Bundesregierung hält Hamburger Maßnahmen zur Verbesserung für ausreichend. BUND spricht von „schlechtem Witz“. Seit Jahren ist auch die Hamburger Luft deutlich zu stark mit Stickstoffdioxid belastet.

Hamburg. Der Streit zwischen Deutschland und der EU über die in vielen Städten zu stark mit Atemgiften belastete Luft geht in die nächste, womöglich entscheidende Runde. Die Bundesregierung hat der EU jetzt auf deren sogenannte Pilotanfrage aus dem September geantwortet, die als erster Schritt zu einem möglichen Vertragsverletzungsverfahren gilt. In dem Schreiben, das dem Abendblatt vorliegt, legt die Bundesregierung für die bisher zu stark belasteten Regionen die aktuelle Situation dar und listet die Maßnahmen auf, die zur Absenkung der Giftkonzentration ergriffen wurden.

Hintergrund ist die seit Jahren deutlich zu starke Belastung auch der Hamburger Luft mit Stickstoffdioxid. Der Anteil des giftigen NO2 liegt in vielen deutschen Regionen, auch in Hamburg, regelmäßig weit über den von der EU seit 2010 rechtsverbindlich festgelegten Grenzwerten. Rasche Besserung scheint nicht in Sicht: Der Senat selbst hat mitgeteilt, dass er auch im kommenden Jahr nicht mit der Einhaltung der Grenzwerte in Hamburg rechne. Mehrere Anträge Deutschlands auf eine Verlängerung der Frist für die Einhaltung der Grenzwerte hat die EU bereits abgelehnt. Zusammen mit Ozon und Feinstaub gehört das Reizgas NO2 zu den drei gefährlichsten Substanzen in der Luft, die nach Schätzungen der EU allein in Europa für mehr als 400.000 vorzeitige Todesfälle verantwortlich sind.

Rund 90 Prozent aller Stadtbewohner in der EU seien Abgaskonzentrationen ausgesetzt, die die Weltgesundheitsorganisation als gefährlich einschätze, heißt es aus Brüssel. Die Atemgifte, deren Hauptquellen Kfz-Verkehr und Schiffsabgase sind, können zu chronischem Husten, Bronchitis, Asthma, Entzündungen oder Lungenkrebs führen. Vorbelastete Menschen, Kinder und Jugendliche sind besonders gefährdet. Nach einer neueren Studie des Helmholtz-Zentrums kann Luftverschmutzung sogar zum vermehrten Auftreten von Insulin- Resistenzen führen, einer Vorstufe der Diabetes.

In dem Schreiben legt die Bundesregierung dar, dass die Belastungen in Hamburg seit Jahren rückläufig seien. „Seit 2010 hat sich die Luftqualität an den Verkehrsmessstationen erheblich verbessert“, heißt es darin. „Eine aktuelle Veröffentlichung des Umweltbundesamts aus Mai 2014 schätzt die Entwicklung der NO2-Belastung unter Betrachtung verschiedener Emissionsszenarien ab. Hiernach wird 2020 unter allen betrachteten Szenarien der NO2-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter an allen Hamburger Verkehrsmessstationen eingehalten.“

Zudem werden die unterschiedlichen Maßnahmen aufgezählt, die Hamburg ergriffen habe, um das Problem in den Griff zu bekommen. So fördere die Stadt die „emissionsarme Mobilität“ durch die Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs, etwa durch den geplanten Ausbau der U4 und den Bau einer neuen Linie U5, durch das Busbeschleunigungsprogramm, den Ausbau von Radwegen und des Fahrradleihsystems wie auch des Carsharings. Zudem führe die Modernisierung der öffentlichen wie privatwirtschaftlichen Fahrzeugflotten in Hamburg zu einem Sinken der Abgasbelastung – ebenso wie die Stärkung der Elektromobilität. Angegeben wird in dem Brief an die EU auch die für 2015 vorgesehene Schließung der Müllverbrennungsanlage Stellinger Moor und die geplante Landstromversorgung von Kreuzfahrtschiffen im Hafen.

Das Fazit der Bundesregierung: „Die fortschreitende Umsetzung all dieser Maßnahmen wird Schadstoffemissionen verringern und die Luftqualität weiter verbessern.“ Aufgrund der nicht von Hamburg beeinflussbaren Faktoren und „einiger nicht bekannter Parameter“ erscheine es derzeit jedoch kaum möglich, jeder einzelnen Maßnahme einen konkreten Minderungswert zuzuordnen. „In ihrer Gesamtheit werden die Minderungsmaßnahmen jedoch dazu beitragen, den Zeitraum der Nichteinhaltung des NO2-Grenzwerts in Hamburg so kurz wie möglich zu halten.“

Der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), der kürzlich in Sachen Luftbelastung vor dem Verwaltungsgericht Erfolg mit einer Klage gegen die Stadt hatte, hält diese Bewertung für einen „schlechten Witz“. Obwohl die EU nach „zusätzlichen Maßnahmen“ zur Entlastung gefragt habe, würden in dem Antwortschreiben auch zahlreiche längst bekannte oder kaum wirksame Maßnahmen genannt. Die Schließung einer Müllverbrennungsanlage sei zu vernachlässigen, wenn gleichzeitig das Kohlekraftwerk Moorburg 2015 in Betrieb gehe, so der BUND. Dasselbe gelte für 950 Elektrofahrzeuge bei einer Gesamtzahl von 850.000 in Hamburg zugelassenen Fahrzeugen. Auch in Sachen Carsharing ist man beim BUND skeptisch, da nicht belegt sei, dass dieses die Luftbelastung reduziere. Denn häufig würden die Fahrzeuge auch anstelle des öffentlichen Personennahverkehrs genutzt.

„Die Hamburger Regierung scheint das Thema Luftreinhaltung immer noch nicht ernst zu nehmen“, so das Resümee des Hamburger BUND-Geschäftsführers Manfred Braasch. „Die an Brüssel gemeldeten Maßnahmen sind nicht geeignet, die Belastungssituation von mehr als 200.000 Hamburgern in den nächsten Jahren tatsächlich zu verbessern. Es bedarf dringend einer Korrektur der ignoranten Luftreinhaltepolitik in Hamburg.“

Unterdessen warten BUND und Senat auf die Begründung des Verwaltungsgerichts aus dem November. Das Gericht hatte die Stadt aufgrund einer Klage des BUND und eines Hamburger Bürgers verpflichtet „in den Luftreinhalteplan Maßnahmen aufzunehmen, die zu einer möglichst schnellen Einhaltung des Grenzwertes für Stickstoffdioxid führen sollen“. Konkrete Maßnahmen hatte es jedoch nicht genannt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der SPD-Senat hat angekündigt, Berufung einzulegen. Sobald die Urteilsbegründung vorliegt, hat er dafür vier Wochen Zeit.