Hamburg. Julien de Casabianca hat eine neue Form der Street Art erdacht. Der NDR hat den Franzosen für eine Kunstaktion nach Hamburg geholt.

„Ich habe keine Ahnung von Kunstgeschichte“, sagt Julien de Casabianca. „Aber wir brauchen auch all dieses Wissen nicht, um die Schönheit von Kunst zu sehen.“ Der Aktionskünstler mit dem leuchtend grauen Haar, den man auf den ersten Blick für einen Bonvivant vom Lande halten könnte, scheint um eine in freundlichem Ton vorgebrachte kleine Provokation nie verlegen zu sein.

Eine seiner vielen Tätigkeiten, die ihn neuerdings rund um den Globus auf Reisen schickt und vor wenigen Tagen für ein paar Stunden nach Hamburg führte, zeigt de Casabiancas Freude am subversiven Genuss der Kunstgeschichte. Aber es ist ein Genuss für die Massen, und es ist kein Genuss ohne Reue.

Julien de Casabianca kam aus Paris mit nichts als einer großen Plastiktasche. Darin befanden sich, zusammengefaltet, zehn auf dickes, großes Papier ausgedruckte Smartphone-Fotos von Details einiger Gemälde, die derzeit in der „Spot-On“-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle zu besichtigen sind. Geschickt hatte sie ihm Natascha Geier, die als Producerin für das Fernsehen des NDR arbeitet. Sie hatte de Casabiancas neue Kunstaktion „Outings Project“ eher zufällig beim Stöbern im Internet entdeckt.

De Casabianca arbeitet schnell und intuitiv

Seit der überaus vielseitige Mann, der auch als Filmemacher, Autor und Journalist arbeitet, im August vergangenen Jahres von einem Gemälde im Louvre eine kleine Prinzessin abfotografierte, das Bild groß auf Papier abzog und eher „aus Witz“, wie er sagt, an eine Hausmauer in Paris klebte, folgten ähnliche Aktionen in rascher Folge in vielen Städten.

Auf Facebook gefällt das „Outings Project“ knapp 14.000 Benutzern. Geier hatte die Idee, de Casabianca auch in Hamburg tätig werden zu lassen. Sein Flashmob im Dienste der Kunst im öffentlichen Raum ist Gegenstand eines Beitrags, den das NDR Kulturjournal kommenden Montag sendet.

Julien de Casabianca bei einer Plakataktion in Warschua im März 2015]
Julien de Casabianca bei einer Plakataktion in Warschua im März 2015] © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Leszek Szymanski

Ein regnerischer Vormittag in Harburg. Vor dem Bornemannschen Haus abseits der Harburger Schlossstraße, dem ältesten erhaltenen Gebäude des Stadtteils, sucht de Casabianca, begleitet von einem kleinen Kamerateam und der Moderatorin Julia Westlake, nach einem geeigneten Ort, an dem sich Philipp Otto Runges Selbstporträt als junger Mann plakatieren ließe. Die Stelle ist bald gefunden.

Beherzt greift der Franzose nun zum Handwerkszeug des Wildplakatierers, das ihm das NDR-Team mitgebracht hat: Kleister, ein Plastikgefäß zum Anrühren desselben, ein hölzerner Kochlöffel, ein Quast. De Casabianca arbeitet schnell und intuitiv. Es dauert keine fünf Minuten, und der junge Runge schaut neben einem ramponierten Fliesenschild in den trüben Harburger Junimorgen.

Anschläge auf die Wahrnehmung der Passanten

Doch bald schon kommt die Reue ins Spiel: „Ich habe ein schlechtes Gewissen“, sagt de Casabianca. Nicht etwa, weil er nie jemanden um Erlaubnis fragt, wenn er einen Bildausschnitt eher weniger bekannter alter Meister anklebt: „Muss ich nicht. Kann man ja ganz einfach wieder abreißen, wenn’s einem nicht gefällt.“ Der NDR hat selbstverständlich überall erst Genehmigungen eingeholt, schließlich sind wir in Deutschland.

De Casabianca aber schaut die junge Bäuerin mit dem Korb an, die er soeben neben Runges Selbstbildnis tapeziert hat, und sagt: „Das ist gar nicht ihre Welt. Ich fühle mich schuldig, sie hier auszusetzen.“ Der meint das so. Und tut es doch.

Als de Casabianca das erste Nal in Warschau war, hingen die Kunstplakate nur kurz. Sie wurden von Passanten abgerissen
Als de Casabianca das erste Nal in Warschau war, hingen die Kunstplakate nur kurz. Sie wurden von Passanten abgerissen © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Leszek Sz

Für die ebenso simplen wie schönen Anschläge auf die Wahrnehmung der Passanten lädt de Casabianca ausdrücklich Nachahmer ein. Wer selbst keine Möglichkeit hat, großformatige Abzüge herzustellen, kann ihm die Fotos schicken und bekommt gegen einen geringen Betrag die Outdoor-Kunsttapete per Post zugeschickt. Was seine Aktion neben dem Charme des Unerwarteten so sympathisch macht: Er hängt nur solche Bilder in den öffentlichen Raum einer Stadt, die aus einem Museum derselben Stadt abfotografiert wurden. „Es gibt genug Schönheit in jedem Ort“, sagt de Casabianca.

Kulturjournal, Mo, 8.6., 22.45, NDR