Wie zwei SPD-Kandidaten auf der Hamburger Nordseeinsel um Stimmen der Insulaner werben. Nur 25 Wahlberechtigte gibt es auf Neuwerk. Ein Wahllokal zu öffnen, lohnt sich deshalb nicht.
Neuwerk. Schniefend treten sie von einem Bein auf das andere. Die Mützen tief ins Gesicht gezogen, dem Nieselregen trotzend, warten Arne Platzbecker und Hansjörg Schmidt am Nordseestrand von Sahlenburg im Westen von Cuxhaven auf ihre Verabredung. Sie sind um 6 Uhr in Hamburg aufgestanden, haben bereits zweieinhalb Stunden Autofahrt elbabwärts hinter sich – und stehen praktisch wieder vor den Toren der Hansestadt. Die Sozialdemokraten Platzbecker und Schmidt wollen nach Neuwerk. Die Insel ist Hamburger Staatsgebiet, und hier wollen die beiden Wahlkreiskandidaten aus dem Bezirk Mitte Wahlkampf machen.
Endlich kommt Steffan Griebel mit seinem Trecker und dem Wattwagen-Anhänger vorgefahren. Er ist einer von 37 Insulanern. „Eigentlich sind es zurzeit sogar nur elf. Im Winter sind die meisten von uns auf dem Festland“, sagt er. Da die Neuwerker vom Tourismus leben, ist im Winter so gut wie nichts los auf der Insel.
Eine halbe Stunde dauert die ruckelnde Überfahrt durchs Watt. Platzbecker und Schmidt machen Selfies mit ihren Mobiltelefonen. Sie dokumentieren ihren Ausflug auf Facebook und Twitter. Das Wahlvolk soll erfahren, dass sie unterwegs sind. Denn wenn man ehrlich ist, dann ist dieser Ausflug aus wahlkampftechnischer Sicht nicht sonderlich effektiv. Die Reichweite fehlt. „Wenn ich morgens am U-Bahnhof Horner Rennbahn Flyer verteile, mittags an meinem Infostand auf dem Wochenmarkt stehe und abends eine Veranstaltung habe, dann habe ich ein paar hundert Kontakte mit Hamburgern“, sagt Schmidt, der seit 2011 für die SPD in der Bürgerschaft sitzt.
Wozu ein Wahllokal öffnen?
Und so soll der ungewöhnliche Termin wenigstens über die sozialen Medien Aufmerksamkeit erregen. Außerdem ist Neuwerk nicht gerade das, was man eine sozialdemokratische Hochburg nennen könnte. Es habe zwar mal einen Genossen auf der Insel gegeben, sagt Schmidt, aber der sei schon seit einigen Jahren tot. Die derzeit 25 Wahlberechtigten machen ihre Kreuze wohl lieber bei der CDU und FDP. Genau kann das aber niemand sagen. Denn Neuwerk hat kein Wahllokal. Hier stimmt man per Briefwahl ab. Eine Zuordnung ist nicht möglich. Wozu sollte man ein Wahllokal auch betreiben. Spätestens um 9 Uhr hätten alle Neuwerker ihre Stimme abgegeben. Dennoch müsste das Wahllokal bis 18 Uhr geöffnet haben. „Bis dahin wären aber alle betrunken“, witzeln sie auf der Insel.
Auch wenn man auf der Insel den Wahlausgang nicht entscheidend beeinflussen kann, wollen Platzbecker und Schmidt ihren Besuch auf Neuwerk nicht als einen Wahlkampf-Gag verstanden wissen. „Die Insel gehört zu Hamburg und dem Bezirk Mitte. Deshalb sollte jemand, der für Mitte in die Bürgerschaft will, Neuwerk auch besuchen“, sagt Platzbecker. Und so hat er ein Treffen mit Neuwerkern organisiert, um zu erfahren, welche Themen sie umtreiben.
Nun sitzen sie in der Bar Wolkenlos, der Pension von Steffan Griebel, bei Kaffee und Keksen. Mit dabei ist Griebels Cousin Christian Griebel und Werner Fock. Alle betreiben Pensionen auf der Insel. „So, ihr habt nun 60 Prozent der Gewerbetreibenden vor euch“, sagt Fock trocken. „Die Quote schaff’ ich sonst nicht“, erwidert Schmidt lachend.
Auf Neuwerk geht es nicht um Busbeschleunigung, Fahrradwege oder Hochschulfinanzierung. Den Pensionsbetreibern drückt ganz woanders der Schuh. Es gibt lediglich ein Fährunternehmen, das die Insel mit Tagesgästen ansteuert. „Das hat im Oktober den Fährbetrieb eingestellt, dabei gingen die Herbstferien bis in den November hinein“, sagt Christian Griebel. „Das hat unseren gesamten Gastrobetrieb lahmgelegt. Cuxhaven war voller Gäste, aber die kamen nicht rüber.“
Viele Hamburger wissen nichts von Neuwerks Zugehörigkeit
In der Stadt ist es kaum noch ein Thema, aber auf Neuwerk findet man es „doof“, die Kulturtaxe zu zahlen. „Das einzige, was wir an Kultur haben, wurde ausgeschaltet“, sagt Christian Griebel und meint damit das Licht des Leuchtturms. Dafür war zwar nicht die Stadt Hamburg zuständig, sondern das Wasser- und Schifffahrtsamt Lübeck. Eine EU-Vorgabe, wie Hansjörg Schmidt weiß. Seit einem knappen Jahr leuchtet dort eine kleine Birne, „die weniger Licht macht als eine Straßenlaterne“, sagt Griebel. „Ich bin mir sicher, wenn der Leuchtturm in Hamburg stehen würde, wäre da jetzt keine Sparlampe drin.“ Touristisch könnte zudem mehr in die Hand genommen werden, findet Cousin Steffan Griebel. „Wir freuen uns natürlich, dass Hamburg so viel für den Hochwasserschutz macht. Aber es wäre ja nicht schlecht, wenn auch mal Inliner auf dem Deich fahren könnten.“
Die Wahlkämpfer schreiben mit. „Das geben wir mal weiter. Wir können nichts versprechen, aber es geht ja auch darum, Aufmerksamkeit in der Verwaltung zu schaffen“, sagt Schmidt. Ein großes Anliegen der Insulaner ist der Ablegeplatz der Wattwagen in Sahlenburg. Eine Rampe, ein wenig Schotter – das ist es auch schon. „Den müsste man dringend mal herrichten“, sagt Steffan Griebel. Aber der Platz liegt auf niedersächsischem Gebiet. Und Niedersachsen hat wenig Interesse, einen Platz herzurichten, von dem aus Touristen auf eine Insel fahren, deren Bewohner in Hamburg Steuern zahlen. Schmidt und Platzbecker schauen sich an. „Wir nehmen Kontakt mit den niedersächsischen Behörden auf.“
Platzbecker sagt, er habe die Erfahrung gemacht, dass viele Hamburger gar nicht wüssten, dass zur Stadt noch eine rund 120 Kilometer entfernte Insel in der Elbmündung gehöre. „Die meisten Hamburger fahren eher an die Ostsee, weil die näher dran ist und immer Wasser hat“, sagt Hansjörg Schmidt. Steffan Griebel kennt das Wasser-Argument. „Naja, wobei zehn Stunden Baden am Tag aber auch viel ist“, sagt er grinsend und weiß sofort von den Vorzügen des Watts vor Neuwerk zu berichten. Aber auch die Insulaner haben es nicht ständig präsent, dass sie Hamburger sind. „Gewissheit hab’ ich aber immer dann“, sagt Christian Griebel, „wenn das Finanzamt mir schreibt.“