Hamburgs Bewerbung um die Olympischen Sommerspiele 2024 oder 2028, die der SPD-geführte Senat auf den Weg gebracht hat, erfordert vom Sportsenator den Wechsel in ein neues Rollenfach.
Innen- und Sportsenator Michael Neumann gilt nicht gerade als Großmeister der Diplomatie. Wenn dem Sozialdemokaten ein Gesprächspartner quer kommt, kann er schon mal ungehalten reagieren. Die mildeste Form des Tadels ist dann ein süffisant-ironischer Unterton in Neumanns Sprache. Hamburgs Bewerbung um die Olympischen Sommerspiele 2024 oder 2028, die der SPD-geführte Senat mit seinem Beschluss am Dienstag auf den Weg gebracht hat, erfordert vom Sportsenator allerdings den Wechsel in ein neues Rollenfach: das des geduldigen Erklärers und gewinnend-sympathischen Werbers für die olympische Sache.
Soll das Olympia-Abenteuer ein Erfolg werden, muss die Idee in der Stadt breit getragen werden: Neumann – fachlich zuständig und im Senat bislang am heftigsten von der Olympia-Begeisterung erfasst – muss informieren, Bedenken und Kritik ernst nehmen und möglichst ausräumen. Kurzum: Er muss auch Skeptiker vom Senats-Konzept der Spiele am Wasser überzeugen.
Auf der politischen Bühne hat der Senat in Sachen Olympia-Bewerbung bislang fast allein agiert. Hinter den Kulissen legt die sonst bisweilen sehr schweigsame und verschlossene Landesregierung jedoch eine ungewöhnliche Beredsamkeit und Offenheit an den Tag. Alle sollen zumindest in den Informationsfluss einbezogen werden – selbst die stärksten Olympia-Gegner, die bei den Linken sitzen. Und genau das ist in erster Linie Neumanns Job.
Wie ernst der Sportsenator seine Aufgabe nimmt, zeigte diese Woche. Neumann hatte alle 121 Bürgerschafts-Abgeordneten zu einem diskret gehaltenen Hintergrundgespräch eingeladen, um über das Senatskonzept für Olympia zu informieren. Das Vorgehen offenbarte ein ungewöhnliches Maß an Transparenz bei den Regierenden: Neumann berichtete den Abgeordneten – auch denen der Opposition – bereits am Montagabend über Details aus der Senatsdrucksache, die das Kabinett erst am darauffolgenden Tag beschließen wollte – eigentlich ein Sakrileg.
Bei Olympia ist aber offenbar alles anders. „Es geht schließlich nicht darum, mal eben drei Champions-League-Finals an einem Tag in der Stadt zu organisieren – Olympia ist weit mehr“, pflegt Neumann zur Dimension der Herausforderung zu sagen.
Da war es schon ein Wermutstropfen, dass sich nur ein Bruchteil der Abgeordneten aus erster Hand über die Bewerbung informieren lassen wollte. Einmal verloren sich sieben, beim zweiten Termin am Donnerstag gut zehn Parlamentarier im großen Sitzungssaal 151. Neumann widmete sich dennoch seiner Aufgabe mit Hingabe. Teilnehmer berichten von einer Begegnung auf Augenhöhe und dem Bemühen des Senators, alle Fragen umfassend zu beantworten. Der eine oder andere fühlte sich sogar ein wenig überfordert, weil Neumann ihm zum Zwecke des Distanzabbaus forsch das Du aufdrängte. Das ist denn über die Parteigrenzen hinweg doch eher die Ausnahme.
Wer dabei war, erfuhr, wie „grün“ der Senat die Spiele plant. So ist eine Idee, ein Parkhaus für 30.000 Fahrräder zu bauen. Der Kleine Grasbrook – das Olympiazentrum mit dem noch zu bauenden Olympiastadion und dem Olympischen Dorf – soll während der Spiele fast autofrei sein. Da keine „Ruinen“ wie nach den Spielen in Athen (2004) und Peking (2008) entstehen sollen, sehen die Planungen einen neuen Stadtteil auf dem Kleinen Grasbrook mit bis zu 4000 Einwohnern vor. Das neue Viertel könnte dauerhaft autofrei sein – ein ökologische Visitenkarte. Vorausgesetzt die Hafenwirtschaft ist einverstanden, das Gelände zu räumen.
Neben den Einzelterminen dieser Woche informiert Neumann die sogenannte parlamentarische Begleitgruppe regelmäßig über den Stand der olympischen Dinge: Hier sitzen die fünf Fraktionsvorsitzenden und die sportpolitischen Sprecher von SPD, CDU, Grünen, Linken und FDP zusammen. Im Auftrag dieser Runde basteln Rechtsexperten bereits an einem Gesetzentwurf für eine verbindliche Volksbefragung, Referendum genannt. In einem solchen, von allen Fraktionen befürworteten Referendum, das es bislang nicht gibt, sollen die Hamburger im kommenden Jahr über Olympia entscheiden.
Auch für die Begleitgruppe gilt: nicht einbinden, sondern nur informieren. Zwar sind CDU und FDP für die Bewerbung um Olympia, aber die Grünen sind uneins und die Linken komplett dagegen. Keine Oppositionsfraktion will sich aber billig vor den Karren des Senats spannen lassen. Und offensichtlich will auch der Senat das Olympia-Schiff vorerst allein weiter steuern.
Das ist dann doch überraschend. Am Montag wird Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) die Antworten des Senats auf die 13 Fragen des DOSB zur Olympia-Kandidatur – gleichbedeutend mit dem Hamburger Konzept – der Öffentlichkeit vorstellen. Die 121 Abgeordneten erhalten darüber hinaus eine förmliche Senatsmitteilung, der das 45-Seiten-Papier für den DOSB angehängt ist. Wäre jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für den Start einer Pro-Olympia-Kampagne und die Schaffung eines breiten Bündnisses einschließlich wohlmeinender Parteien, das den Senat bei seiner Bewerbung unterstützt?
Doch Scholz und Neumann werden den umfangreichen Katalog der Bürgerschaft mit zum Teil sehr kritischen Fragen zu Finanzierung und Sicherheit erst nach dem 6. Dezember vollends beantworten. An diesem Tag fällt beim DOSB die endgültige Entscheidung zwischen Berlin und Hamburg. Ohne die kompletten Antworten wird es aber kaum ein Bürgerschaftsvotum geben. Dabei sind es bis Dezember drei Monate, in denen die Stadt mit einem breiten Bündnis den DOSB von ihrer Entschlossenheit überzeugen könnte.
Neumann geht einen anderen Weg und warnt vor zu früher Euphorie. Beim ersten Olympia-Versuch um die Jahrtausendwende war die Begeisterung groß („Feuer und Flamme“) und die Enttäuschung über das frühe Aus umso größer. „Man soll erst gackern, wenn das Ei gelegt ist“, lautet die erfahrungsgetränkte Strategie des Sportsenators.
Der Autor leitet das Landespolitik-Ressort des Abendblatts