Freispruch für den ehemaligen HSH-Nordbank-Vorstand um Dirk Jens Nonnenmacher. Gericht kritisiert Angeklagte scharf, kommt aber zum Urteil: „Im Zweifel für die Freiheit“.

Ein erleichtertes Lächeln stiehlt sich in seine Züge. Er, der sonst so Kühle und Unnahbare, zeigt tatsächlich Gefühle. Für einen Moment wirkt Dirk Jens Nonnenmacher wie befreit, den kumpelhaften Schlag auf den Rücken, mit dem ihm sein Verteidiger gratuliert, steckt der 50-jährige Hüne locker ein. Ein Freispruch nach fast einem Jahr Prozessmarathon, nach 62 Verhandlungstagen, das ist Grund genug, einen Augenblick lang die unergründliche Maske abzulegen. Doch schnell erscheint der frühere Vorstandschef der HSH Nordbank wieder so, wie ihn die Öffentlichkeit seit Jahren kaum anders kennt: kühl und distanziert. In seinem Umfeld hieß es oft, das sei nur der Schutzpanzer eines eigentlich unsicheren und sensiblen Menschen, doch viele Beobachter empfinden ihn vor allem als arrogant.

Dabei sind es wahrlich keine Lobeshymnen, die Nonnenmacher und seine früheren Kollegen im Vorstand der HSH in der Urteilsbegründung des Prozesses vor einer Wirtschaftsstrafkammer zu hören bekommen. Zwar spricht das Gericht alle sechs Angeklagten – die früheren Vorstandschefs Hans Berger und dessen Nachfolger Nonnenmacher sowie die ehemaligen Vorstände Hartmut Strauß, Joachim Friedrich, Bernhard Visker und Peter Rieck – vom Vorwurf der Untreue im besonders schweren Fall frei. Allerdings bescheinigt die Kammer ihnen zugleich, dass ein eigentlicher angestrebter geschäftlicher Coup mit Namen Omega 55 in Wahrheit ein finanzielles Desaster war und sie zudem ihre Pflichten vernachlässigt haben. Allein: Für eine Verurteilung reicht dies aus rechtlichen Gründen nicht aus. Fehlentscheidungen der Angeklagten hätten nicht „die Grauzone in Richtung Strafbarkeit“ überschritten, sagt der Vorsitzende Richter Marc Tully. Deshalb kommt das Gericht zu dem Schluss: „Im Zweifel für die Freiheit“.

Seiner gut 90-minütigen Urteilsbegründung stellt das Gericht eines voran: „Es bestand zu keinem Zeitpunkt der Verdacht, dass die Angeklagten sich Gangster- – oder wie man heute sagt – Bankster-gleich zu ihrem eigenen unmittelbaren Vorteil an dem ihnen anvertrauten Vermögen der HSH Nordbank vergriffen hätten.“ Allerdings sei das Geschäft Omega 55, mit dem die damaligen Vorstände Risiken auslagern und so die Eigenkapitalquote entlasten wollten, „objektiv wertlos“, betont Tully. Und auch die Frage, ob der Vorstand seine Pflichten verletzt habe, indem er sich nicht ausreichend über die Risiken dieser Transaktion informieren ließ, beantwortet das Gericht klar mit „Ja“. Gleichwohl sei die Pflichtverletzung nach Überzeugung der Kammer nicht ausreichend „gravierend oder schwerwiegend“ oder auch „evident“, wie es unter anderem das Bundesverfassungsgericht fordert. „Wir nehmen das Urteil zur Kenntnis und werden prüfen, ob wir Revision einlegen“, so der Sprecher der Hamburger Staatsanwaltschaft, Carsten Rinio. Nonnenmachers Verteidiger Heinz Wagner meint indes, er „hoffe“, dass die Anklagebehörde „so klug ist, nicht in Revision zu gehen. Das Verfahren hat Kraft und Nerven vieler Beteiligter gefordert.“ Sein Mandant sei wegen des Freispruchs „erleichtert“.

Wie kaum ein anderer wurde Nonnenmacher, dem in Anlehnung an sein Unterschriftenkürzel „No“ und seine Professoren- und Doktortitel der Spitzname des James-Bond-Bösewichts Dr. No anhaftet, mit dem Bild des vermeintlich bösen Bankers identifiziert. In der Finanzkrise galt der Mathematikprofessor als einer der umstrittensten Banker Deutschlands. Der süffisante Gesichtsausdruck, die Unnahbarkeit, die streng zurückgegelten Haare und die Arroganz, mit der er viele behandelte, machten den 50-Jährigen zum geradezu perfekten Feindbild. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Nonnenmacher mit dem umstrittenen Deal Omega 55, der so gründlich schiefging und um den der Prozess ein Jahr lang kreiste, kaum etwas zu tun hatte, denn er war erst gut zwei Monate vor Abschluss des Geschäfts als Finanzvorstand zur HSH Nordbank gekommen.

