Hamburg. Barbara Kisseler über die Elbphilharmonie und die Notwendigkeit, auch in anderen Bereichen an der Qualitätsschraube zu drehen.

Tagsüber stundenlang in der Kunsthalle über das Thema „Olympisches Kulturprogramm“ gebrütet, danach aus der Bürgerschaft zurück in die Behörde zum Interview. Der Politikalltag hat Kultursenatorin Barbara Kisseler wieder. Umgekehrt ebenso. Die Parteilose mit viel Rückendeckung ist wieder da, ist wieder Teil eines Scholz-Senats, war aber eigentlich nie weg. Ihr letzter Gesprächstermin vor dem Feierabend ist ein Rückblick mit Ausblick.

Hamburger Abendblatt: Glückwunsch zur Verlängerung! Aber: Warum sind Sie im Amt geblieben?

Barbara Kisseler: Weil man Dinge, die man angefangen hat, bitte auch ordentlich zu Ende bringt. Und ich habe mich von der Kulturszene durchaus positiv begleitet und getragen gefühlt. Alle eint hier der Wunsch, die Kultur voranzubringen.

Sie haben während Ihrer ersten Amtszeit vor allem konsolidiert, befriedet, entzerrt. Dann könnten jetzt ja die atemberaubenden Ideen und die großen Leitlinien kommen. Doch die sind im Koalitionsvertrag nicht zu sehen.

Kisseler: Da stellen sich bei mir die Nackenhaare auf, wenn jemand in Zeiten wie diesen eine „große Idee“ anmahnt. Aber wir haben jetzt einen Status erreicht, bei dem man sagen kann: Jetzt widmen wir uns neben den alltäglichen Herausforderungen auch noch intensiver den Ideen, die uns sowieso beschäftigt haben. Stichwort „Musikstadt“: Wenn man das richtig ernst nimmt, ist das eine ziemliche Herausforderung. Wir haben einige grundsätzlich gute Entscheidungen getroffen, aber es gehört auch dazu, dass wir den Philharmonikern mit der Neubesetzung der Opernspitze eine Möglichkeit zur Weiterentwicklung gegeben haben. Auch die Oper kann, gerade bei zeitgenössischem Musiktheater, wieder an etwas anknüpfen, was sie einmal auszeichnete. Mit den zwei Dirigentenpersönlichkeiten Thomas Hengelbrock und Kent Nagano kann man die Musikstadt hervorragend weiterentwickeln. Da spielt natürlich auch Konkurrenzdenken mit, aber beide wollen unterschiedliche Aspekte der Stadt prägen und arbeiten gut zusammen.

Elbphilharmonie-Generalintendant Lieben-Seutter braucht dringend ein Betriebskostenkonzept, um verlässlich planen zu können. Das letzte stammt von 2008 und ist längst unbrauchbar. Wie viel wird er bekommen und wird das auch für die Zeit nach dem Eröffnungs-Hype reichen?

Kisseler: Die Drucksache wird noch entwickelt, was auch daran liegt, dass wir darin nicht nur den künstlerischen Spielbetrieb mit seinen Erfordernissen abbilden wollen, sondern auch etwas zum technischen Betrieb sagen müssen. Da die Elbphilharmonie ja kein Einfamilienhaus ist, ist das etwas schwieriger. Damit möchte ich nur einmal und dann mit belastbaren Zahlen in die Bürgerschaft gehen. Vor der Eröffnung werden wir eine Marketing-Kampagne für die Elbphilharmonie machen und auch dafür weiteres Geld in die Hand nehmen müssen.

Welche Erwartungen haben Sie an die Opern-Chefs Kent Nagano und Georges Delnon? „Da ist noch Luft nach oben bei der überregionalen Wahrnehmung“ – Ihre Worte bei einem NDR-Interview – klingt für ein Haus wie die Staatsoper nach fast zehn Jahren Simone Young nicht gerade wie ein Lob.

Kisseler: In der Tat: Ich glaube, dass wir noch Terrain hinzugewinnen können und es, ehrlich gesagt, auch müssen. Wenn wir mit der Elbphilharmonie quasi einen kulturellen Goldstandard gesetzt haben werden, wird das auch auf andere ausstrahlen. In der Oper geht dann auch noch was, da ist noch was möglich.

Gegen Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard wird jetzt wegen eines Kunstprojekts mit Flüchtlingen von der Staatsanwaltschaft ermittelt. Gegen die Verantwortlichen für einige besonders drastische Preissteigerungen und Ver­zögerungen beim Bau der Elbphilharmonie wohl nicht mehr. Ist das richtig und gerecht?

Kisseler: Man muss diese beiden Dinge sehr deutlich auseinanderhalten. Im Falle von Frau Deuflhard geht es um eine Anzeige, die hochgradig politisch und sehr vordergründig motiviert war. Was Kampnagel gemacht hat, hat nach wie vor meine volle Unterstützung, und nicht nur meine. Da kann man nicht von Rechtsbruch reden, das ist eher peinlich für jene, die diese Anzeige erstattet haben. Die Nichtaufnahme von Ermittlungen bei der Elbphilharmonie kann ich juristisch überhaupt nicht bewerten. Ich kann nachvollziehen, dass es in der Öffentlichkeit als ungerecht empfunden wird, weil da „so viel Geld in den Sand gesetzt“ wurde. Aber ich maße mir keine juristische Beurteilung an.

