Das Stromnetz gehört jetzt der Stadt und wirft unerwartete Gewinne ab. Auf 26,6 Millionen Euro wurden die Prognosen korrigiert. Beim Gasnetzrückkauf hakt es. Eine Bilanz ein Jahr danach.
Hamburg. Am 22. September ist es genau ein Jahr her, dass die Hamburger in einem Volksentscheid für den Rückkauf des rund 35.000 Kilometer langen Energienetzes aus Strom-, Gas- und Fernwärmeleitungen votierten. Ein guter Zeitpunkt, um eine erste Zwischenbilanz des Rückkaufs zu ziehen.
1. Die Entscheidung
Das Ergebnis des parallel zur Bundestagswahl durchgeführten Volksentscheids fiel denkbar knapp aus. Insgesamt 444.352 Hamburger stimmten mit Ja, also für den vollständigen Rückkauf der Energienetze. Das entsprach 50,9 Prozent der Stimmen. 428.980 Hamburger stimmten mit Nein (49,1 Prozent). Die Mitstreiter der von Verbraucherzentrale, BUND und Teilen der Nordkirche getragenen Initiative jubelten – und mit ihnen die Grünen und die Linke, die den Rückkauf unterstützt hatten. Weniger froh war man bei CDU, FDP und der u.a. von Wirtschaftsverbänden getragene Initiativen gegen den Rückkauf. Bei Vattenfall und E.on freute man sich sicher auch nicht über das Ergebnis, denn beide Energieversorger wollten ihre Netze lieber behalten.
Auch die SPD war zwar gegen den vollständigen Rückkauf gewesen und hatte sich für eine bereits umgesetzte 25,1-prozentige Beteiligung der Stadt ausgesprochen. Gleichwohl machte sie sofort deutlich, dass sie den Volkswillen nicht nur akzeptieren, sondern auch professionell umsetzen wolle. SPD-Fraktionschef Andreas Dressel zog noch am Abend der Abstimmung den Entwurf eines Bürgerschaftsantrags aus der Tasche, mit dem die ersten Schritte zur vollständigen Rekommunalisierung eingeleitet werden sollten.
2. Der Kauf des Stromnetzes
Durch den Ausgang des Volksentscheids bekam die Stadt die Netze nicht automatisch zurück. Denn Strom- und das Fernwärmenetz gehörten zum Zeitpunkt der Abstimmung Vattenfall, das Gasnetz E.on. Zur Erlangung von Strom- und Gasnetz gab es nun für den SPD-Senat zwei mögliche Wege. Entweder die Stadt konnte mit einer eigenen Gesellschaft als Konkurrent von Vattenfall (Strom) oder E.on (Gas) in die Konzessionsverfahren gehen. Oder sie kaufte Vattenfall und E.on ihre Netze im Vorwege ab, übernahm deren Personal und Know-how und hätte so bessere Chancen, die jeweilige Konzession auch zu bekommen. Diese vergibt zwar die Stadt. Laut Gesetz muss aber derjenige die Konzession bekommen, der am besten in der Lage ist, das Stromnetz zu managen. Unterlegene Bewerber können dies gerichtlich überprüfen lassen.
Die Stadt entschied sich für Kaufverhandlungen. Zunächst ging es dabei um das Stromnetz, dessen Konzession bereits 2015 neu vergeben wird. Anders als vor dem Volksentscheid noch erklärt, ließ sich Vattenfall schließlich auf einen Verkauf des Stromnetzes und des Fernwärmenetzes ein. Die Stadt übernahm Mitte Januar die Stromnetz Hamburg GmbH vollständig. Bisher war sie mit 25,1 Prozent an der Gesellschaft beteiligt. Der genaue Kaufpreis wird von unabhängigen Gutachtern festgelegt. Geeinigt hat man sich aber zunächst darauf, dass das gesamte Stromnetz 550 Millionen Euro kosten soll. Für die 74,9 Prozent musste Hamburg also fast 412 Millionen Euro bezahlen. Für den Fall, dass Gutachter den Wert niedriger taxieren, wurde Vattenfall ein Mindestpreis von 371 Millionen Euro für seine 74,9 Prozent zugesichert.