Rückblick: Die HSH Nordbank entstand 2003 aus der Fusion der Landesbanken von Hamburg und Schleswig-Holstein. Erklärtes Ziel der Landesregierungen war es, eine Bank von internationalem Format zu formen. Das lief über einige Jahre reibungslos – die Bilanzsumme und mit ihr die Gewinne wuchsen vor allem dank milliardenschwerer Schiffsfinanzierungen unaufhörlich. „Wir waren alle besoffen vor Glück“, räumte die frühere Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) einmal rückblickend ein. Auch Richter Tully bezeichnet die hochfliegenden Träume am Mittwoch als „Ausfluss nicht unerheblicher Selbstüberschätzung“. Dank der Haftung der hinter ihr stehenden Bundesländer konnte sich die HSH extrem billig Geld beschaffen und pumpte es unaufhörlich in neue Geschäfte. Dass dabei manch faules Ei, zum Beispiel abenteuerliche Investments in Übersee, eingekauft wurde, wurde dann 2007 im Zuge der US-Immobilienkrise deutlich.

Mit Blick auf den für 2008 geplanten Börsengang lautete daher Ende 2007 die Maxime des Vorstands, möglichst viele riskante Geschäfte auszulagern – denn die müssen mit Eigenkapital abgesichert werden und schmälern dieses. Und Börsianer schätzen niedrige Kapitalquoten gar nicht. Geschäfte im Umfang von insgesamt 17Milliarden Euro sollten in aller Eile aus den Büchern verschwinden – das war in etwa die Situation, in der Dirk Jens Nonnenmacher im Herbst 2007 nach Hamburg kam und kurz darauf die Transaktion Omega 55 mit abzeichnete wie alle anderen Vorstände auch.

Als der Deal 2010 aufgelöst wurde, hatte er laut Anklage der Staatsanwaltschaft der Bank einen Verlust von 158 Millionen Euro eingebrockt. Sie warf den sechs Angeklagten vor, Omega 55 nicht ausreichend geprüft zu haben und zu hohe Risiken eingegangen zu sein, als sie das komplexe Geschäft im Eiltempo absegneten. Damit hätten sie ihre Pflichten verletzt. In seinem Plädoyer hatte der Vertreter der Anklagebehörde den Managern vorgeworfen, sie hätten den Expertisen der Fachabteilungen „im Blindflug“ vertraut und sie „nach Frühstücksdirektoren-Art unterschrieben“. Für Nonnenmacher hatte er 15Monate Haft auf Bewährung und 150.000 Euro Geldbuße gefordert, für die anderen Vorstände Bewährungsstrafen zwischen zehn und 22 Monaten und Geldbußen zwischen 40.000 und 100.000 Euro.

Die Verteidigung hatte dafür plädiert, die Ermessensspielräume von Vorständen durch ein Urteil nicht weiter einzuschränken. Risikofreude sei kein Schimpfwort, sondern ein Element der Unternehmenssteuerung, hatte einer der Anwälte gesagt. Die Verteidigung aller Angeklagten hatte Freispruch gefordert.

In der Urteilsbegründung betonte Richter Tully, die mit Omega 55 angestrebte Entlastung der Kapitalquote sei nicht erreicht worden, weil das zunächst ausgelagerte Risiko quasi durch die Hintertür komplett wieder zurückgekommen war. Mehr noch: Die HSH habe sogar „neue Risiken in Höhe von etwa 400 Millionen Euro“ von der Pariser Großbank BNP Paribas übernehmen müssen, so Tully. „Dadurch wird das ganze Geschäft objektiv sinnlos und wertlos.“ Für diese eigentlich unbeabsichtigte und sinnlose Übernahme von Risiken bemühte der Richter einen schlichten Vergleich: „Das ist wie die Heizdecke auf einer Butterfahrt.“ Den Verlust aus dem Geschäft bezifferte er im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft auf etwa 30Millionen Euro.

Scharf kritisierte Tully, dass die früheren Vorstände die schriftliche Vorlage für Omega 55 im Laufe des Prozesses hartnäckig als „makellos“ und „über jeden Zweifel erhaben“ verteidigt haben. „Beides ist evident nicht der Fall“, so Tully. Dem Rechtsfrieden hätten größere Demut und „gewisse Einsicht in die Unzulänglichkeit des eigenen Handelns“ eher gedient.

Die Gerichtsentscheidung stößt sogar bei der Verteidigung auf Lob: „Das Urteil war auf höchstem intellektuellen Niveau und stärkt mittelbar den Wirtschaftsstandort Deutschland“, sagte Bergers Anwalt Otmar Kury.

Ob das Urteil auch zur Rehabilitierung der Angeklagten führt, bleibt abzuwarten. Die HSH Nordbank hält an zivilrechtlichen Schadenersatzansprüchen gegen ihre Ex-Vorstände mit Nachdruck fest. Und die Staatsanwaltschaft Kiel bestätigte auf Abendblatt-Nachfrage, dass sie weiterhin gegen Nonnenmacher und den früheren Justiziar der Bank ermittelt, weil sie dem damaligen Vorstand Frank Roth belastendes Material untergeschoben haben sollen, um ihn 2009 entlassen zu können. Zumindest für den früheren Vorstandschef Nonnenmacher, der Ende 2010 selbst gehen musste, als die diversen Aktivitäten der von ihm beauftragten Sicherheitsfirma Prevent öffentlich wurden, ist das Kapitel HSH also noch nicht beendet. Nonnenmacher, der seine Rolle immer darin gesehen hat, die HSH Nordbank „aus einer nicht von mir verschuldeten existenziellen Krise herauszuführen“, dürfte das als tragisch empfinden. Jedenfalls hatte er die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen ihn als „absurd“ abgetan.

Der Freispruch gibt ihm nun recht. Die Begründung des Richters nicht.