Der CDU-Politiker fragte Meier, ob er sich vorstellen könnte, die neue gegründete HPA zu übernehmen, in der das Amt für Strom- und Hafenbau sowie das Hafenamt der Wirtschaftsbehörde zusammengefasst worden waren.

Als Manager vor Mumbais Wahrzeichen  Gateway to India
Als Manager vor Mumbais Wahrzeichen Gateway to India © Jens Meier

Das Hafenwachstum hatte zu diesem Zeitpunkt dank Hamburgs neuer Rolle als Drehscheibe zwischen Ost und West phänomenale Geschwindigkeit angenommen. Der Containerumschlag stieg in zwölf Monaten um mehr als eine Million Boxen auf damals mehr als acht Millionen Standardcontainer. Der Hafen platzte aus allen Nähten, die Verkehrsverbindungen ins Hinterland kamen gar nicht mehr nach, und die Haushaltsmittel zum Ausbau der Infrastruktur waren knapp.

Uldall brauchte eine Person mit neuen Ideen, eine Person, die logistische Probleme mit hochtechnologischen Mitteln lösen konnte. Er fand sie in Jens Meier, den Uldall 2008 zum Geschäftsführer der HPA machte. Der neue Chef holte den Hafen aus dem Akten-Muff der alten Behördenplanung und setzte auf Computer-Technik.

Meier erfand das Port Road Management, um das vorhandene Straßennetz leistungsfähiger und effizienter zu machen und den Verkehrsfluss mittels dynamischer Anzeigen zu optimieren. Für den Verkehr auf den Gleisen brachte Meier das Datenkommunikationsunternehmen des Hafens Dakosy mit Lufthansa zusammen und gab den Startschuss für transPORT rail, ein Steuerungssystem der Zugabfertigung, das die Effizienz der Hafenbahn mächtig gesteigert hat.

Als Hafenchef setzt Meier konsequent auf neue Technologien

Und für den Schiffsverkehr führte die HPA unter Jens Meier den Port Monitor ein, eine Art Leitstandsystem, das in Echtzeit Informationen über Ereignisse und Zustände der Wasserstraßen im Hamburger Hafen liefert.

Derzeit will er alle Verkehrsträger miteinander vernetzen und per Computersoftware aufeinander abstimmen. Das alles dient dem Ziel, den Warenumschlag und die weiteren logistischen Prozesse im Hafen zu beschleunigen, um der wachsenden Menge an Gütern Herr zu werden.

Somit sitzt Meier 25 Jahre nach dem Anstoß des Wachstumsprozesses im Hafen am richtigen Platz. Selbst schärfste Kritiker erkennen an, dass er vieles richtig gemacht hat. Probleme, wie die Verzögerungen bei der Elbvertiefung, Schifffahrtskrise oder den Streit um die Olympia-Flächen haben ihn nicht davon abgehalten, seinen im kommenden Jahr endenden Vertrag als HPA-Chef vorzeitig zu verlängern.

Und dann hat er auch noch einen Zweitjob, der auf die Sitzplatz-Dauerkarte zurückgeht, die Meier seit 25 Jahren in der Hosentasche hat: Seit Januar ist der Hafenmanager Präsident des HSV, zuvor war er bereits Aufsichtsrat. Der Verein ist seine zweite Liebe, neben Katja.

Nicht wenige Leute in der Stadt werfen Meier vor, er könne nicht beide Jobs gleichzeitig machen, und er drohe, sich zu verzetteln. Seine Antwort ist klar: „Wer wachsen will, muss Grenzen verschieben“, sagt Meier. Das gilt heute wie vor 25 Jahren.

Nächsten Donnerstag in Folge 10 unserer Serie:
Michael Jürgs (Journalist, Autor, Ex-Stern-Chef)