Von der Hamburger Bürgerschaftswahl soll ein Signal des Aufbruchs für die gesamte FDP ausgehen. Doch Fraktionschefin Suding und Landesvorsitzende Canel können einander nicht ausstehen.

Hamburg. Sonniger Sonntag. Gleichgültige Gesichter. Europawahl-„Party“ der FDP in einem Konferenzraum des Hotels „Grand Elysee“. Es ist erst Viertel vor sechs, die Wahllokale sind noch geöffnet. Aber Sylvia Canel weiß längst, wie das heute ausgeht. Sie hat „Hochrechnungen“ auf ihrem Handy, wie sie sagt. Es sind die üblichen Wasserstandsmeldungen der Meinungsforscher, die an Wahlsonntagen nachmittags in den Berliner Parteizentralen kursieren. Drei bis dreikommafünf Prozent für die FDP.

„Wir müssen besser werden“, sagt Sylvia Canel und fügt noch hinzu, dass man Getränke und Büfett bitte selbst bezahlen möge. „Wir haben alles Geld für den Wahlkampf ausgegeben.“ Dann gibt Jörg Schönenborn in der ARD die erste Hochrechnung bekannt. „FDP, drei Prozent“. Zwanzig, dreißig Freidemokraten haben sich mittlerweile im „Elysee“ versammelt.

Einige seufzen auch kurz auf. TV-Ton aus. Plauderei an. Auch ein bisschen Galgenhumor. FDP-Alltag 2014, Tendenz: hinnehmend. Dabei soll von hier, von Hamburg aus, von dieser FDP im kommenden Winter eine frohe Botschaft ausgehen für den ganzen Rest der liberalen Truppe. Ein Signal des Aufbruchs.

Hoffnung trifft auf Realität

Spätestens im Februar bei der Bürgerschaftswahl, so das Kalkül der Berliner Parteispitze, muss die FDP endlich wieder erfolgreich sein, um nicht endgültig in diesen tödlichen Strudel aus Enttäuschung und Bedeutungslosigkeit gerissen zu werden. Erneuter Einzug in die Bürgerschaft. Wahl gewonnen. Geht doch. Mit ein bisschen Glück sogar gleich weiter in den Senat. Falls Olaf Scholz von der SPD dann einen Bündnispartner suchen müsste, wollen auch die Elbliberalen parat stehen. Regierungsbeteiligung. Sozialliberal reloaded. Ja, das wäre eine Möglichkeit. Vielleicht auch nur eine letzte Hoffnung.

In der Realität ist Hamburgs FDP von einem Wahlerfolg weiter entfernt als die Alster von der Spree. Spätestens am Dienstag vergangener Woche, als das Ergebnis der Bezirkswahlen bekannt wird, bekommen die Liberalen diese Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit wieder einmal schwarz auf weiß. 3,7 Prozent hamburgweit, bei einer für die kleinen Parteien äußerst vorteilhaften geringen Wahlbeteiligung. Aus zwei der sieben Bezirksversammlungen ganz raus. In den anderen fünf marginalisiert, keine Fraktionsstärke, schlechter als die AfD. Falls die SPD nach der Bürgerschaftswahl einen Koalitionspartner benötige, werde er zuerst mit den Grünen sprechen, lässt Olaf Scholz schon mal ausrichten.

„Wir müssen jetzt alle an einem Strang ziehen“, sagt Sylvia Canel, die bis zum vergangenen Herbst Bundestagsabgeordnete war, und erhält dafür einen kleinen Beifall im Hotel „Elysee“. „Innerparteiliches Knirschen sollte besser auch innerparteilich bleiben.“ Nochmal Beifall. Geschlossenheit, ja das wäre vielleicht auch eine Möglichkeit.

Die Wahrheit ist: Die Hamburger FDP ist von Geschlossenheit noch viel weiter entfernt als von einem guten Wahlergebnis. Von „Mobbing“ ist die Rede, von tiefer „Feindschaft“ zwischen der Landesvorsitzenden Canel und der Chefin der Bürgerschaftsfraktion, Katja Suding. Von „Zickenkrieg“ und „eisigem Schweigen“ gefolgt von E-Mail-Salven in spitzem Ton. Von Terminen, die nicht zustande kommen. Von einem Showdown auf dem Landesparteitag Anfang Juli.

Sylvia Canels - Landesvorsitzende

Dann wollen die Liberalen ihre Kandidatenliste für die Bürgerschaftswahl aufstellen. Dann soll Suding, die ihre schon damals malade Partei im Jahr 2011 in einem medialen Parforceritt quasi allein über die Fünfprozenthürde zerrte, erneut zur Spitzenkandidatin gewählt werden. Die Frage ist nur, ob das auch klappt.

Sylvia Canel. Sitzt einem gegenüber im weißen Polo-Shirt. Plaudert ganz locker. Über ihre Idee davon, wie FDP wieder funktionieren könnte bundesweit. Thematische Öffnung, Erneuerungsprozess, sozial-liberale Ansätze betonen. Zwei Flügel ausbilden, um wieder fliegen zu können. Herauszukommen aus dem Loch. Versuchen, die Intellektuellen wieder für die FDP zu begeistern, streitbare Liberale zu sein. Christian Lindners Neustart-Solo verläuft ihr zu schleppend. Hamm-Brücher, Stadler-Euler, Gisela Wild. Solche Frauen fehlen ihr.

