Ein internes Papier zeigt: Mit einem Präventionsprogramm sollen Pädagogen, Sozialarbeiter und Islamverbände radikale Muslime und deren Familien beraten. Nicht alle halten den Weg für richtig.
Hamburg. Neben Hessen und Nordrhein-Westfalen gehört Hamburg derzeit zu den Zentren des radikalen Salafismus in Deutschland. Das geht aus einer Antwort des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf eine Anfrage des Abendblatts hervor. Fast 300 junge Islamisten und deren Angehörige betreut die Beratungsstelle des BAMF derzeit. 70 davon sind Fälle aus Norddeutschland, viele in Hamburg. Für Verfassungsschutz und Polizei werden junge Menschen, die in den „Heiligen Krieg“ ziehen wollen, zum Sicherheitsproblem. Schulen, muslimische Verbände, aber auch Bürger sind besorgt über Konflikte zwischen Nicht-Muslimen und einzelnen extremistischen Jugendlichen. Anschläge auf Moscheen nehmen bundesweit zu.
Die Landesregierungen in Hessen und Nordrhein-Westfalen haben bereits Programme gestartet, die Islamisten und deren Angehörigen Hilfe anbietet. In Hamburg fehlte bisher ein Landesprogramm. Nach Informationen des Abendblatts haben sich Behörden und muslimische Verbände nun auf ein Konzept für ein Beratungsnetzwerk geeinigt. Viele Einrichtungen der Jugendhilfe oder auch einzelne Schulen seien nicht auf Konflikte mit radikalisierten jungen Muslimen eingestellt, heißt es in einem als vertraulich eingestuften Entwurf der Sozialbehörde für das geplante Beratungsnetzwerk, der dem Abendblatt vorliegt. Das neue Netzwerk solle nun diese „Zuständigkeitslücke“ schließen. Zwei Themen stehen im Fokus: Zum einen soll eine Gruppe unter der Führung der Sozialbehörde vor allem Lehrkräfte an Schulen in der Auseinandersetzung mit ihren Schülern stärken. Denn während Schulen zum großen Teil bisher gute Strategien gegen rechtsextreme Schüler im Klassenzimmer entwickelt haben, fehlt vielen Lehrern nach Einschätzung von Fachleuten das richtige Handwerk im Umgang mit religiös radikalisierten Jugendlichen.
Gleichzeitig sollen laut Konzept-Entwurf Jugendeinrichtungen oder Elternschulen, aber auch Haftanstalten geschult werden, damit sie künftig sensibler auf religiösen Extremismus reagieren können. Viele der bekannt gewordenen Fälle junger sogenannter Salafisten seien „weniger Ausdruck einer echten Radikalisierung als vielmehr ein Akt jugendlicher Neugier oder auch Provokation“, heißt es in dem Papier. Laut Verfassungsschutz reisten bislang 40 Jugendliche aus Hamburg in Kriegsgebiete in Syrien oder Irak. Das Netzwerk solle durch seine Arbeit auch zu einer Versachlichung der Debatte um junge Muslime beitragen.
In einem zweiten Schwerpunkt setzen Behörden und muslimische Verbände auf „Intervention“. Melden sich Familien oder Jugendliche bei den Mitarbeitern der geplanten Beratungsstelle, sollen Fachleute die radikalisierten Jugendlichen und deren Eltern einzeln betreuen. Dabei gehe es nicht nur um Hilfe bei der Abkehr von radikalen Ideologien, sondern auch darum, junge Menschen bei der Arbeitssuche oder der Suche nach einer Wohnung zu unterstützen. Bei der Gruppe „Intervention“ arbeiten laut Konzeptentwurf von Ende Juni auch Polizei und Verfassungsschutz mit. Viermal im Jahr sollen sich alle Teilnehmer der Arbeitsgruppen gemeinsam mit der federführenden Sozialbehörde treffen.
Auch eine zunehmende „islamfeindliche Hetze“ stellen die Autoren des Papiers fest. Vor allem die muslimischen Verbände, aber auch Fachleute sehen einen Zusammenhang zwischen der Erfahrung junger Menschen, die als Muslime mit Rassismus konfrontiert sind, und dem starken Zulauf zu Bewegungen wie dem Salafismus. Um auch Opfern von Islamfeindlichkeit zu helfen, verweist der Entwurf des Konzepts vor allem auf bestehende Einrichtungen wie dem Landesprogramm gegen Rechtsextremismus und der Antidiskriminierungsstelle des Senats.
Bisher fehlt Hamburg eine Institution, die sich gezielt mit der Prävention islamistischer Radikalisierung befasst. Dem Verein Ufuq.de (arabisch für „Horizont“) fehlen seit Ende des vergangenen Jahres die Mittel des Bundes. Ziel des Vereins: religiöse Radikalisierung schon früh zu verhindern. Ufuq.de wolle nicht die eine „richtige Religion“ vorgeben, sondern zeigen, wie viele muslimische Lebensentwürfe es geben kann – und so Jugendliche zu Toleranz erziehen. An mehr als 100 Schulen in Hamburg hielten die Mitarbeiter des Vereins Seminare mit Schülern ab. Doch seitdem die Förderung ausgelaufen ist, fällt ein Großteil der Workshops vor allem an Schulen weg.
Der Bremer Verein Kitab, der gegen Radikalisierung vorgeht, wird noch bis Ende des Jahres vom Bund finanziert. Die Mitarbeiter sind für ganz Norddeutschland zuständig und helfen in derzeit rund 35 Fällen in Hamburg Jugendlichen und Familien. Hamburg finanziert Kitab derzeit eine Stelle. André Taubert von Kitab sieht eine weitere lokale Beratungsstelle in Hamburg kritisch. Die bestehenden Einrichtungen würden sehr gut funktionieren. „Das nun neu aufzubauen, kostet Zeit und Personal. Vielmehr sollten die bestehenden Einrichtungen gestärkt werden“, sagt Taubert. Dagegen hält Birgit Sokolowski von der Elternschule in Mümmelmannsberg eine Hamburger Beratungsstelle für sinnvoll. Es bedürfe sogar Anlaufpunkten in einzelnen Stadtteilen. „Nur wer vor Ort ist, genießt das Vertrauen der Familien und der Jugendlichen.“ Zudem fehle es an Freizeitangeboten und Jugendclubs. „Gute Stadtteilpolitik ist die beste Maßnahme gegen Islamisten.“ Viele würden nur aus Langeweile begeistert vom Dschihad reden.