Die Kliniken der Stadt verzeichnen die höchste Geburtenrate seit vielen Jahren. Am UKE spüren die Ärzte auch, wie sich die Wünsche der Eltern verändert haben, Feng-Shui inklusive.

Hamburg. Levi ist der Agilere. Das sagt jedenfalls sein Mutter Aldedayo Topp und lächelt. Die junge Frau hält zwei selig schlafende Babys in ihren Armen – rechts Levi, links Mathis. Die beiden Jungen sind gerade mal einen Tag alt. Prof. Kurt Hecher, Chef der Geburtsklinik im UKE, beugt sich etwas über das Bett und blickt prüfend. Sein zufriedenes Lächeln signalisiert: alles in Ordnung.

Rund 3000 Geburten werde die UKE-Geburtsklinik in diesem Jahr wohl vermelden, erzählt der Mediziner beim Hinausgehen. Rund sieben Prozent davon sind Zwillingsgeburten, sodass es etwa 3200 Kinder sein werden, die in dem Eppendorfer Klinikum das Licht der Welt erblickten. Hinter den schlichten Zahlen steckt eine Erfolgsgeschichte: 2003 lag die Zahl der Geburten bei 753.

Prof. Hecher wirkt jedoch gleichmütig, während er davon erzählt. „Seit einigen Jahren beobachten wir, dass in Hamburg wieder mehr Kinder geboren werden“, sagt der Klinikchef. Das korrespondiert mit den Zuwanderungszahlen. Hamburg ist eine wirtschaftlich spannende Metropole, die vornehmlich junge, gut ausgebildete Menschen anzieht. „Da bleiben Kinder nicht aus.“

Babyboom in Hamburg

Die Gesundheitsbehörde bestätigt den Babyboom. 21.702 Kinder seien im vergangenen Jahr in Hamburgs Kliniken zur Welt gekommen, heißt es in einer Mitteilung. Eine so hohe Geburtenzahl sei seit 1998 – seitdem liegen vergleichbare Daten vor – nicht erreicht worden. In diesem Jahr dürften es sogar noch mehr werden, denn nicht nur das UKE erwartet einen neuen Rekord.

„In den fünf geburtshilflichen Abteilungen der Hamburger Asklepios Kliniken kamen in diesem Jahr bis einschließlich November knapp 8300 Babys zur Welt“, sagt Sprecher Mathias Eberenz. Bis Jahresende würden es etwas mehr als 9000 Babys – bei dann insgesamt rund 8840 Geburten sein.

Dass der Rekord aus 2013 in diesem übertroffen werden dürfte, deutete sich bereits im ersten Halbjahr an. 11.186 Kinder seien in den ersten sechs Monaten in den zwölf Hamburger Geburtseinrichtungen zur Welt gekommen, erklärte die Gesundheitsbehörde. Damit erblickten in Hamburg 661 Kinder mehr als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum das Licht der Welt.

Alles unter einem Dach

Die Geburtenklinik im UKE gilt als eine der modernsten in Deutschland. Wer hier Hektik, umhereilende Hebammen und schreiende Kinder erwartet, sieht sich rasch getäuscht. Eine angenehme Ruhe liegt über der Station. Das Gebäude ist quadratisch gebaut. Über den Innenhof fällt Licht auf die Gänge, von denen die einzelnen Zimmer abgehen. Schon die Architektur des Gebäudes signalisiert Kooperation. „Wir haben alle Fachrichtungen, die vor, während und nach einer Geburt eine Rolle spielen, beieinander“, sagt Prof. Hecher.

Sein Arm zeigt in eine Richtung: „Dort liegt die Neugeborenen-Intensivstation und dort befinden sich die Zimmer, in denen die Kinder zur Welt kommen.“ Kinderchirurgen, Neurologen, Anästhesisten und Herzspezialisten arbeiten auf derselben Etage.

Ein Haus der kurzen Wege also. Prof. Hecher spricht von einem ganzheitlichen Ansatz und öffnet ein Geburtenraum. Die Wände sind in Lila gehalten, eine Farbe, die nicht jedermanns Geschmack sein dürfte. „In Studien ist herausgefunden worden, dass Farben beruhigend auf Menschen wirken“, sagt der Mediziner lächelnd. Bei mancher werdenden Mutter habe eben Lila eine beruhigende Wirkung.

UKE ein Geburtshaus

Es ist eine Gratwanderung. Natürlich sei die Geburtsklinik ein Krankenhaus: mit Medizinern, die rund um die Uhr da seien, mit der Fähigkeit, bei Komplikationen innerhalb kurzer Zeit medizinische Hilfe zu leisten und mit den spezialisierten Angeboten für Risikoschwangerschaften. So gehört das UKE zu den wenigen Kliniken in Europa, in denen das Zwillingstransfusionssyndrom – die Babys haben gemeinsame Blutgefäße – bereits in der Gebärmutter behandelt werden kann.

Zugleich legt Prof. Hecher Wert darauf, dass seine Klinik in erster Linie auch als ein Geburtshaus wahrgenommen wird. „Wir wollen vermitteln, dass eine Geburt ein normaler, natürlicher Vorgang und keine Krankheit ist.“ Allerdings sei noch immer unter den Menschen die Haltung verbreitet, in eine Universitätsklinik gehe man, wenn man an einer komplizierten Krankheit leide.

