Bisher stand vor allem der Osten Hamburgs im Fokus der Berichte über radikale Islamisten. Doch auch in Ottensen sind die Dschihadisten aktiv.
Ottensen. Die Clique junger Männer stand vor einiger Zeit in der Moschee Ulu Camii in Altona. Das Gotteshaus liegt direkt an der belebten Bahrenfelder Straße mit Cafés und kleinen Geschäften in Ottensen. Nach Angaben der Moschee-Mitarbeiter habe eine Gruppe salafistischer Männer versucht, für ihre Ideologie auch in den Räumen der Moschee zu werben. Dies hätten die Mitarbeiter der Moschee jedoch untersagt, heißt es gegenüber dem Abendblatt.
Einer Studie des Bundesamtes für Verfassungsschutz haben sich von knapp 400 Dschihadisten aus Deutschland nur etwa zehn Prozent in einer Moschee radikalisiert. Viel stärker wirkt Propaganda im Internet. Ein Ex-Rapper wirbt in YouTube-Videos aus Syrien für den „Heiligen Krieg“ und die Truppen des „Islamischen Staates“ (IS).
Und doch sind die Extremisten nicht nur im Internet aktiv. Lange fiel der Blick vor allem auf Stadtteile in Hamburgs Osten, wenn es um das Wirken der salafistischen Szene geht. Der Verfassungsschutz beobachtet zwei Moscheen in Harburg, in Mümmelmannsberg sollen Salafisten stark an Schulen für ihre politische Ideologie geworben haben.
Doch nun wurden mehrere Fälle im Westen der Stadt, im Bezirk Altona, bekannt. Die Polizei weiß mittlerweile von mindestens sechs Jugendlichen und Heranwachsenden, die aus Altona stammen, dort radikalisiert wurden und nach Syrien reisten oder ausreisen wollten. Neben den vier 14- bis 17-Jährigen, die kurz vor ihrer Abreise in die Türkei gestoppt wurden, haben die Sicherheitsbehörden auch die Gruppe Heranwachsender im Visier, aus deren Reihen der 19-Jährige stammte, der im Sommer bei Gefechten in Syrien getötet worden sein soll. Nach Informationen des Abendblatts war er zusammen mit einem Altonaer Freund vor einigen Monaten nach Istanbul und weiter nach Syrien gereist. Beide jungen Männer sollen sich in islamistischen Verbänden am Kampf beteiligt haben. Der 19-Jährige starb, sein Freund kämpft noch immer dort. Unter den aktuellen Fällen sind Menschen aus Familien mit ausländischen Wurzeln, aber auch Jugendliche ohne Migrationshintergrund.
Experten sehen im Salafismus vor allem eine Jugendbewegung. Und wie bei anderen radikalen Jugendlichen gehe es auch den jungen Islamisten um Suche nach Identität und Orientierung in einer Gesellschaft. Viele der jungen Dschihadisten hatten vor ihrer Abreise keine Arbeit. Es fehlte ihnen oftmals eine Perspektive in Deutschland. Auch Erfahrung von Ausgrenzung von Muslimen treibt laut Experten junge Menschen in die salafistischen Cliquen. Die meisten der Dschihadisten sind zwischen 22 und 26 Jahre alt. Verschwinden Minderjährige, die zur Schule gehen und bei ihren Eltern wohnen, kann eine Radikalisierung schneller auffallen. Bislang sollen bereits mehr als 40 Hamburger nach Syrien und in den Irak ausgereist sein. Weit mehr als 450 Personen aus Deutschland sollen sich den Terroristen angeschlossen haben, mehrere Tausend sind es aus ganz Europa. Aber niemand kennt die genauen Zahlen. Es sind eher Mindestangaben. Die Kenntnisse der Geheimdienste enden oft an der deutschen Grenze. Und doch zeigen Propaganda-Videos, dass eine Handvoll Deutscher nach Medienberichten an Selbstmordanschlägen beteiligt gewesen waren. Und vor allem davor sorgen sich die deutschen Sicherheitsbehörden. 120 Islamisten aus Syrien und Irak sind bereits zurückgekehrt nach Deutschland, ein Dutzend etwa nach Hamburg. Manche von ihnen traumatisiert oder desillusioniert vom Krieg, andere möglicherweise noch stärker radikalisiert.
Auffällig ist, dass alle sechs Ausreisewilligen aus Altona zuvor mit den gleichen Personen aus der salafistischen Bewegung Kontakt gehabt haben sollen. Es würde die Ermittlungen der Polizei stützen, die davon ausgeht, dass es in Hamburg organisierte Gruppen von Salafisten gibt, die den Minderjährigen und jungen Erwachsenen ein zur Ausreise nötiges Netzwerk bieten. Rechtsanwalt Mahmut Erdem ist Sprecher des „Elternrats Aktionsinitiative gegen die IS-Miliz“, an der acht Eltern teilnehmen, deren Kinder bereits in den Kriegsgebieten sind oder dies planen. Er geht davon aus, dass über hundert Jugendliche aus Hamburg in Syrien kämpfen. Im Namen der Eltern fordert er ein konsequentes Vorgehen der Sicherheitsbehörden gegen die Drahtzieher der Extremisten. Wie das Abendblatt erfuhr, soll die Clique um die vier 14- bis 17-Jährigen, die sich unter anderem in einem Altonaer Jugendzentrum trifft, bereits seit Längerem offensichtlich humanitäre Hilfe für Syrien organisiert haben. Dabei habe es Kontakt zur Clique um den getöteten 19-Jährigen gegeben. Man kannte sich, sagte ein Insider. Ob beide Gruppen zusammengearbeitet haben, ist unklar.