Immer wieder fallen Mitglieder mit rechtsradikalen oder populistischen Ausfällen auf. Die AfD ist um ihr bürgerliches Erscheinungsbild bemüht, doch etliche Male wurde 2014 das Schiedsgericht angerufen. Nur Einzelfälle?
Hamburg/Berlin. Ratsmitglieder, die zusammen mit der NPD abstimmen, ein Kreisvorsitzender, der behauptet, die Alliierten im Zweiten Weltkrieg hätten die Gaskammern im KZ Dachau nachträglich eingebaut – an Rechtsradikalen und Spinnern herrscht bei der Alternative für Deutschland (AfD) wahrlich kein Mangel. Der Bundesvorstand gibt sich zwar alle Mühe, Mitglieder mit extremen Ansichten aus der Partei zu drängen. Doch die große Zahl der „Problemfälle“ wird zunehmend zu einer Belastung für den Parteivorstand, der sich nach Kräften um ein bürgerliches Image bemüht.
Das Bundesschiedsgericht der AfD wurde dieses Jahr in rund 40 Fällen angerufen. Ähnlich sieht es auf Landesebene aus, wobei es nicht bei allen Verfahren um Mitglieder vom rechten Rand geht – manchmal sind es auch nur ganz profane Machtspielchen, die hinter einem Ausschluss-Antrag stehen.
Ein Parteiausschlussverfahren dauert bei der AfD mindestens einen Monat, oft noch wesentlich länger. Parteichef Bernd Lucke wäre es am liebsten, wenn der Bundesvorstand selbst über den Parteiausschluss entscheiden könnte. Doch das ist nach dem geltenden Parteiengesetz nicht erlaubt.
Auch im Landesverband Hamburg läuft nach Angaben eines Pressesprechers der Partei noch immer ein Ausschlussverfahren gegen das AfD-Mitglied Björn J. Neumann, der bei der Bürgerschaftswahl 2011 in Hamburg als Spitzenkandidat der rechtsextremen NPD angetreten war. Auch aus rechtspopulistischen Parteien hat die AfD in Hamburg Anhänger gewonnen. So war etwa der früherer Landesvorsitzende der kleinen Partei „Die Freiheit“, Jens Eckleben, im Frühjahr 2013 „Landeskoordinator“ bei der Gründung des Hamburger Landesverbandes der AfD. Bis heute ist er Mitglied der Partei.
Auch der frühere Landesschriftführer der „Freiheit“, Claus Döring, kam bei der AfD unter und kandidierte im Mai für die AfD im Bezirk-Nord bei den Bezirksversammlungswahlen. Döring nahm im Herbst an der Demonstration der Hooligans gegen Salafisten (Hogesa) in Köln teil, bei der es zu schweren Ausschreitungen gekommen war. Döring bezeichnet sich selbst als Hooligan. Auf dem Parteitag in Hamburg hatte sich AfD-Landeschef Jörn Kruse deutlich von Döring distanziert.
Döring war nicht der einzige AfDler, der für die Hooligans eintrat. Tatjana Festerling, die seit Gründung der AfD in Hamburg in der Partei aktiv sein soll und 2013 bei den Bezirkswahlen kandidierte, lobte in einem Artikel auf der Internet-Plattform „Journalistenwatch“ die Demonstration in Köln, an der auch zahlreiche Rechtsextremisten teilgenommen hatten. „Heute Abend ziehe ich meinen Hut vor den Hools, vor Euch“, schrieb Festerling. „Eure Parolen waren nicht originell, aber schnell zu merken und in keinster Weise rassistisch, rechtsextrem oder gewaltauffordernd.“
Die Demo sei „gegen Koranverteiler und Kopfabschneider, gegen radikalisierte Surensöhne und –töchter, aber nie gegen 'den' Islam“ gegangen.
Unklar ist die Rolle des früheren DVU-Politikers Torsten Uhrhammer in der Hamburger Partei. Offiziell sind frühere Mitglieder von NPD oder DVU von einer Mitgliedschaft bei der AfD ausgeschlossen. Auf Nachfrage hieß es lediglich, Uhrhammer sei „kein Mitglied der Partei“, sondern ein offenbar von der Partei tolerierter „Förderer“.
Wie schwer sich die AfD, die seit diesem Sommer in drei Landtagen vertreten ist, mit der Abgrenzung nach rechts tut, zeigen Beispiele aus den vergangenen Monaten. In Rheinland-Pfalz versucht der AfD-Landesverband aktuell seinen ersten stellvertretenden Vorsitzenden, Christian Schreckenberger, loszuwerden.
