Fraktionschef Jens Kerstan fühlt sich beim Thema Netze-Rückkauf von IVH-Chef Michael Westhagemann in der Talkshow „Hamburg im Fokus“ falsch zitiert und fordert eine Unterlassungserklärung.
Hamburg. Zwei einflussreiche Hamburger im Clinch: Der Fraktionsvorsitzende der Grünen in der Bürgerschaft, Jens Kerstan, geht juristisch gegen den Chef des Industrieverbandes Hamburg (IVH), Michael Westhagemann, vor. Bis zum heutigen Donnerstag um 17 Uhr soll Westhagemann eine Unterlassungserklärung abgeben, andernfalls will Kerstan ihn verklagen. Das hat Kerstans Anwalt Philipp Plog dem IVH-Vorstand, der zugleich Chef von Siemens Norddeutschland ist, am Dienstag schriftlich mitgeteilt.
Hintergrund: Westhagemann hatte in der Talkshow „Hamburg im Fokus“ zum Thema „Ein Jahr Netze-Volksentscheid“ bei Hamburg1 am Donnerstag vergangener Woche behauptet, Kerstan sei mittlerweile nicht mehr so recht überzeugt vom Erfolg der Rekommunalisierung der Energienetze. Wörtlich sagte Westhagemann: „Herr Kerstan hat auch mal zwischendurch zugegeben, wenn er sich da hinstellt, in einem ‚Zeit‘-Interview, dass er eigentlich, wenn er das richtig gesehen hat heute, die Komplexität unterschätzt hat. Und wenn er vor der Fragestellung stehen würde, wüsste er gar nicht, welche Empfehlung er aussprechen kann.“
Das „vermeintliche Zitat“ sei falsch, schreibt Kerstans Anwalt. Die Behauptung sei „frei erfunden“. Tatsächlich hatte Kerstan in dem Interview, auf das sich Westhagemann bezieht, keinesfalls den Netze-Rückkauf infrage gestellt. Vielmehr hatte er Kritik an der Umsetzung durch den SPD-Senat geübt. Zugleich plädierte er für eine Professionalisierung der Bürgerschaft – da viele Projekte, etwa die Elbphilharmonie oder die Umsetzung des Netze-Volksentscheides, hochkomplex seien.
Dem Fraktionschef der Grünen nun ein falsches Zitat unterzuschieben sei eine schwerwiegende „Persönlichkeitsverletzung“, so der Anwalt, da Kerstan „mit einer erfundenen Selbstgeißelung“ als naiver und kurzsichtiger Politiker hingestellt werde. „Tatsächlich hat er nie einen Zweifel daran aufkommen lassen, dass er den Rückkauf für die richtige politische Entscheidung hält.“
Integrität massiv infrage gestellt
Sollte Westhagemann sich nicht bis zum Fristende zur künftigen Unterlassung der gemachten Aussage verpflichten, werde man „umgehend gerichtliche Hilfe nachsuchen“, heißt es in dem Schreiben, das dem Abendblatt vorliegt. Da Kerstans Integrität durch Westhagemann massiv infrage gestellt worden sei und Kerstan bereits am Sonnabend beim Grünen-Landesparteitag für die Position des Spitzenkandidaten zur Bürgerschaftswahl 2015 kandidiere, werde man Klarheit „notfalls im gerichtlichen Eilverfahren“ herstellen.
Westhagemann selbst wollte sich am Mittwoch laut Auskunft des IVH-Sprechers nicht zu dem Verfahren äußern. Kerstan sagte: „Trotz einer millionenschweren Werbe-, PR- und Angstkampagne der Gegner hat das Volk für den Rückkauf der Energienetze gestimmt. Die Kampagne wurde maßgeblich vom Industrieverband gesteuert. Es ist schlechter Stil, wenn der Verbandspräsident ein Jahr nach der Niederlage die Wahrheit verdreht.“ Er wehre sich dagegen, dass Herr Westhagemann mit versuche, seine Glaubwürdigkeit zu beschädigen. „Die hohen Einnahmen der Stromnetzgesellschaft machen deutlich, dass die Stadt vom Rückkauf schon jetzt profitiert.“
Der Konflikt hat eine Vorgeschichte. Nachdem Westhagemann am 8. September im Abendblatt für eine erneute absolute Mehrheit der SPD plädiert hatte, warf Kerstan ihm öffentlich vor, die SPD-Wirtschaftspolitik durch eine „rosarote Brille“ zu betrachten. Parallel schickte Kerstan dem IVH-Chef einen Brief, in dem es hieß: „Mit Erstaunen haben wir der Presse entnommen, dass Sie der Ansicht seien, Herr Scholz habe Hamburg zu einer Innovationsstadt gemacht, aber auch mit Interesse gelesen, dass Sie ein eigenes Infrastruktur-Ressort vorschlagen.“ Um über die Situation an den Hochschulen und die von Westhagemann geforderte „Umweltpolitik mit Augenmaß“ zu diskutieren, lud Kerstan den Siemens-Chef zu einem Gespräch ein. Dieser habe aber auf den Brief gar nicht reagiert. Laut IVH war aber bereits ein Treffen geplant.
Eine Rolle dürfte der erwähnte Parteitag der Grünen spielen. Am Sonnabend will die Partei die Landesvorsitzende Katharina Fegebank zur Spitzenkandidatin für die Bürgerschaftswahl wählen. Um die zweite Spitzenkandidatur konkurrieren Fraktionschef Kerstan und Ex-Justizsenator und Verkehrspolitiker Till Steffen.