Hamburg setzt bei dem Milliardenprojekt auf private Investoren und Nachnutzung der Arenen und Gebäude. Eine konkrete Zahl gibt es erst nach Abschluss aller Planungen.

Hamburg . Wie viele Milliarden dürfen Olympische Spiele kosten? Vier, zehn oder mehr? Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hatte dem Gigantismus lange Zeit keine Grenzen gesetzt. Höhepunkt der Preisspirale waren die Winterspiele 2014 im russischen Badeort Sotschi. Sie kosteten 40 Milliarden Euro. Seitdem hat im IOC unter Präsident Thomas Bach ein Umdenken eingesetzt, das im Dezember zur Verabschiedung eines Reformprogramms führte. Nachhaltigkeit lautet nun der Grundsatz, nach dem das IOC künftig seine Ausrichter wählen will.

Bei allen Bekenntnissen zum Abrüsten bleibt Olympia ein Milliardenprojekt und befeuert deshalb auch in Hamburg die Kritiker. Investitionen in die Zukunft oder doch Verschwendung von Steuergeldern? Das wird zur entscheidenden Frage. Der Senat trifft Vorsorge. Er plant, den größten Teil der benötigten Anlagen und Bauten von privaten Investoren finanzieren zu lassen. Und: Fast 90 Prozent der Sportstätten wären in Hamburg schon vorhanden.

Wie teuer Sommerspiele an Alster und Elbe werden, lässt sich im Moment nicht genau sagen. „Selbst wenn wir am 21. März den Zuschlag des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) erhielten, könnten wir bis zum geplanten Referendum im September nicht die eine konkrete Zahl nennen, auch wenn ich den Wunsch sehr gut verstehe“, sagt Christoph Krupp, 55, Chef der Senatskanzlei. „Diese eine Zahl gibt es in einem so frühen Stadium der Planung einfach nicht. Alles andere wäre unseriös und würde in die Irre führen.“ Allerdings garantiere der Senat, „alles, was wir über nötige Ausgaben und mögliche Einnahmen erfahren, jederzeit sofort offenzulegen“. Zudem gelte das Versprechen von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD): Hamburg wird wegen Olympia keine Schulden machen und keine anderen Projekte dafür zurückstellen. Krupp: „Beides ist zu schaffen.“

Als Bürgermeister Ole von Beust (CDU) 2007 ankündigte, die Elbphilharmonie werde die Stadt 77 Millionen Euro kosten, war klar, dass dies ein „politischer Preis“ war, der dazu diente, Öffentlichkeit und Parlament positiv auf das Projekt einzustimmen. Heute geht man von Kosten für den Steuerzahler von 789 Millionen Euro aus. Die Beustschen Fehler beim Bau des Konzerthauses will sein Nachfolger Scholz bei Olympia nicht wiederholen. Sein Senatskanzleichef erklärt die Bedingungen, die für Kostenstabilität wichtig seien: „Wir planen ja nicht nur ein Olympiagelände, sondern einen neuen Stadtteil. Wir werden so lange planen, umplanen und wieder planen, bis alle Eventualitäten berücksichtigt sind. Erst dann fangen wir an zu bauen. Und erst dann wissen wir auch, was das alles kosten wird.“ Bei der Elbphilharmonie begannen die Arbeiten als die Planungen noch liefen. Der Anfang des Desasters.

Olympia sei bei dem Gesamtvorhaben ein, aber nicht der einzige Aspekt, sagt Krupp. Das etwa 130.000 Quadratmeter große Gelände auf dem Kleinen Grasbrook werde zwar für einige Wochen Olympischen und Paralympischen Spielen als Austragungsort dienen, danach würden die Arbeiten fortgesetzt. 6000 Wohnungen sollen auf der Elbinsel einmal entstehen. „Alle architektonischen Anforderungen an die Bauten werden nicht auf die Spiele allein ausgerichtet. Arenen und Gebäude werden von Beginn an auch für ihre künftige Verwendung konzipiert“, sagt Krupp. Die große Olympiahalle der Turner zum Beispiel soll später zum Kreuzfahrtterminal umfunktioniert werden und sich über diese Nutzung auch finanzieren.