Man kann auch moralisch urteilen.

Kisseler: Wenn man jeden in der Wirtschaft oder Politik jedes Mal für das, wofür er moralisch Verantwortung trug, im juristischen Sinne belangen wollte, dann müssten wir viel intensiver über die Ausstattung unserer Gerichte nachdenken.

Für die Kunsthalle suchen Sie nach wie vor eine Nachfolgelösung für Hubertus Gaßner. Wie weit sind Sie, und was soll dort passieren, um das Haus überregionaler zu profilieren?

Kisseler: Die Kunsthalle gehört national unbestritten zu den fünf besten. Die Sammlung hat ein unglaubliches Potenzial, bei der zeitgenössischen Kunst hat sie sich inzwischen stärker eingebracht. Jetzt müssen wir aber dennoch jemanden finden, der die Kunsthalle neu denkt. Wenn sie neu wahrgenommen werden soll, muss noch mehr passieren als die uneingeschränkte Sympathie, die Hamburg zu seiner Kunsthalle hat. Das ist nicht genug. Mitte 2016 geht Herr Gaßner in den Ruhestand, ich denke, dass wir die Neubesetzung bis dahin überzeugend hinkriegen.

Ein Klassiker auf Ihrer Problemliste: die Ungleichbehandlung der Staatstheater Thalia, Schauspielhaus und Staatsoper bei der Frage der Tarifausgleiche bei den Gehältern. Wieso wird das nicht endlich geregelt? Im Koalitionsvertrag ist von „angemessener Ausstattung“ die Rede.

Kisseler: Die Ungleichbehandlung ist keine Behördenentscheidung, sondern den Verhandlungen der jeweiligen Intendanten zuzuschreiben. Da hat Karin Beier für das Schauspielhaus einen sehr guten Vertrag mit vollständigem Ausgleich abgeschlossen. Das ist eine entschiedene Ungleichbehandlung, verglichen mit Thalia und Oper, die Steigerungen bis zu 1,5 % ausgeglichen bekommen. Das kann auf Dauer kein Weg sein. Im Haushalt 17/18 werden wir dieses Thema ansprechen müssen.

Beim Stichwort „Kulturtaxe“ steht im Koalitionsvertrag eine ziemlich flauschige Formulierung: „Mit ihr wollen wir weiter bei der jährlichen Verteilung der Mittel flexibel reagieren und verstärkt die Kulturszene fördern.“ Warum nicht klar sagen, was ist und wie viel Prozent es gibt?

Kisseler: Weil wir bei den Koalitionsverhandlungen gesagt haben, wir müssen uns die finalen Zahlen ansehen und eine einvernehmliche Lösung auch mit der Wirtschaftsbehörde haben. Ich bin zuversichtlich, dass sich mehr Touristen und Übernachtungen auch in einer höheren Prozentzahl niederschlagen als den jetzigen 51 Prozent.

Im Koalitionsvertrag wird auch die Vision der Musikstadt zum x-ten Mal wiederholt. Wahrer und nachhaltiger wird sie dadurch noch nicht.

Kisseler: Das wird eine Daueraufgabe sein, und das schreckt mich auch nicht. Wie alles, was mit künstlerischen Inhalten zu tun hat, ist das ein dynamischer Prozess. Wir dürfen es uns auch nicht zu leicht machen. Aber man muss einfach anerkennen: Hamburg hat eine sehr beeindruckende Musiktradition, aber nicht immer etwas daraus gemacht. Wenn wir uns mit Berlin, New York oder Amsterdam vergleichen wollen, sieht man schon, was da noch an Anforderung auch für die Orchester kommt. Mehr Geld allein hilft da nicht. Man muss auch an sich arbeiten. Deswegen setze ich auch so auf Nagano.

Was haben Sie ihm denn als Kompensation für den Platz kurz hinter Thomas Hengelbrock zugesichert, der als NDR-Chefdirigent mit dem Elbphilharmonie-Residenzorchester die Nase vorn hat im neuen Konzerthaus?

Kisseler: In diesen, mit Verlaub, etwas dämlichen Kategorien denke ich nicht und die beiden auch nicht. Da treffen zwei dezidierte Persönlichkeiten aufeinander, die einen Weg zueinander gefunden haben, zu meiner großen Freude und auch Erleichterung. Die Philharmoniker werden ebenso in der Elbphilharmonie stattfinden wie das NDR-Orchester, dem vertraglich der Status des Orchesters in Residence zugesichert wurde. Nagano wird eigene Formate entwickeln. Ich betrachte das als herausfordernde Bereicherung. Duellforderungen im Morgengrauen werden wir nicht erleben.