Doch noch längst nicht alle Schule schicken bisher Gewaltmeldungen. Dunkelziffer vermutlich höher. Bildungssenator Ties Rabe will Expertengruppe einsetzen, um die Ursachen zu erforschen.
Hamburg. An Hamburger Gymnasien geht es vergleichsweise friedfertig zu, an Grundschulen und Stadtteilschulen dagegen werden noch deutlich mehr Gewalttaten gemeldet als in den Jahren zuvor. Insgesamt 1908 Taten hat die Schulbehörde im vergangenen Schuljahr verzeichnet – davon 196 an Gymnasien, 647 an Grundschulen und 726 an Stadtteilschulen. Im Schuljahr 2012/13 waren es insgesamt 1103. Schulsenator Ties Rabe (SPD) will eine Expertengruppe aus Polizei und Schulbehörde einsetzen, um die Gewaltmeldungen zu analysieren und Vorschläge für weitergehende Maßnahmen zu entwickeln. Seit 2009 werden die Fälle der Schulbehörde gemeldet, und die Zahl der Meldungen steigt jedes Jahr kontinuierlich.
Im Vergleich zum Schuljahr 2009/2010 hat sich die Zahl der gemeldeten Übergriffe fast vervierfacht. Damals wurden 507 Taten gemeldet, davon 159 schwere Tatvorwürfe (Kategorie 1) und 348 leichtere Tatvorwürfe (Kategorie 2). In der aktuellen Statistik gab es 317 schwere Tatvorwürfe und 1591 leichtere Tatvorwürfe. Das hat die Senatsantwort auf eine Anfrage von Christoph de Vries, familienpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, ergeben. Zur ersten Kategorie zählen etwa Sexualdelikte, Raub, Erpressung und gefährliche Körperverletzung, zur zweiten Kategorie gehören einfache Körperverletzung, Diebstahl und Beleidigungen.
„Statistisch betrachtet ereignen sich an jedem Schulalltag mehr als zehn Gewaltvorfälle in Hamburg“, sagt de Vries. „Gegenüber dem Vorjahr wurden etwa 73 Prozent mehr Gewaltmeldungen abgegeben.“ Die Gewalt in Hamburgs Klassenzimmern und auf den Schulhöfen sei förmlich explodiert. „Es ist eine traurige Wahrheit, dass Körperverletzungen, Bedrohungen und sexuelle Übergriffe längst zum Alltag an Hamburgs Schulen gehören“, sagt de Vries, der der Schulbehörde vorwirft, die Probleme zu verharmlosen.
Senator Ties Rabe sagt: „Die Schulen haben in den letzten Jahren eine Kultur des Hinschauens entwickelt, sie reagieren sensibler und konsequent auf Gewaltvorfälle und nehmen die mit einer Meldung verbundenen Unterstützungsleistungen gern an.“ Die zunehmenden Meldungen würden aber auch Fragen aufwerfen. „Diese Fragen nehmen wir sehr ernst“, sagt Rabe.
Auch Christian Böhm, Leiter der Beratungsstelle Gewaltprävention in der Schulbehörde, spricht von einer Kultur des Hinschauens bei den Lehrern: „Man muss jeden Vorfall ernst nehmen, jede Tat bedeutet ein Opfer.“ Aber er sagt auch: „Es sind die einfachen Delikte, die die Zahlen in die Höhe schnellen ließen.“ Der Meldebogen sei für Lehrer praktisch, niemand müsse mehr zur Polizeiwache, um eine Tat zu melden, sagt der Psychologe. „Die meisten Schulen haben das Thema Prävention inzwischen angegangen.“
Noch längst nicht alle Schulen schicken aber bislang Gewaltmeldungen, der Anteil hat sich seit 2008 aber von 32 auf 70 Prozent gesteigert. Auffällig ist nach Angaben von Ties Rabe, dass von Schule zu Schule und auch von Lehrkraft zu Lehrkraft sehr unterschiedliche Maßstäbe angesetzt werden. Trotz ähnlicher Schülerzahl und Sozialstruktur meldeten die Schulen in Eimsbüttel beispielsweise nur halb so viele Vorfälle wie die Schulen in Altona. Die meisten Meldungen gab es im Bezirk Mitte (51.698 Schüler, 74 schwere Vorfälle, 362 leichte), gefolgt von Altona (32.358 Schüler, 60/233), Eimsbüttel (30.818 Schüler, 30/75), Nord (35.714 Schüler, 46/193), Wandsbek (51.137 Schüler, 58/389), Bergedorf (20.281 Schüler, 34/158), Schlusslicht ist Harburg (19.859 Schüler, 15/181).
Gewalt von Schülern richtet sich nicht nur gegen ihresgleichen, sondern auch gegen Lehrer, Erzieher und andere Erwachsene an den Schulen – er gab erneut 134 Übergriffe auf sie. Dabei wurden im vergangenen Schuljahr 82 Lehrkräfte, 18 Erzieher, neun sozialpädagogische Fachkräfte und 33 weitere Personen – wie beispielsweise Schulwegbegleiter – geschädigt.
Wie schon in den vergangenen Jahren waren die tatverdächtigen Schüler überwiegend männlich. Am häufigsten werden laut Behörde Gewalttaten von Jungen im Alter zwischen elf und 15 Jahren gemeldet, die unter 14-Jährigen sind strafunmündig. Von den 2254 Gewalttätern waren 1654 Jungen und rund 600 Mädchen. Allerdings ist die Zahl der gewalttätigen Mädchen überdurchschnittlich gestiegen.
Die polizeiliche Kriminalstatistik und die in mehreren deutschen Städten, darunter auch Hamburg, durchgeführten Dunkelfeldstudien, belegen übrigens, dass die Gewalt unter Jugendlichen insgesamt zurückgeht.