Der ehemalige Innensenator und AfD-Politiker Dirk Nockemann brachte das Publikum gegen sich auf. Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard verteidigte ihr Engagement für die Lampedusa-Gruppe.

Hamburg. "In einer anderen gesellschaftlichen Form würde Ihnen etwas ganz anderes blühen als diese Anzeige." Insbesondere mit dieser Äußerung in Richtung von Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard brachte der ehemalige Hamburger Innensenator und AfD-Politiker Dirk Nockemann einen Großteil des Publikums im Mittelrang-Foyer des Thalia Theaters gegen sich auf.

Im Anschluss an eine Vorstellung von Elfriede Jelineks "Die Schutzbefohlenen" hatte das Theater am Dienstag zu einer Podiumsdiskussion über die Fragen "Was darf die Kunst? Was darf die Gesellschaft?" geladen. Aktueller Anlass: eine Anzeige der AfD wenige Wochen vor der Bürgerschaftwahl gegen Deuflhard, die auf ihrem Gelände eine Winter-Unterkunft für Lampedusa-Flüchtlinge als Kunstprojekt ins Leben gerufen hatte. Moderator war Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider.

Pfarrer Sieghard Wilm von der St. Pauli Kirche entgegnete auf Nockemanns Haltung: "Kunst muss eine Wunde offenhalten, das ist sie der Gesellschaft schuldig." Deuflhard verteidigte ihre Position, sie sieht ihre Aufgabe als Künstlerin auch darin, "Debatten anzustoßen. Kunstfreiheit ist in der Demokratie eines der höchsten Güter." Auch der Jelinek-Regisseur Nicolas Stemann ging Nockemanns Position frontal an: "Ich halte es für sehr gefährlich, was er in dieser Zeit gemacht hat." Der wiederum polterte zurück, beschwerte sich über "unglaublich elitäre Arroganz", beschwor "Ordnung, Recht und Gesetz" und behauptete: "Wer die Meinung in diesem Lande macht, sind Kulturschaffende wie Sie." Pastor Wilms dazu: "Mich fröstelt, hier neben Ihnen zu sitzen."

Thalia-Intendant Joachim Lux kommentierte das grundsätzliche Problem des Umgangs mit der Flüchtlingsproblematik: "Lokalpolitik kann es natürlich nicht lösen."

Das letzte Wort in der streckenweise lautstark kommentierten Debatte hatte Stemann, der sich auf die Schlussszene mit nachempfundenen O-Tönen von Anwohnern zu einer Flüchtlingsunterkunft in bester Außenalster-Lage bezog und meinte: "Wir können nicht bei der Aussage stehen bleiben: Wir sind Pöseldorf. Ich hoffe, dass wir nicht Pöseldorf sind."

Unterdessen begrüßen zwei Drittel der Deutschen nach einer Umfrage einen Winter-Abschiebestopp für Flüchtlinge und abgelehnte Asylbewerber aus bestimmten Ländern. Schleswig-Holstein und Thüringen haben aus humanitären Gründen eine solche Ausnahmeregelung für insgesamt 15 Länder erlassen, um die Migranten nicht unvorbereitet in die Kälte dort zurückzuschicken. 66 Prozent der Befragtem unterstützen diese Entscheidung, wie eine Forsa-Umfrage im Auftrag des „Stern“ ergab.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte den Vorstoß aus den Bundesländern kritisiert. 28 Prozent der Befragten halten den Abschiebestopp, der bis Ende März gilt, ebenfalls für falsch.