Hamburg. Die Zahl der Radikalen wächst – trotz Maßnahmen durch die Behörden. Rückkehrer aus Syrien bleiben oft in der Szene.
Der Hamburger Verfassungsschutz ist alarmiert – radikalisierte Einzeltäter „haben unsere besondere Aufmerksamkeit“, sagt Amtschef Torsten Voß. Im Gegensatz zu Attentätern, die von den Terrororganisationen „geführt“ werden, stellen die autonom agierenden Extremisten eine besondere Gefahr dar: Ihre Pläne sind im Vorwege kaum zu erkennen.
Gemeint sind Terroristen, die etwa im Namen des Islam mit einem Auto in ein Volksfest rasen, die auf offener Straße Menschen enthaupten – die „Lone Wolves“ sind der Alptraum der Sicherheitsbehörden. Dabei sind solche Szenarien längst Realität: Man denke nur an die Anschläge von Islamisten in Sydney, die tödlichen Schüsse auf zwei Menschen im kanadischen Ottawa, die Morde in Paris und Kopenhagen. Während die Terrororganisation al-Qaida ihre Anschläge bislang langfristig im Verborgenen plante, fordert der Islamische Staat (IS) seine Schergen in den USA und Europa auch zu spontanen Anschlägen in ihren Heimatländern auf. „Tötet sie, wo immer ihr sie trefft“, sagte IS-Sprecher Mohammed al-Adnani im Herbst. „Fragt niemand nach Rat oder Rechtfertigung. Tötet die Ungläubigen, ob Zivilisten oder Militärs spielt keine Rolle.“
Nicht die spektakuläre, von langer Hand geplante Aktion mit Tausenden Toten ist das Ziel. Es sind barbarische Anschläge fanatisierter Einzeltäter, die die Zivilgesellschaften ins Mark treffen sollen. So hat al-Qaida vor einiger Zeit einen Bauplan für ein mit extralangen Rasenmäherklingen präpariertes Auto veröffentlicht. Auf der Fahrt durch eine belebte Fußgängerzone sollten so möglichst viele Menschen sterben.
Für die Geheimdienste sind die Taten der „Lone Wolves“ im Vorfeld schwer zu erkennen – weil sich die Täter im Stillen radikalisieren. Und weil die Täter nicht Teil eines hierarchisch operierenden Netzwerks sind. Planungen, an denen viele Menschen beteiligt sind, lassen sich durch V-Leute oder Abhörmaßnahmen besser überwachen. Es seien Einzeltäter wie Arid Uka, der 2011 allein mit einer Waffe ein Attentat am Flughafen Frankfurt verübte. „Die bereiten uns Sorgen“, sagt Voß.
Terroristen, die im eigenen Land sozialisiert sind, sind nicht neu – und keineswegs nur die Strategie islamistischer Terroristen. Der bekannteste „Lone Wolf“ war der Rechtsterrorist Anders Breivik, der 2011 in Norwegen 77 Menschen ermordete. Rechtsterror sehen die Hamburger Behörden derzeit jedoch nicht als Gefahr. Wie viele radikalisierte Einzeltäter es in Hamburg gibt, ist kaum zu ermitteln. Einfacher Grund: Sie tauchen in der Regel nicht auf dem Radar der Verfassungsschützer auf – erst dann, wenn es zu spät ist. Zur salafistischen Szene in Hamburg gehören rund 400 Personen, von denen 240 den Dschihad befürworten. Vor neun Monaten hatte die Behörde nur 70 gewaltbereite Islamisten registriert, die gestiegene Zahl führt sie auf die intensivere Dunkelfeldaufklärung zurück.
Etwa ein Dutzend „HamburgerKämpfer“ wurden getötet
Besonders im Fokus stehen Rückkehrer aus Syrien und dem Irak, die sich aktiv dem IS-Kampf angeschlossen haben. Etwa 20 der 50 dorthin ausgereisten Hamburger sind inzwischen zurückgekehrt, etwa ein Dutzend ist im Kampfgebiet gestorben. „Diese Leute kommen zum Teil traumatisiert, aber auch radikalisiert zurück und stellen eine Gefahr für die Sicherheit der Menschen in Deutschland dar“, sagt Voß. Selbst die vom Kampf traumatisierten Männer und Frauen fühlten sich noch dem Dschihad verpflichtet. Sie stiegen in der Szene schnell auf und erführen große Anerkennung, sagt Voß.
Um zu verhindern, dass Extremisten aus Hamburg über die Türkei in die Kampfgebiete einsickern, wurden in Hamburg seit 2013 16 „Ausreiseuntersagungen“ erteilt. Der Geheimdienst spricht von „wirkungsvollen“ Maßnahmen. Andererseits sind Experten wie der britische Extremismusforscher Matthew Francis der Auffassung, dass Extremisten, die kämpfen wollen, aber an der Ausreise gehindert werden, sich dafür entscheiden, den Kampf als „Lone Wolves“ in ihren Heimatländern weiterzuführen. Ausreisen in die Türkei und weiter nach Syrien sind auch durch Passentzug schwer zu kontrollieren. Islamisten wählen den Landweg durch Europa per Auto oder Bus.
Experten wie Guido Steinberg warnen vor zu schwachen Sicherheitsbehörden. Die salafistische Szene müsse „weitaus aggressiver“ aufgeklärt werden als bisher. Andere warnen vor verschärfter Sicherheitspolitik und setzen auf Prävention. Seit mehreren Jahren arbeitet Hamburg an einem Netzwerk gegen Islamismus. Darin: Sozialarbeiter, Psychologen, Lehrer, Polizisten.
Doch der Aufbau stockte lange Zeit. Ein potenzieller Träger des Projekts sprang zuletzt ab. Bislang ist das Bremer Netzwerk Kitab mit nur zwei Mitarbeitern für Norddeutschland zuständig. Im Sommer soll das Projekt nun mit jährlich 300.000 Euro ausgestattet werden. Die Sozialbehörde sucht einen Verein, der „seit langem in der Beratung von Jugendlichen und Familien tätig ist“. Auch in Gefängnissen sollen geschulte Wächter eine Radikalisierung von Häftlingen verhindern. Zudem sind alle wichtigen muslimischen Verbände in das Präventionsnetzwerk eingebunden. Auch das kostete Zeit.