Hamburg . Abendblatt-Fotograf Marcelo Hernandez hat für die Ausstellung „Hoffnungsträger – 10 Bergedorfer Fluchtwege“ Flüchtlinge porträtiert.

Fast 6000 Flüchtlinge wurden im ersten Halbjahr in Hamburg untergebracht, insgesamt leben hier an 86 Standorten rund 20.000 Menschen aus aller Welt. Sehr viel wird derzeit über die Flüchtlinge geschrieben. Nicht so oft kommen sie selbst zu Wort. Das wollte das Bezirksamt Bergedorf ändern. Für die Fotoausstellung „Hoffnungsträger – 10 Bergedorfer Fluchtwege“ hat Abendblatt-Fotograf Marcelo Hernandez Menschen porträtiert. Die Interview hat Jorge Birkner geführt. Ihre Berichte dokumentieren das Leid als Vertriebene und sind eindrucksvolle Belege für Überlebenswillen und Hoffnung.

Zakaria, 19, aus Afghanistan: Ich habe mit 14 Jahren Kabul verlassen, als ich sah, wie Zivilisten auf der Straße erschossen wurden. Die Leichen blieben dort einfach liegen. Ich habe heute noch Albträume. Junge Männer werden gezwungen, in den Krieg zu ziehen. Über Moskau und die Ukraine, Tschechien und Salzburg kam ich nach Hamburg. Meine Familie lebt noch in Kabul, ich mache mir große Sorgen. Wenn mein Vater morgens das Haus verlässt, verabschiedet er sich von jedem einzeln. Alle machen das so. Niemand hat die Gewissheit, dass er lebend zurückkehrt. Ich habe drei Brüder, ich vermisse meine Familie sehr. Ich finde keine Ruhe, obwohl ich hier bin. Das Leben hier ist nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe. Alle sechs Monate muss ich meinen Aufenthalt verlängern lassen. Die ständige Ungewissheit ist eine große Belastung. In der Wohnunterkunft komme ich nicht zur Ruhe. Mein größer Wunsch ist es, meine Eltern wiederzusehen. Ich würde so gern in mein Heimatland zurückkehren und den Boden küssen.

Dunia, 70, aus dem Libanon: Ich bin in Beirut geboren. Mein Vater war Viehzüchter. Mit 14 Jahren wurde ich verheiratet. Mit 17 hatte ich bereits drei Kinder und war Hausfrau und Mutter. Nach Ausbruch des Bürgerkriegs 1975 wurden wir als Muslime von den natio­nalistisch-christlichen Milizen aus unserem Heimatort ver­trieben. Die schiitische Hisbollah hat einen meiner Söhne ermordet. Wir haben so viel Leid erlebt, sind immer wieder als Zivilisten ins Kreuzfeuer der verschiedenen Kriegsparteien geraten. 1993 bin ich mit einem Enkelkind nach Deutschland geflohen. Mein Mann konnte nicht mit. Er ist inzwischen verstorben. Ich konnte ihn nicht mehr besuchen, habe ihn vor 22 Jahren zuletzt gesehen. Vier Jahre später kamen mehrere Kinder nach. Seit 1993 lebe ich in derselben Asylbewerberunterkunft in Bergedorf. Ich habe immer noch eine Duldung, die alle sechs Monate verlängert werden muss. Damit darf ich kein Konto eröffnen. Mein Sohn darf keinen Führerschein machen. Wir dürfen Hamburg nie länger als sieben Tage am Stück verlassen. Mein größter Wunsch wäre eine Aufenthaltserlaubnis, und dass ich wieder in den Libanon reisen und Verwandte besuchen kann. Leben möchte ich dort nicht. Es ist für mich keine Heimat mehr.

Ibrahim, 59, aus Syrien: In Syrien war ich Lkw-Fahrer, hatte eine kleine Reifenwerkstatt und war Bildhauer. Als der Krieg ausbrach, wurde es von Tag zu Tag schlimmer. Es gab kaum noch etwas zu essen, kein Benzin mehr, viele Menschen wurden entführt. Ich bin mit meiner Frau und unserer 13-jährigen Tochter nach Deutschland geflohen. Unsere drei älteren Kinder leben noch in Syrien. Sie studieren, es gibt aber keine Vorlesungen mehr. Sie leben nahe der türkischen Grenze, wir können alle paar Tage telefonieren, aber sie dürfen noch nicht zu uns nach Deutschland. Wir drei haben eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre. Ich trage jeden Morgen ab vier Uhr drei Stunden lang Zeitungen aus, danach geht es zum Deutschunterricht. Wir suchen dringend eine Wohnung. Ich möchte als Bildhauer arbeiten, würde gerne eine Statue von Bismarck machen – und Teil dieser Gesellschaft, auch der Künstlerszene, werden. Wenn in Syrien Frieden herrscht, möchte ich zurück. Meine Tochter besucht die Schule und möchte Ärztin werden.

