Vor drei Jahren begann in Berlin der Erfolg der jungen Partei. Kurz vor der Bürgerschaftswahl in Hamburg stehen die Piraten im Abseits. War es das schon?
Hamburg. So begann diese Geschichte: 2011 überraschen die Piraten mit neun Prozent der Stimmen für das Abgeordnetenhaus in Berlin, eine neue Farbe taucht im Tuschkasten der Demokratie auf. Orange. Nach Berlin erobern die Piraten mit lustigen und ironischen Wahlplakaten Sitze auch in den Landtagen von Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland.
So hätte das weitergehen können: Vor der Bundestagswahl 2013 empört die Deutschen der Abhörskandal durch den US-Geheimdienst NSA. Die Piraten profitieren, ziehen sogar in den Bundestag ein. Auch bei den Wahlen in Ostdeutschland läuft es hervorragend, die Bürger sehnen sich nach den Erfahrungen des DDR-Stasi-Staates nach einer Partei, die Bürgerrechte ernst nimmt. Bei der Wahl in Hamburg im Februar scheint gar eine rot-grün-orangene Koalition greifbar. „Entern Piraten das Rathaus?“, lauten die Schlagzeilen dieser Tage. Es riecht nach Rebellion.
Nur kam alles anders. Die Geschichte der Piratenpartei nahm irgendwann einen Abweg in die Fußnoten des Parlamentarismus. Bei der Bundestagswahl 2013 spielten sie keine Rolle mehr. In Hamburg taucht die Partei in den Umfragen nicht einmal mehr gesondert auf. Sie läuft unter „Sonstige“ mit. Es riecht nach abgebrannten Streichhölzern. War es das also schon? Drei Jahre, nachdem in Berlin alles erst richtig begann.
So lange möchte Stefan Körner nicht über die Vergangenheit sprechen. „Wir waren auf gutem Weg. Doch leider haben wir uns in internen Debatten verzettelt.“ Körner, 1968 geboren, Softwareentwickler, Spitzname „Sekor“, ist seit Juni Chef der Bundespiraten. Und deshalb muss er im Gespräch über die Partei jetzt diplomatische Worte finden für Twitter-Exzessen, Beschimpfungen, Sexismus-Debatten und rechte Entgleisungen in seiner Truppe. Körner sagt lieber: „Viele Piraten haben ihre Meinungsverschiedenheiten öffentlich über das Internet ausgetragen. Das hat der Partei geschadet.“ Es sei gut, dass „einige der Hitzköpfe die Partei verlassen haben“. Wen er genau meint, sagt Körner nicht.
Die Piraten waren für viele Protest gegen Altes und Projektion für Neues
Ein Abtrünniger ist der Berliner Ex-Pirat Christopher Lauer. Gemeinsam mit dem Internet-Matador Sascha Lobo hat er nun ein Buch zu Aufstieg und Niedergang der Piraten verfasst. Man muss vorsichtig sein, wenn ein „Ex“ nach seinem Parteiaustritt mit den alten Gefährten abrechnet. Zumal, wenn der „Ex“ ein Pirat ist. Und doch lässt sich entlang der Analyse auch verstehen, warum das mit den Piraten in Deutschland nur kurz Erfolg hatte.
Bis Mitte 2012 sei die Piratenpartei vor allem eine „Projektionsfläche“ gewesen. Für dumpfe Gefühle eines digitalen Aufbruchs, dem Wunsch nach Transparenz und dem Bruch mit traditioneller Politik. Mit dem Kampf gegen Internetzensur wurde die Partei bekannt. Ihrer Gegenbild zur viel gescholtenen Hinterzimmerpolitik nannten sie „Liquid Democracy“, flüssige Demokratie, in der alles in Bewegung ist. Über ihr Wahlprogramm für Berlin hatten die etwa 12.000 Mitglieder basisdemokratisch im Internet beraten und abgestimmt. Bei den Piraten trafen sich IT-Fachleute mit jungen Unternehmern, Hipster mit Hartz-IV-Empfängern oder Historikern. Die Generation der „Digital Natives“ baute sich eine Partei.
Und die Piraten wollten dieses digitale Zeitalter in die Politik tragen. Erst als Reaktion auf das drohende Orange am Horizont der Wahlumfragen ernannten manche Parteien netzpolitische Sprecher. Die Forderung nach dem Recht auf „Privatkopie“ von urheberrechtlich geschützten Werken brachte den Piraten erstmals scharfe Kritik entgegen. Aber sie waren angekommen. Sie setzten eine Agenda. Sie waren wer.
In Hamburg setzten die Piraten das Transparenzgesetz mit durch. Behörden müssen Einsicht in ihre Entscheidungen geben. Und doch waren sie in der Stadt immer nur ein (oftmals der kleinere) Partner im Kampf für Datenschutz – neben Transparency International, dem Chaos Computer Club, Linken und Grünen, aber auch der Initiative „Mehr Demokratie“. Es war nicht ihr großer Wurf.
Trotzdem sagt Körner heute: „Die Piratenpartei ist die einzige Partei, die die Herausforderungen der digitalen Gesellschaft in die Politik tragen kann.“ Und diese dann auch lösen könne. Die anderen hätten bewiesen, dass sie für mehr Überwachung als für mehr Privatsphäre stehen würden. Die Piraten haben einen Markenkern, so wie Unternehmen. Ihre Netzpolitik. Nur reicht das?
Für Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner, langjähriger Emnid-Geschäftsführer und nun Chef von Mente Factum, gab es drei Gründe für den Erfolg der Partei: eine IT-affine Gemeinde, Protestwähler und der Wunsch, etwas Neues, wie basisdemokratische Strukturen, auszuprobieren. „Die Piraten haben es aber verpasst, in einer Konsolidierungsphase sich thematisch breiter aufzustellen“, so Schöppner.
