Die Vielzahl der Stimmen, die Hamburger bei der Bürgerschaftswahl zur Verfügung haben, spaltet die Gemüter. Unsere Autoren Sven Kummereincke und Lars Haider argumentieren für und gegen die Regelung.

Das Pro

Es stimmt: Das Hamburger Wahlrecht ist nicht das einfachste. Ein Wähler mit einer Stimme für eine Partei – das würde auch funktionieren. Und das wäre natürlich auch demokratisch. Aber nur weil es etwas einfach ist, ist es noch lange nicht die beste Lösung.

Das Gegenteil von einfach ist kompliziert. Aber ist es das wirklich? Nein. Denn ich kann es mir auch mit dem aktuellen Wahlrecht ganz einfach machen. Letztlich ist es nicht viel anders als bei einer Bundestagswahl. Da gibt es die Erststimme für den Direkt-Kandidaten. Jetzt habe ich fünf für die Kandidaten. Die kann ich einem alleine geben oder mehreren, das war’s dann schon. Und statt einer Zweitstimme habe ich deren fünf. Und wenn es mich nicht interessiert, welche Personen in die Bürgerschaft kommen, sondern nur, welche Parteien die Mehrheit haben, kann ich es mir genauso einfach machen wie beim Bundestag: indem ich fünf Kreuze bei einer Partei mache.

Das Wahlrecht bietet viele Möglichkeiten – doch niemand ist gezwungen, sie zu nutzen. So kann jeder die rosa Wahlzettel mit den Wahlkreiskandidaten einfach ignorieren, ohne seine Stimme damit wertloser zu machen. Denn für das Stärkeverhältnis der Parteien in der neuen Bürgerschaft sind ausschließlich die fünf Stimmen auf den gelben Wahlzetteln entscheidend.

Wer also keine Lust oder keine Zeit hat, sich mit den vielen verschiedenen Kandidaten auseinanderzusetzen – der lässt es einfach. Der einzige Mehraufwand im aktuellen System besteht darin, dass man nicht eines, sondern fünf Kreuze bei einer Partei machen muss. Die Möglichkeiten des Wahlrechts werden aber von vielen gerne genutzt. Oft stand ich noch grübelnd in der Wahlkabine und neigte hin und her zwischen zwei Parteien. Und weil ich meine Stimme nicht teilen durfte, habe ich mich mit Bauchgrimmen schließlich für eine entschieden.

Jetzt kann ich beispielsweise der einen drei und der anderen zwei Stimmen geben. Was für ein Fortschritt! Und ich bin nicht mehr gezwungen, die allzu häufig ausgekungelten Listen-Rangfolgen der Parteien zu schlucken. Wenn mir nun also die Person auf Platz 46 am meisten zusagt, kann ich ihr meine Stimmen geben – die Wähler können jemanden ins Parlament hieven, der parteiintern chancenlos war. Was für ein Fortschritt! Und schließlich kann ich in meinem Wahlkreis mehrere Menschen aus verschiedenen Parteien wählen, wenn ich es denn möchte. Was für ein Fortschritt!

Nein, es gibt keine wirklich überzeugenden Gründe, zum alten, starren Wahlrecht zurückzukehren. Es wäre eine Entmündigung der Wähler. Das Wahlrecht ist gut, so wie es ist. Denn jeder kann es sich einfach machen – er muss es aber nicht.

Das Contra

Es gibt nicht wenige Hamburger, die in diesen Tagen das Hamburger Abendblatt telefonisch oder direkt um Rat ersuchen. Geschäftsführer sind dabei, Künstler, ja sogar Journalisten. Ihr gemeinsames Problem: Die Briefwahlunterlagen, die derzeit in Tausenden Haushalten eintreffen, und die mindestens so viele Menschen zur Verzweiflung treiben. Die Verwirrung ob der vielen Seiten und Ankreuzmöglichkeiten ist groß, der Beratungs- beziehungsweise Erklärungsbedarf auch. Und es ist zu befürchten, dass nicht wenigen Hamburgern die Lust am Wählen relativ schnell vergeht. Was eine Katastrophe wäre in Zeiten, in denen wir für jeden dankbar sein sollten/müssen, der bereit ist, sich an demokratischen Prozessen zu beteiligen.

Die Teilnahme an einer Wahl muss nicht nur gleich, gerecht und geheim, sie muss auch einfach sein, am besten kinderleicht. Eben so, dass wirklich jeder schnell und ohne Vorkenntnisse verstehen kann, was er machen muss und welche Folgen seine Stimmabgabe hat. Das Hamburger Wahlrecht wird diesen Anforderungen in keiner Weise gerecht. Die Stimmzettel sind überladen, zu komplex und kompliziert, sie können zu Enttäuschungen und Frust führen, die wir angesichts der sowieso vorhandenen Politverdrossenheit nicht gebrauchen können. Deshalb kann man nur hoffen, dass am 15. Februar in dieser Form zum letzten Mal über die Hamburger Bürgerschaft abgestimmt wird. Bis zur nächsten Wahl in dann ja fünf Jahren muss ein neues, ein klares und gut verständliches Wahlrecht her, eines, das nicht abschreckt, sondern anlockt.

Für die Politik gilt das gleiche Prinzip wie für alle Bereiche des täglichen Lebens: Je einfacher die Handhabung, desto mehr Menschen erreicht man. Das beweisen die Smartphones und Tablets genauso wie etwa der Wahl-o-mat, der auch deshalb von so vielen genutzt wird, weil er selbsterklärend ist und Spaß macht. Genau das muss das Ziel bei der Vorbereitung und Planung einer Bürgerschaftswahl sein, gerade in Zeiten, in denen schon die Auseinandersetzung mit politischen Inhalten anstrengend genug sein kann.

Kommt hinzu, dass das jetzige System zu seltsamen Entwicklungen führt, weil die Kreuze bei den Kandidaten zum Beispiel oft danach verteilt werden, wer einen angesehenen Beruf ausübt oder wer in einem bestimmten Stadtteil lebt. Das kann natürlich nicht ernsthaft die Grundlage einer politischen Entscheidung sein. Zumal ja vor kurzem bekannt wurde, dass einige Kandidaten Berufsbezeichnungen angeben, die mit ihrer tatsächlichen Tätigkeit überhaupt nichts zu tun haben. Wer sich im Wochenendkursus zum Sanitäter ausbilden lässt und das als Beruf auf den Wahlzettel schreiben ldarf, der hat eindrucksvoll bewiesen, dass dieses Wahlrecht alles ist - aber mit Sicherheit nicht das richtige für eine Gesellschaft, die um die Legitimation der Demokratie kämpfen muss.