Hamburg. Der Senat kündigt die Schaffung von weiteren 9000 Plätzen an. Sie sollen über die ganze Stadt verteilt werden.
Streng genommen war das natürlich schlicht falsch, was Detlef Scheele am Dienstag im Rathaus sagte: „Wer in Hamburg aus der Haustür tritt und einen Kilometer nach links oder nach rechts geht, wird künftig auf eine Flüchtlingsunterkunft treffen“, sagte der Sozialsenator. Ein Blick auf die Karte mit den bestehenden und den geplanten Einrichtungen zeigt, dass es auch weiterhin Stadtteile geben wird, in denen man etliche Kilometer laufen kann, ohne eine Flüchtlingsunterkunft zu Gesicht zu bekommen, etwa im Südwesten oder im äußersten Norden der Stadt. Doch die Botschaft des SPD-Politikers war unmissverständlich: der Ansturm ist so groß, dass es bald in fast jedem Wohngebiet eine Flüchtlingsunterkunft geben wird.
Die Zahlen, die Scheele präsentierte, sind dramatisch: 6443 Flüchtlinge hat Hamburg allein im ersten Halbjahr 2015 aufgenommen – so viele wie im gesamten Vorjahr. Die Zahl der Plätze in Unterkünften konnte zwar um 3285 auf 18.819 an 86 Standorten gesteigert werden, aber das reicht bei Weitem noch nicht aus. Weitere 38 Standorte und sechs Erweiterungen mit insgesamt 9000 Plätzen sind schon in Planung (siehe Karte). Bis Jahresende werden davon aber wohl nur 4000 fertig. Das dürften vermutlich 3000 Plätze zu wenig sein. Angesichts dieser enormen Herausforderung für die Stadt wünschte sich der Senator, es möge doch bitte niemand auf der Flüchtlingsproblematik sein „parteipolitisches Süppchen kochen“ oder gar mit dem Thema „zündeln“. Kritik der Opposition konnte der SPD-Politiker aber nicht verhindern.
„Rot-Grün ist beim Thema Asyl ausgesprochen passiv“, sagte CDU-Fraktions-Vize Karin Prien. „Es wird nur reagiert, wo vorausschauendes Handeln gefragt wäre. Darunter leiden sowohl die Bürger als auch die schutzbedürftigen Kriegs- und Krisenflüchtlinge. Die Standortsuche für die Unterkünfte findet unsystematisch, unkoordiniert und ohne ausreichende Bürgerbeteiligung statt.“ Die sei aber nötig, um Akzeptanz und Hilfsbereitschaft der Bürger zu erhalten.
Prien warf dem Senat vor, „wohlwissentlich falsche Zusagen“ gemacht zu haben, als beispielsweise Einrichtungen für die Zentrale Erstaufnahme wie die auf dem Festplatz Schwarzenberg in Harburg als befristet angekündigt wurden, dann aber doch dauerhaft blieben. Die CDU-Politikerin kritisierte zudem die Rückführungs- und Abschiebepraxis des Senats als „viel zu zaghaft“. Keine Einzige der 7000 ausreisepflichtigen Personen befinde sich derzeit in Abschiebehaft.
Diese Kritik wies der Staatsrat der Innenbehörde, Bernd Krösser, zurück. Dass jemand als „ausreisepflichtig“ gilt, bedeute nicht, dass er oder sie auch umgehend abgeschoben werden könne. Wenn jemand Rechtsmittel einlege, keine Papiere mehr habe oder ohne Abmeldung untergetaucht sei, habe man kaum eine Handhabe. Dennoch wolle man die Rückführungsabteilung der Ausländerbehörde um 20 Mitarbeiter aufstocken.
Die Linkspartei sprach von einer „humanitären Katastrophe“ und forderte mehr Engagement vom Senat: „Die Zelte, in denen die Flüchtlinge in Hamburg derzeit untergebracht werden, müssen so schnell wie möglich durch feste Unterkünfte ersetzt werden“, sagte Innenpolitikerin Christiane Schneider. Sie freue sich über das große Engagement vieler Hamburger. „Doch Solidarität und Akzeptanz werden untergraben, wenn staatlich zu garantierende Leistungen wie zum Beispiel Kinderbetreuung auf Ehrenamtliche abgewälzt werden, wenn Standards menschenwürdiger Unterbringung eingerissen werden, Flüchtlinge in Zelten ohne Rückzugsmöglichkeiten zusammengepfercht untergebracht werden und immer mehr riesige Lager entstehen.“
Die mit der SPD regierenden Grünen betonten, dass die Flüchtlinge die „Leidtragenden von Krieg und Verfolgung“ seien. „Ihnen gilt es zu helfen und Perspektiven zu bieten“, sagte Sozialexpertin Mareike Engels. „Daher sind neben der Unterbringung auch weitere Angebote in den Bereichen Schule, Gesundheit, Jugendhilfe oder Arbeitsmarkt notwendig, damit die Flüchtlinge in Hamburg auch an der Gesellschaft teilhaben können.“