„Datenschutz ist keine Klientelpolitik. Sie geht alle Menschen in Deutschland etwas an“, sagt Körner. Vor der Bundestagswahl 2013 schrieben die Medien fast täglich über den Ex-Geheimdienstler Edward Snowden und den Abhörskandal der US-Sicherheitsbehörden. Bundesanwälte ermittelten, Internetfirmen gelobten besseren Schutz für Kunden. Doch bei der Wahl spielt das Thema keine Rolle. Der Kampf gegen Datenklau ist das Grundrauschen der deutschen Politik. Viele hören es im Getrommel der Debatten um Pkw-Maut oder Islamisten kaum mehr.
„Wir Deutschen resignieren vor der Datensammelwut von Konzernen und der Überwachung durch den Staat“, sagt der Hamburger Politikberater Martin Fuchs. Auch die Freiheit des Internets scheine vielen nicht wichtig zu sein. Alles Themen, mit denen die Piraten mobilisieren könnten. Doch was die Leute interessiert, sind Arbeitsmarktzahlen, Ukraine-Krise und ihre Rente. Nicht gerade die Säulen der Piratenpolitik.
Wenn schon nicht die Weltpolitik – steigen die Chancen der Partei im Lokalen? Im Hamburger Wahlkampfwinter plakatieren die Piraten für eine liberale Flüchtlingspolitik und einen neuen Umgang mit Drogenkonsum, aber auch gegen die Millionen für die Busbeschleunigung. Im Programm fordern sie, dass in Hamburg die Kirchensteuer abgeschafft wird. Sie sind für die kostenlose Nutzung der Bücherhallen und eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten, aber gegen Studiengebühren. Immer wieder veranstalten Piraten Podiumsdiskussionen in den Bezirken.
Manche Forderungen sind kreativ, manches ziemlich abgegriffen. Der Nulltarif im öffentlichen Personennahverkehr, zum Beispiel. „Wir wollen den Fahrscheinzwang abschaffen und die Stadtbahn einführen“, sagt Andreas Gerhold, Fraktionschef in der Bezirksversammlung Mitte. Stattdessen sollten alle Hamburger eine monatliche Abgabe in Höhe von 25 bis 30 Euro errichten. Olympia in Hamburg lehnen die Piraten dagegen ab. „Das Geld für die Olympia-Bewerbung sollte man sparen und in den Öffentlichen Nahverkehr stecken.“
Die Bewerbung Hamburgs für Olympia lehnen die Piraten ab
Als die Piraten nach 2011 auch in anderen Parlamenten der Republik angekommen waren und ihre Bundesparteitage in den Medien besprochen wurden, fragten Journalisten nach: nicht zu Internetpolitik, sondern zu Rentenreformen und Auslandseinsätzen der Bundeswehr.
Rente, Bundeswehr, die großen Debatten. Und in Hamburg? Burkhard Masseida ist Spitzenkandidat der Piratenpartei in Hamburg. Auf die Frage, womit er im Wahlkampf Akzente setzen wolle, nennt er als erstes den Wohnungsbau. Ausgerechnet das Thema, das die Ur-DNA des SPD-Senats ist, mehr als 6000 neue Wohnungen werden jedes Jahr. Aber Masseida sagt: „Es bleibt nicht viel übrig vom sozialen Wohnungsbau des Senats.“ Heute würden mehr Wohnungen aus der Sozialbindung für günstige Mieten fallen als neue Sozialwohnungen gebaut würden. Hamburg brauche einen Anteil von mindestens 50 Prozent Sozialwohnungen bei Neubauprojekten. Und die angestrebte Mietpreisbremse müsse auch für Neubau und nach umfangreicher Sanierung gelten, sagt Gerhold.
Punkte wie dieser klingen ziemlich links, andere eher liberal. Man kann nicht sagen, die Piraten würden ausschließlich für mehr Datenschutz im Internet streiten. Aber ist es zu spät für eine Häutung – wie bei den Grünen, die von einer radikalen Öko- und Friedenspartei irgendwie doch noch zu den Bürgern fanden? Und wo wollen die Piraten überhaupt hin? Links sind Grüne und Linkspartei, auch bei den Liberalen ist die Lücke auf dem Markt der Parteien klein: neben FDP, Neuen Liberalen und (in einzelnen Punkten) auch die „Alternative für Deutschland“, AfD. Und zur Mitterechts-SPD und der CDU passen die Piraten nicht. Die Luft wird dünn.
Auch Experten wie der Politikberater Fuchs und Meinungsforscher Schöppner halten einen Wiederaufstieg der Piraten für wenig wahrscheinlich. Das Thema Datensicherheit zum zweiten Mal aufzugießen, funktioniere nicht, sagt Schöppner. Hinzu komme, dass es den Piraten an herausragenden Köpfen sowie parteilicher Geschlossenheit fehle. Denn auf einmal waren sie alle weg, die schlechten wie die besseren Politiker der Piraten: die junge Frontfrau Marina Weisband, der Provokateur Johannes Ponader, diverse Parteichefs traten ab.
Und Christopher Lauer schrieb sein Buch zum Niedergang dieser Partei. Ausgerechnet der Spitzenpirat aus Berlin, dort, wo alles so gut losging. Zum Bundestagswahlkampf 2013 plakatierte er sein Gesicht vor einen Spruch für die Bürger: „Entschuldigt, wir hatten uns es auch einfacher vorgestellt.“ Im September trat Lauer aus der Piratenpartei aus.