Im Juni 2014 stellte die nun vollständig städtische Stromnetz Hamburg GmbH sich mit neuen Investitionsplänen der Öffentlichkeit vor. Demnach sollen bis 2018 mehr als 160 Millionen Euro pro Jahr investiert werden. Neben Instandhaltung und Modernisierung stehen zahlreiche Großprojekte an. Ob sich die Investitionskosten auf Netzentgelte und damit auch auf den Strompreis auswirken, ist derzeit noch unklar.
Bis Ende 2015 werden 1100 Mitarbeiter von Vattenfall in die städtische Gesellschaft übergegangen sein. Negativ wirkt sich die Trennung vom Berliner Vattenfall-Netz aus. Da manche Aufgaben gemeinsam erledigt wurden, muss die Hamburger Stromnetz GmbH nun wohl zusätzliches Personal einstellen. Sicher ist, dass die Stromnetz Hamburg GmbH die Konzession von 2015 an erhält. Denn alle Mitbewerber haben sich aus dem Konzessionsverfahren verabschiedet. Im ersten Jahr übertrafen die der Stadt zufließenden Gewinne aus dem Stromnetz die Prognosen der HGV: Das Ergebnis fiel etwa 3,4 Millionen Euro besser aus als erwartet.
3. Fernwärme-Vereinbarung
Parallel zur Vereinbarung über das Stromnetz, einigten sich Senat und Vattenfall auf den Übergang des Fernwärmenetzes – allerdings erst für 2019. Auch hier war das Konstrukt wie beim Strom: Die Stadt hielt 25,1 Prozent an der gemeinsamen Gesellschaft Vattenfall Wärme Hamburg, der das Fernwärmenetz und die Kraftwerke Tiefstack und Wedel gehören. Vattenfall hielt 74,9 Prozent. Hamburg hat sich nun eine Kaufoption zum 1. Januar 2019 gesichert. Zu diesem Datum kann Hamburg die Vattenfall-Anteile übernehmen. Auch hier sollen Gutachter die Preise ermitteln. Auch hier wurden aber bereits jetzt Mindestpreise festgelegt. Für den Fall, dass Vattenfall das geplante GuD-Kraftwerk (Gas und Dampf) in Wedel baut, wurde der Gesamtwert der Fernwärme auf mindestens 1,150 Milliarden Euro festgelegt. Für die 74,9 Prozent müsste die Stadt rund 861 Millionen Euro zahlen. Wenn hingegen bis 2015 keine Entscheidung für den Bau einer GuD-Anlage in Wedel getroffen wird, beträgt der Mindestpreis für die 74,9 Prozent 712 Millionen Euro.
Die wichtigste Entscheidung zur Fernwärme soll 2015 fallen – bald nach der Bürgerschaftswahl. Dabei geht es um die Frage, wie die Versorgung künftig gesichert werden soll. Das von Vattenfall geplante Wedeler GuD-Kraftwerk gilt mittlerweile vielen Experten als überdimensioniert. Eine Alternative wäre der Bau eines kleineren Kraftwerks und die zusätzliche Errichtung kleiner dezentraler Blockheizkraftwerke – was technisch allerdings problematisch und daher teuer sein dürfte. Derzeit prüfen Gutachter die möglichen Varianten. Diese sollen Ende des Jahres der Öffentlichkeit präsentiert werden, sodass das Thema Energiepolitik auch im Wahlkampf diskutiert werden kann.
4. Ringen um das Gasnetz
Auch mit der Firma E.on, der das etwa 7300 Kilometer lange Gasnetz gehört, verhandelt der Senat über den Rückkauf – und zwar bereits seit Monaten. Eine Einigung gibt es noch nicht. Die Konzession läuft zwar noch bis Ende 2018, kann aber auch vorzeitig zu Ende 2016 gekündigt werden. Die Frist für eine solche Sonderkündigung läuft Ende November 2014 ab. „Ich setze darauf, dass wir die Verhandlungen noch zum Erfolg führen“, sagt SPD-Fraktionschef Andreas Dressel. „Sollte das nicht klappen, werden wir kündigen.“ Dann wird man sich wohl in Konkurrenz zu E.on um die Konzession bewerben – was die Chancen auf einen gerichtsfesten Zuschlag nicht unbedingt erhöht.
