Senat plant Veranstaltung der kurzen Wege. Auf dem Kleinen Grasbrook soll ein Olympiazentrum für 10.500Sportler entstehen. Ein Nachnutzungskonzept soll für alle Sportstätten entwickelt werden
Hamburg. „In Hamburg geht es“, lautet der erste Satz des 46-seitigen Dossiers, in dem die Stadt die 13 Fragenkomplexe des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) fristgerecht bis zum 31. August, 24 Uhr, beantwortet hatte. Auch in pluralistischen Gesellschaften mit einer hoch entwickelten Bürgerbeteiligung sei es möglich, Olympische und Paralympische Spiele auszurichten. Hamburg, glaubt Bürgermeister Olaf Scholz, sei deshalb prädestiniert, um Sommerspiele in einem neuen, bescheidenderen Format auszurichten: kompakt, nachhaltig, umweltfreundlich, frei von jedem Gigantismus. „Hamburg macht Hamburger Spiele“, sagte Jürgen Mantell, der Präsident des Hamburger Sportbundes (HSB).
Dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) könnte diese Idee gefallen. Unter Federführung des neuen deutschen Präsidenten Thomas Bach will das IOC die Vergaberichtlinien und die Rahmenbedingungen für seine Spiele überarbeiten. Motto der Veränderungen: Nicht die Ausrichterstadt soll sich dem IOC anpassen, sondern das IOC den Bedingungen vor Ort.
Auf Vorschlag mehrerer Nationaler Olympischer Komitees, darunter war auch der DOSB, könnte Nachhaltigkeit künftig in einem umfassenden Sinn begriffen werden: Umwelt, Menschenrechte, sozial, ethisch und finanziell. Die Reformen sollen auf der außerordentlichen IOC-Mitgliederversammlung am 7./8. Dezember in Monte Carlo beschlossen werden. Dass die Pläne eine Mehrheit finden, gilt als wahrscheinlich, schließlich sind sie das Projekt des vor einem Jahr gewählten Präsidenten. Das wäre dann die maßgeschneiderte Vorlage für Olympia in Hamburg.
Alle Sport- und Trainingsstätten in Hamburg sollen in einem Radius von zehn Kilometern innerhalb von 30 Fahrminuten erreicht werden. „Wir wollen Olympia nicht am Stadtrand ausrichten, sondern die Spiele mitten in die City holen“, sagte Scholz, „das ist etwas ganz Besonderes, weil es in anderen Städten eben nicht möglich ist.“
In Hamburg schon. Die Stadt setzt auf Spiele im Stadtkern, auf fußläufige Distanzen zwischen den zentralen Wettkampfstätten. Das Olympiazentrum mit Olympiastadion, Schwimm- und Olympiahalle (Turnen, Finalspiele der Ballsportarten) und olympischem Dorf für 10.500 Sportler und bis zu 7000 Trainer und Betreuer würde sich auf dem Kleinen Grasbrook befinden, der etwa 110 Hektar großen Elbinsel gegenüber der östlichen HafenCity, zehn Minuten Fußweg – über eine Klappbrücke – vom Rathaus entfernt.
Die dort ansässigen Hafenbetriebe (Fruchtterminal, Autoverladung) würden nach Westen verlagert. Die Hafenwirtschaft hat ihre grundsätzliche Bereitschaft zum Umzug signalisiert. Das Pressezentrum ist in zwei Hochhäusern am nördlichen Brückenkopf der Elbbrücken geplant, das Fernsehzentrum in bestehenden und neu zu errichtenden Logistikhallen südlich des Kleinen Grasbrooks. Die dortigen „50er Schuppen“, Hamburgs letzte Kaischuppen aus der Kaiserzeit, würden zur Kulturmeile. Im nördlichen Wilhelmsburg soll das Mediendorf für bis zu 17.000 Journalisten gebaut werden, nebenan wäre Platz für das olympische Jugendlager.
Als weiteres Veranstaltungszentrum für Badminton, Boxen, Fechten, Judo, Ringen und Taekwondo sind die modernisierten Messehallen am Fernsehturm vorgesehen. Bis zu 8000 Zuschauer könnten hier die Wettbewerbe verfolgen. Hockey würde im St.-Pauli-Stadion am Millerntor und auf den dortigen Nebenplätzen auf Kunstrasen gespielt, Tennis auf Asche am Rothenbaum, Beachvolleyball auf Sand im Elbpark Entenwerder. Ruderer und Kanuten würden auf der Regattastrecke in Allermöhe um Medaillen fahren. Hier fanden Anfang August die Junioren-Weltmeisterschaften der Ruderer statt. Im Stadtpark könnten die Modernen Fünfkämpfer wettstreiten, in der O2 World am Volkspark die Handballer, im Derbypark in Klein Flottbek die Reiter.