Voraussetzung, dass Olympische Spiele in Hamburg gelingen, sei eine „durch und durch solide Planung“, sagt Krupp. „Wir brauchen eine Kultur, die Fehler in einem möglichst frühen Stadium erkennen lässt.“ Klare Verantwortlichkeiten wären nötig, gut ausgehandelte Verträge, eine frühe Bürgerbeteiligung, anerkannte Schiedsverfahren. Krupp: „In der ersten Euphorie über die Elbphilharmonie hätte man sagen müssen: Wir wissen nicht, was das Bauwerk kosten wird, aber wir geben jetzt 30 Millionen für Planung und Kostenermittlung aus und entscheiden dann.“ Für Olympia wolle die Stadt erst Geld einsetzen, wenn sich der DOSB für Hamburg entschieden hat. Krupp spricht deshalb nur über mögliche Budgets für einzelne Bereiche. Elf gibt es.

1. Bewerbungskosten

Im Juli 2017 entscheidet das IOC in Lima (Peru) über den Ausrichter der Sommerspiele 2024. Bis dahin laufen Kosten für Planungen, internationales Marketing, Bürgerbeteiligung, Referendum an. Sie werden auf insgesamt 50 Millionen Euro geschätzt. Die Hälfte davon würde wohl die Wirtschaft übernehmen. Die Münchner Kampagne für die Winterspiele 2018 unterstützten nationale Großunternehmen mit rund 30 Millionen Euro. Auch das IOC hat angekündigt, sich erstmals an den Bewerbungskosten der Städte nennenswert beteiligen zu wollen, zudem scheint ein Zuschuss der Bundesregierung denkbar. Hamburg dürfte die Bewerbung damit weniger als 20 Millionen Euro kosten. Der Gegenwert wäre weltweit gestiegene Aufmerksamkeit.

2. Durchführungskosten

Hier sind alle Ausgaben des lokalen Organisationskomitees enthalten: vom Feuerwerk über die Eröffnungs- und Abschlusszeremonie, die Wettbewerbe, die Unterbringung und den Transport der Sportler bis hin zur temporären Herrichtung der olympischen Stätten wie zum Beispiel den Messehallen am Fernsehturm. Das IOC zahlte der ausrichtenden Stadt zuletzt 1,2 Milliarden Euro für die Durchführung der Spiele, dazu kommen Einnahmen von nationalen Sponsoren, aus dem Merchandising und dem Verkauf der Eintrittskarten. Bei einem Etat von 3,013 Milliarden Euro machte London 2012 am Ende 30 Millionen Euro Gewinn.

3. OlympicCity

Die Kosten für die Erschließung des Grasbrooks liegen voraussichtlich im mittleren dreistelligen Millionenbereich. Das Geld soll durch den späteren Verkauf der Grundstücke wieder reingeholt werden. Man werde ähnlich vorgehen wie bei der HafenCity, sagt Krupp, als ein „Sondervermögen Stadt und Hafen“ gebildet wurde. Daraus wurde die Infrastruktur bezahlt, dorthin fließen die Erlöse aus den Grundstücksverkäufen zurück. „Das funktioniert.“ In dem neuen Stadtteil wird ein Drittel Sozialwohnungen entstehen. Krupp: „Auch für dieses Quartier gilt der Satz des Bürgermeisters: ‚Jeder muss sich Hamburg leisten können.‘“

4. Hafenbetriebe

Die Betriebe, die für Olympia vom Kleinen Grasbrook verlagert werden müssen, sollen adäquate Flächen in anderen Teilen des Hafens erhalten. Ein Teil der Kosten werde in die Olympiaplanungen eingehen, ein Teil stelle normale Hafenentwicklung dar. Die Grundstücke gehören der Stadt, die Pachtverträge laufen 2025 aus.

5. Sportstätten

Für Sanierung, Instandsetzung und den Neubau von mindestens drei großen Arenen (Olympiastadion, Olympiahalle, Schwimmhalle) sind rund zwei Milliarden Euro vorgesehen. In welcher Höhe sich der Bund an diesen Kosten beteiligt, muss geklärt werden. Die Sanierung von Sportanlagen hat bereits begonnen. Bis ins Jahr 2020 gibt die Stadt dafür auch ohne Olympia rund 250 Millionen Euro aus. 80 vorhandene Sporthallen in 40 Stadtteilen sind als Trainingsstätten für Olympia vorgesehen.

6. Medienzentren

Presse- und Fernsehzentrum (MPC/ IBC), geplant an den Elbbrücken, sind mehrstöckige Büro- und Gewerbegebäude und können nach den Spielen als solche genutzt werden. Beide Einrichtungen sollen privat finanziert werden.