Mit Feng-Shui und Yoga auf dem Weg ins Leben

Doch auch unter Mediziner hat noch nicht jeder den Wandel der Zeit verstanden. Das fing bei der Suche nach dem Namen der Einrichtung an. „Ursprünglich sollte sie Klinik für Geburtsmedizin heißen“, erzählt Prof. Hecher. Er habe persönlich dafür gesorgt, dass es nun „Geburtshilfe“ heiße. Da überrascht es wenig, dass neben der „beruhigenden“ Farbgestaltung der Geburtenzimmer nach dem Feng-Shui-Prinzip Yoga und Akupunktur angeboten werden und dass Hebammen wieder jene wichtige Rolle bei einer Entbindung bekommen, die sie seit jeher hatten.

Neben den fünf Geburtszimmern gibt es auf der Wochenstation zwei Einzel- und 15 Doppelzimmer. Hinzu kommen sechs Familienzimmer, wenn der Vater mit in der Klinik übernachten will. Prof. Hecher hält – das überrascht nicht – eine Klinik für den sichersten Ort, an dem ein Kind zur Welt kommen sollte. „Natürlich wollen wir nicht den Eindruck vermitteln, dass eine Geburt etwas mit einer Krankheit zu tun hat“, sagt der Mediziner. „Aber in einer Klinik können wir sofort eingreifen, wenn es zu Komplikationen wie schwere Blutungen kommt.“

Dabei stehen Prof. Hecher und seine Mitarbeiter vor den Herausforderungen, dass einerseits der Beratungsbedarf schwangerer Frauen höher ist als früher, andererseits das Verhältnis zwischen werdender Mutter und Arzt sich verändert hat. „Früher ließ eine junge Frau sich zumeist nach dem Motto ‚Der Arzt wird schon wissen, was das Beste ist‘ beraten“, sagt der Klinikchef. „Heute sind werdende Mütter selbstbewusster und ziemlich gut aufgeklärt.“

Zahl der Kaiserschnittgeburten hat sich erhöht

Das liegt auch an den Möglichkeiten, sich im Internet zu informieren. „Im Internet steht viel Richtiges“, sagt Prof. Hecher, „aber auch viel Unsinn.“ Während Prof. Hecher erzählt, tritt eine junge Ärztin auf ihn zu. Beide besprechen den Fall einer jungen Mutter. In der Wickelstube bekommt derweil ein junger Vater „Unterricht“. Stationsschwestern helfen ihm, eines seiner beiden Zwillingskinder zu wickeln.

Etwa 30 Prozent der in der UKE-Geburtsklinik geborenen Kinder kommen per Kaiserschnitt zur Welt. Prof. Hechers Klinik liegt damit unter dem bundesweiten Durchschnitt von 33 Prozent. Aber natürlich hat sich auch in Eppendorf die Zahl der Kaiserschnitte stark erhöht. Vor 20 Jahren lag die Quote bei 15 Prozent. Familien wollen mehr Planbarkeit, manche Frauen scheuen die Schmerzen und bei anderen ist der Kaiserschnitt medizinisch angezeigt.

Prof. Hecher ist grundsätzlich ein Anhänger der natürlichen Geburt. „Das ist der normale Weg und die Natur ist noch immer die wichtigste Grundlage der Menschen“, sagt er. Er glaubt, die natürliche Geburt sei ein „so elementarer Vorgang, der für Kinder besonders wichtig ist“.

Stress hat positive Aspekte

Das Baby merke beispielsweise bereits Stunden vor seiner Geburt, dass „es losgeht“. „Das verursacht Stress, keine Frage“, sagt der Mediziner. Aber dieser Stress habe positive Aspekte. „Der Körper muss sich von einem Moment auf den anderen auf eine völlig neue Situation einstellen und er macht die Erfahrung, dass er es kann.“ Unmittelbar nach der Geburt werden Atmung und Lungen aktiviert. „Wir wissen inzwischen, dass bei Kindern, die durch einen Kaiserschnitt zur Welt kam, das Risiko, später an Asthma zu erkranken, leicht erhöht ist“, sagt Prof. Hecher.

Der Mediziner sagt das in einem zurückhaltenden Ton. Er will keine Angst machen. Und er will werdende Mütter auch nicht beeinflussen oder gar umstimmen. „Wir wollen sicherstellen, dass sie keinen falschen Informationen aufgesessen sind.“ Im Übrigen hätten die meisten Frauen sich ihre Entscheidung wohl überlegt. Abgesehen davon sei die Zahl jener Frauen, die einen „echten Wunschkaiserschnitt“ vorziehen würden, eher gering.

Zurückhaltend reagiert der Klinikchef auch auf das sogenannte Social Freezing, das jüngst für Schlagzeilen sorgte. Amerikanische Technologieunternehmen bieten ihren Mitarbeiterinnen an, die Kosten für das Einfrieren von Eizellen zu übernehmen, damit sie die Erfüllung ihres Kinderwunsches mit ihren Karriereplänen abstimmen könnten. „Ich würde es nicht machen“, sagt Prof. Hecher. Allerdings sei unsere moderne Gesellschaft dadurch gekennzeichnet, einem Individuum den größtmöglichen Freiraum zu lassen. „Ich frage mich nur, ob uns das am Ende glücklich macht.“