Außerhalb Hamburgs würden die Vielseitigkeitsreiterei (Luhmühlen/44 Kilometer vom Grasbrook entfernt), das Schießen (Garlstorf/37 km) und Golf (Gut Kaden/35 km) ausgetragen. Vorrundenspiele im Fußball, Handball, Basketball und Volleyball sind auch in Niedersachsen, Bremen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern geplant, Handball in den Hochburgen Flensburg und Kiel.
Um das Segelquartier bewerben sich Rostock/Warnemünde, Lübeck-Travemünde, Kiel und Cuxhaven. Diese Entscheidung soll die noch zu gründende Bewerbungsgesellschaft treffen, in der Hamburg, der Bund und der DOSB vertreten sein würden.
Hamburg verfügt bereits über 1600 Sportstätten, darunter 225 Sportplätze, etwa 680 Sporthallen, fast 50 private und öffentliche Schwimmbäder sowie 24 Leistungszentren. Für Olympia müssten in Hamburg zwar zahlreiche dieser Anlagen renoviert werden, neugebaut aber nur das Olympiastadion (70.000 Plätze), die Olympia- und Schwimmhalle (jeweils 15.000 bis 20.000 Plätze), ein 7er-Rugby-Stadion (8000 Plätze, im Volkspark geplant) und eine Kanuslalom-Wildwasserstrecke (8000 Plätze, Wilhelmsburg). Das Investitionsbudget für die Sportstätten läge für 2024 bei rund 2,09 Milliarden Euro, für 2028 bei 2,17 Milliarden Euro. Die jetzigen Pläne sind nur Vorschläge, mögliche Konturen für Olympia in Hamburg. Im Dialog mit dem IOC, dem DOSB und der Bevölkerung könnten sie verändert oder modifiziert werden.
Für alle Sportstätten wird ein sportliches oder gewerbliches Nachnutzungskonzept entwickelt, keine Anlage wird später leerstehen. „Unser Ziel ist es, schon bei der Planung den Mietvertrag für die spätere Nutzung in der Tasche zu haben“, sagte Sportsenator Michael Neumann. Im olympischen wie im Mediendorf sollen jeweils 3000 Wohnungen entstehen, ein Drittel davon wäre geförderter Wohnungsbau. Die Olympiahalle würde von vornherein als Kreuzfahrtterminal konzipiert, die Schwimmhalle könnte zu einem Erlebnis- und Wellnessbad umgestaltet werden. Das Olympiastadion würde auf 20.000 Plätze zurückgebaut und als Leichtathletik- und Football-Arena erhalten bleiben. Im Mantel des Stadions könnten Büros, Gewerbeflächen, Hotels und Wohnungen entstehen.
Olympische Spiele würden in Hamburg im Zeichen des Umwelt- und Lärmschutzes stehen: nachhaltiger Umgang mit energetischen Ressourcen in Gebäuden, mit öffentlichen Gütern, Einsatz umweltschonender Baustoffe, besondere Berücksichtigung von Gesundheit und Behaglichkeit, nachhaltiger Gebäudebetrieb und Barrierefreiheit. Die „Olympic City“ auf dem Kleinen Grasbrook wäre nur zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu erreichen – auch nach den Spielen könnte Hamburgs neuer Stadtteil weitgehend autofrei bleiben. Alle Olympiateilnehmer sollen Fahrräder erhalten, die danach verkauft oder versteigert werden. Für die Stadt ist eine „Olympic Bike Lane“ angedacht, eine reservierte Fahrbahn für Fahrräder. S- und U-Bahn würden die Besucher bis auf 800 Meter an die Eingangsbereiche am Kleinen Grasbrook heranfahren. Am Stadtrand sollen großflächige Park+Ride-Plätze entstehen.
Hamburg will die Nachhaltigkeit Olympischer Spiele vorher messen und bewerten lassen. „Die Ergebnisse würden öffentlich dargestellt und Gegenstand eines kontinuierlichen Dialogs“, heißt es in dem Bewerbungspapier. Auch will Hamburg keine Schulden für Olympia machen, betonte der Bürgermeister: „Die Schuldenbremse gilt!“