7. Unterbringung

Für den Neubau von Hotels will die Stadt den Unternehmen Flächen zur Verfügung stellen. „Wir werden keine Hotels betreiben“, sagt Krupp. Kreuzfahrtschiffe sollen im Hafen für zusätzliche Übernachtungskapazitäten während der Spiele sorgen. Auch für den Bau des olympischen Dorfes für rund 18.000 Bewohner will die Stadt kein Steuergeld ausgeben. Sie setzt auf Bauunternehmen, die die Wohnungen später vermieten und verkaufen.

8. Verkehrswege

Für das Verkehrskonzept stehen die Planungen am Anfang. In Hamburg sollen alle zentralen Sportstätten innerhalb von 30 Minuten mit dem Fahrrad erreichbar sein. Dafür sind neue Verkehrswege nicht notwendig. Olympia könnte aber den Bau der Hafenquerspange, die Verbindung zwischen den Autobahnen A 1 und A 7, und den Ausbau der norddeutschen Autobahn A 26 beschleunigen. Die Planungskosten tragen dabei die beteiligten Bundesländer, den Bau zahlt der Bund.

9. Öffentlicher Nahverkehr

Hamburg setzt auf vorhandene Kapazitäten. Die S 3 erhielte eine zusätzliche Station an den Elbbrücken, die U 4 in die HafenCity wird schon bis 2018 an die Elbbrücken verlängert. Die Fortführung der Strecke nach Harburg wäre für Olympia nicht nötig, für den späteren Stadtteil Kleiner Grasbrook wünschenswert. Die Buskapazitäten ließen sich mit überschaubarem Aufwand für die Zeit der Spiele aufstocken.

10. Sicherheit

Wie die Sicherheitslage in neun Jahren aussehen wird, weiß derzeit niemand. London gab 1,211 Milliarden Euro aus. Das Sicherheitskonzept ist Angelegenheit des Bundes, der auch für den Großteil der Kosten aufkommen soll.

11. Planung und Management

Aus diesem Topf werden unter anderem Maßnahmen der Bürgerbeteiligung finanziert oder Programme, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Stadt fördern. Hamburg wolle möglichen Aufwertungs- und Verdrängungstendenzen von Quartieren und Milieus rechtzeitig entgegenwirken, sagt Krupp. In London arbeiteten rund 1000 Menschen über mehrere Jahre für Olympia. Die Kosten lagen dafür jedes Jahr im zweistelligen Millionenbereich.

Die Sommerspiele 2012 in London, an denen sich Hamburg orientiert, kosteten mitsamt allen öffentlichen Infrastrukturmaßnahmen, – die sich auf rund sieben Milliarden beliefen –, 14,17 Milliarden Euro. Die Staatskasse bezahlte davon 7,397 Milliarden, 2,719 Milliarden Euro wurden über eine nationale Lotterie aufgebracht. Die britische Hauptstadt selbst war an dem gesamten Budget mit 1,036 Milliarden Euro beteiligt, etwa jener Summe, die auf Hamburg zukommen könnte. In der mittelfristigen Finanzplanung hat Hamburg – Zufall oder nicht – bis ins Jahr 2024 Reserven von rund einer Milliarde Euro eingeplant.

Bisher unberücksichtigt in diesen Kalkulationen sind mutmaßlich höhere Steuereinnahmen in dieser Periode und Effekte für die heimischen Firmen. In London profitierte das Handwerk durch zusätzliche Aufträge von rund drei Milliarden Euro am stärksten von Olympia. Auch die Langzeitwirkung ist schwer abschätzbar. In Barcelona, Ausrichter der Sommerspiele 1992, amortisierten sich die Investitionen bis heute um das Vier- bis Fünffache. Im australischen Sydney (2000) entstanden dank Olympia langfristig 7000 Vollzeitarbeitsplätze.

Krupp will alle diese Zahlen nicht kommentieren. Im Falle eines positiven Entscheids des DOSB werde es vor dem Referendum im Herbst „einen ausführlichen Bericht der Stadt geben, den wir dann in regelmäßigen Abständen fortschreiben würden“. Jeder könne dann die Risiken und die Abhängigkeiten sehen und selbst entscheiden, ob er Olympischen Spielen in Hamburg zustimmen möchte.