5. Chancen und Risiken: Erste Bilanz
Das gute Ergebnis der Stromnetz Hamburg GmbH (vgl. Seite 1) zeigt die Chancen, die für die Stadt im Rückkauf liegen. Allerdings wird es um die 20 Jahre dauern, bis sich der Kauf amortisiert. Die vor dem Volksentscheid hier und da geweckte Hoffnung auf sinkende Energiepreise hat sich beim Strom als falsch erwiesen. Die Netzentgelte und so auch die Strompreise könnten durch nötige Investitionen sogar steigen. Auch kann man mit dem Verteilnetz keinen Einfluss auf die Erzeugung nehmen und für mehr Ökostrom sorgen. Anders ist das beim Fernwärmenetz, bei dem man auch die Erzeugung übernimmt.
Eine weitere Chance des Rückkaufs: Wenn Hamburg das Gasnetz übernimmt, könnte die Stadt das Gas-, Strom, Wasser- und Abwassernetz aus einem gemeinsamen Querverbunds-Infrastrukturunternehmen betreiben. Das könnte größere Einsparungen in der Verwaltung ermöglichen.
Ein Risiko besteht nach Ansicht der Volksinitiatoren bei der Fernwärme. Sollte der Wert des Netzes bis zur Übertragung 2019 nämlich unter den vereinbarten Garantiepreis (s.o.) fallen, dürfte die Stadt gar nicht kaufen – weil die Zahlungen eines überhöhten Preises gegen die Landeshaushaltsordnung verstößt. SPD-Fraktionschef Dressel versichert aber, dass man alles tun werde, den Wert des Netzes zu erhalten. „Rechtlich haben wir zwar nur eine Kaufoption vereinbart“, so Dressel. „Politisch ist das aber eine Kaufpflicht.“
Der Chef der Stromnetz Hamburg GmbH zieht eine „insgesamt sehr positive Bilanz“. Obwohl einige unerfüllbaren Hoffnungen geweckt worden seien, lasse die Rekommunalisierung „für die Stadt Hamburg einen positiven Effekt erwarten“. Auch die Volksinitiative „Unser Hamburg – unser Netz“ ist zufrieden mit der bisherigen Umsetzung. Es sei vor allem gelungen, energie- und kommunalpolitischen Einfluss wieder in die Stadt zurückzuholen.
Der Chef des Industrieverbands, Michael Westhagemann, sieht den Rückkauf nach wie vor kritisch. Schon heute seien neue Kosten entstanden und Risiken hinzugekommen. Westhagemann fordert, vor Volksentscheiden klar die Kostenrisiken zu benennen.
Auch die CDU bleibt skeptisch. „Der Rückkauf verbessert weder das Klima, noch werden die Verbraucherpreise fallen“, sagte Fraktionsvize Roland Heintze. Für FDP-Fraktionschefin Katja Suding werden „die Ziele der Volksinitiative durch den Rückkauf nicht erreicht“.
Grünen-Fraktionschef Jens Kerstan dagegen sagt: „Die HGV rechnet mit hohen Gewinnen aus dem Stromnetz. Das zeigt: die unkalkulierbaren Risiken, von denen die Gegner des Rückkaufs immer geredet haben, waren reine Panikmache.“
Linke-Fraktionschefin Dora Heyenn hat zwar den Rückkauf unterstützt, ist aber nicht mit allem einverstanden, was der Senat bei der Umsetzung entschieden hat – etwa bei der Fernwärme. „Das Ganze ist kein Selbstgänger“, so Heyenn, „Es muss parlamentarisch und außerparlamentarisch immer wieder mit Nachdruck eingefordert werden.“
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