Jeanne, 4, aus Togo: Ihre Mutter Aburatou, 30, erzählt: Jeanne und meine dreijährige Tochter sind in Hamburg geboren worden. Ich habe Togo verlassen, weil es für mich dort keine Perspektive mehr gab. Meine Eltern waren damit allerdings nicht einverstanden. Ich habe sie letztes Jahr zum ersten Mal seit 2009 wiedergesehen. Ich suche hier ein besseres Leben und eine bessere Zukunft, vor allem für meine Kinder.

Amir, 38, aus Afghanistan: Ich komme aus der Provinz Maidan Wardek. Ich konnte nur bis zur achten Klasse in die Schule gehen, dann kamen die Taliban. Sie rissen das Gebäude nieder und verboten den Unterricht. Mein Vater war Bauingenieur. Sein Wunsch war, dass wir Kinder ebenfalls Ingenieure oder Ärzte werden. Mein Bruder hat sich den Mujaheddin angeschlossen. Er kämpfte gegen die Taliban und wurde in Masar-i-Sharif getötet. Ich bin mit meiner Mutter, meiner Frau und unserer damals einjährigen Tochter nach Kasachstan geflüchtet, später in die Ukraine. Dort ist meine Mutter gestorben. Wir wollten nach Europa, denn hier ist man sicher und hat Rechte. Wir kamen nach Tschechien, mussten dort 20 Tage in einer Art Gefängnis bleiben. Dann durften wir nach Österreich, wo man uns erneut verhaftet hat. Da es ein Sonntag war, war der Chef der Polizeiwache morgens in der Kirche gewesen. Vielleicht war es unser Glück, weil Gott gesehen hat, dass wir schon viel gelitten hatten. Jedenfalls hat er uns gehen lassen. Wir kamen nach Belgien, wo meine Frau erkrankte. Deshalb bin ich zunächst alleine mit den Kindern nach Hamburg gekommen. Vor sechs Wochen ist meine Frau nach­gereist. Die Ausländerbehörde kann uns aber nicht zusammenlegen. Sie lebt in Neumünster, wir in Bergedorf. Unsere Kinder vermissen ihre Mutter sehr, nur alle zwei bis drei Wochen können wir uns sehen. Unser Aufenthalt ist immer nur auf drei Monate befristet. Ich möchte schnell die Sprache lernen. Aber sollte sich die Lage in Afghanistan verbessern, möchte ich zurück. Heimat ist Heimat.

HER_9793_2-017.jpg
© Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Juan, 31, und Saya, 2, aus Syrien: Wir sind Kurden aus dem Norden Syriens. Ich habe Wirtschaft studiert und als Buchhalter gearbeitet. In Syrien ist Bürgerkrieg. Es gibt dort kein echtes Leben mehr. Meine Familie ist hier, aber die Familie meiner Frau ist noch in Syrien. Sie haben es nicht geschafft. Die Schlepper haben Geld von ihnen erhalten, sie dann aber nicht mitgenommen. Sie wurden betrogen. Mein Schwager hat versucht, in die Türkei zu fliehen. Sie haben ihm auf der Flucht die Beine gebrochen, um ihn am Verlassen des Landes zu hindern. Das waren Regierungssoldaten. Mein Wunsch ist es, hier als Buchhalter zu arbeiten. Wenn das nicht möglich ist, würde ich irgendeine Arbeit machen. Hauptsache, ich muss nicht vom Staat leben. Meine Frau möchte wieder als Erzieherin arbeiten, aber erst einen Deutschkurs machen. Wir warten noch auf unsere Aufenthaltserlaubnis, damit wir den Kurs machen können. Wir suchen dringend eine Wohnung, aber es ist, als gäbe es in ganz Deutschland keine Wohnungen.

Die Fotoausstellung „Hoffnungsträger – 10 Bergedorfer Fluchtwege“ ist eine Initiative des Bezirksamtes Bergedorf. Die Bilder von Marcelo Hernandez und die Interviews von Jorge Birkner sind vom 13. bis 24. Juli im CCB-City-Center Bergedorf, Bergedorfer Straße 105, zu sehen und nachzulesen. Eröffnung am heutigen Montag um 17 Uhr.