Zu den vielfältigen Vorwürfen, die gegen den Sohn des früheren Chefs des Bundeskanzleramtes, Waldemar Schreckenberger (CDU), erhoben werden, gehört, dass er nach Aussage von Parteikollegen einen Mitgliedsantrag von Heinz-Jörg Zeitzmann unterstützt hatte, und zwar obwohl Zeitzmann früher Bundestagskandidat der NPD war. Dies sei „ein No-Go für die AfD, die gerade in Bezug auf Mitglieder aus rechtsradikalen Kreisen extrem vorsichtig ist“, heißt es in einem internen Schreiben des Landesvorstandes an die Parteimitglieder.
In Duisburg hat der Vorsitzende des NRW-Landesvorstand der AfD, Marcus Pretzell, vergeblich versucht, AfD-Ratsmitglied Holger Lücht aus der Partei auszuschließen, nachdem dieser im Stadtrat für eine NPD-Kandidatin gestimmt hatte. Das Schiedsgericht des Landesverbandes lehnte den Antrag des Vorsitzenden am 6. Dezember aus formalen Gründen ab. Die umstrittene Abstimmung lag schon zu lange zurück.
„Dass man in den eigenen Reihen schwarze Schafe entdeckt, ist ein typisches Problem neuer Parteien, die binnen kurzer Zeit viele Positionen besetzen müssen“, sagt Pretzell. „Im Bundestagswahlkampf sind uns einige Leute aufgefallen, da haben wir gedacht ‚Um Himmels willen‘“, fügt er hinzu. Pretzell sagt: „Der Prozess des Aussiebens ist jetzt in einer Hochphase angelangt.“
Doch wie ernst meint es die AfD mit dem „Aussieben“ von Extremisten? Oder wie sehr ist es Kalkül der Protestpartei, genau diese Wählerklientel an die „Alternative“ zu binden. Auffällig ist, wie stark sich die AfD in den Wahlkämpfen in Ostdeutschland im Herbst gewandelt hatte. Statt auf die Euro-Kritik setzte sie auf Themen wie Innere Sicherheit und restriktive Flüchtlingspolitik.
Im Brandenburger Wahlkampf näherte sie sich der NPD an, indem sie forderte, die Grenzen zu Polen wegen häufiger Diebstähle im Grenzgebiet zu schließen. Petra Federau, Vorstandsmitglied der AfD in Mecklenburg-Vorpommern, wetterte auf ihrer Facebook-Seite über Asylbewerber und Ebola-Kranke: „Wir holen uns nicht nur die Religionskriege, sondern auch alle Krankheiten der Welt ins Land. Werden wir demnächst auch noch zwangsverpflichtet, Flüchtlinge aufzunehmen!“
Und weiter schrieb sie: "Demnächst müssen wir für eine bessere Willkommenskultur auch noch Afrikanisch lernen."
Besonders schlimm war es für Lucke und dessen Partei im vergangenen Oktober. Der Nürnberger Kreisvorsitzende Martin Sichert verstieg sich zu der Äußerung, im Zweiten Weltkrieg hätten die „zwei größten Massenmörder gesiegt“.
Am gleichen Wochenende schockierte Dirk Helms seine Parteikollegen bei einer AfD-Veranstaltung in Stockelsdorf bei Lübeck. Laut einem Bericht der „Lübecker Nachrichten“ sagte er, die Alliierten hätten die Gaskammern im Konzentrationslager Dachau nachträglich eingebaut. Helms wurde gedrängt, von seinem Parteiamt als Kreissprecher zurückzutreten.
Lucke stellte damals zu Sichert und Helms fest: „Solche Meinungen sind völlig untragbar. Sie werden in der AfD nicht geduldet.“ Eine Antwort auf die Frage, weshalb seine Partei eine so hohe Anziehungskraft auf Rechtsradikale und Revisionisten ausübt, bleibt der Parteichef schuldig. Es sagt: „Jeder, der bei uns ist, ist einer zu viel, aber die Zahl der Fälle liegt, wenn man unsere Mitgliederzahl von mehr als 21.000 betrachtet, im Promille-Bereich.“
Auch im Zusammenhang mit den Demonstrationen der selbsternannten „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) übte die SPD scharfe Kritik an der AfD. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering hat die islamfeindlichen Demonstrationen in Dresden und angekündigte Nachahmer-Veranstaltungen in Mecklenburg-Vorpommern verurteilt. Der NDR zitierte Sellering damit, NPD und AfD würden ihr „braunes Süppchen“ kochen.
SPD-Bundesvize Ralf Stegner warf der AfD rechtspopulistische Hetze vor. Die AfD in Mecklenburg-Vorpommern wehrt sich dagegen, im Zusammenhang mit den Anti-Islamismus-Demonstrationen mit der rechtsextremen NPD „in einen Topf“ geworfen zu werden. Die AfD habe „in keinster Weise etwas mit den totalitären Ansichten der NPD zu tun“, schrieb Landessprecher Leif-Erik Holm in einem Offenen Brief an Sellering.