Auch streitbare Wirtschaftsliberale; der Euro, der ESM, das waren Sylvia Canels Themen, als sie noch im Bundestag saß. Kontroverse Diskussionen. Umweltthemen. Breiteres Spektrum. Kein Patentrezept. Mehr Mut. Mehr Überzeugungskraft. Mehr Künstler. Die würden ihr fehlen in ihrer Partei. Katja Suding? „Ich arbeite mit Frau Suding professionell zusammen“, sagt Sylvia Canel. „Dass wir zwei Frauen sind, bedeutet nicht automatisch, dass wir uns streiten.“ Dass sie ihrer Fraktionschefin die Hand reicht, das sagt sie auch noch.

Katja Suding - Fraktionschefin

Suding würde sie nicht ergreifen. Strahlend. Rotes Jackett. Schwarzer Bob. Graue Jeans. Hingucker. Eine Schönheit. Alles perfekt. Wer die 38-jährige in ihrem Fraktionsbüro im dritten Geschoss des linken Hamburger Rathausflügels besucht, muss nicht lange nachdenken, wie die damals völlig unbekannte Katja Suding 2011 zur Senkrechtstarterin der Hamburger Politik werden konnte. Große Plakate, große Kampagne. Gelbe Öljacke. KatJa. KatJa, KatJa. Wahlsieg. Gegen den Trend schon damals, gegen die miesen Umfragedaten der FDP, auch gegen ihre hölzerne Rhetorik.

Der Unterschied zu 2011 ist, dass Katja Suding nach vier Jahren in der Bürgerschaft das Image der Polit-Barbie souverän abgelegt hat. Haushaltskennziffern, Stadtteilschulen, Hapag-Lloyd, HSH Nordbank, A 7-Sperrung – hat sie alles drauf. In der Bürgerschaft wird sie längst ernst genommen, in der Hamburger Wirtschaft auch. Sie sitzt im Bundespräsidium ihrer Partei, anerkannt. Vermutlich würde sie im kommenden Winter sogar eine knackige Wahlkampfrede halten können. Würde.

Wenn sie denn antritt. Wenn. „Wir brauchen wieder eine Mannschaft, die funktioniert.“ Ist einer von zwei Sätzen, den sie zu diesem Thema autorisiert. Der zweite lautet: „Es gibt auch ein Leben außerhalb der Politik.“ Während sie ihn ausspricht, steckt Suding ihre Hände so betont locker in ihre Hosentaschen, dass man kein Psychologe sein muss, um diese Geste zu interpretieren: Die werden schon sehen, wie weit sie ohne mich kommen. In die Bürgerschaft eher nicht. Eine Einschätzung, mit der Katja Suding zumindest nicht allein da steht.

Kubicki steht hinter Katja Suding

Wolfgang Kubicki ist schon auf dem Sprung. FDP-Retter im Dauernoteinsatz, ein bisschen aufgeribbelt gerade, nach all den Monaten, aber Hamburg liegt ja gleich vor seiner Tür. Kubicki will für Katja Suding kämpfen im kommenden Jahr. Auch schon am 5. Juli, wenn es drauf ankommen wird. Klartext reden, wie immer, er ist inzwischen ja auch stellvertretender Bundesvorsitzender, also zuständig für derartig verfahrene Lagen wie die in Hamburg.

Kubickis Botschaft: „Die Bundespartei braucht dringend Erfolge. Die Bürgerschaftswahl ist für die FDP eine Riesenchance. Um sie zu nutzen, brauchen wir Katja Suding. Ich empfehle Sylvia Canel deshalb, sich im Interesse der Partei auf ihre Aufgabe als Landesvorsitzende zu konzentrieren und dafür zu arbeiten, dass die FDP 2017 wieder in den Bundestag zurückkehren kann.“ Eigene Ambitionen, Canels Wunsch, selbst für die Bürgerschaft zu kandidieren, müssten im Sinne des liberalen Ganzen leider zurückgestellt werden.

Sylvia Canel tut sich schwer, dieser Empfehlung zu folgen. Sehr schwer. Sie würde ausgesprochen gerne für die Bürgerschaft kandidieren, wieder über ein Mandat verfügen. Also sagt sie: „Wir müssen schauen, wer bei den Bezirksversammlungswahlen die meisten Stimmen bekommen hat. Diejenigen sollten dann auch bei der Bürgerschaftswahl kandidieren, um ein möglichst gutes Ergebnis zu erzielen.“

Canels Kampfansage

Das klingt auf Anhieb nicht wie eine Kampfansage, ist aber eine. Wer sich die Ergebnisse der FDP bei den Bezirkswahlen anschaut, der findet erst auf den hinteren Listenplätzen bekanntere Namen. Darunter einige Bürgerschaftsabgeordnete, die allesamt als reine Zählkandidaten angetreten sind, zum Auffüllen der Listen, und auch entsprechend unauffällig abgeschnitten haben. Man findet aber auch Sylvia Canel und ihren früheren Bundestagskollegen Burkhard Müller-Sönksen. Beide haben so viele persönliche Stimmen eingesammelt, dass sie trotz abseitiger Listenplätze den Einzug in die Bezirksversammlungen von Wandsbek beziehungsweise Eimsbüttel geschafft haben.

Folgt man also Canels Logik zur Aufstellung der Bürgerschaftsliste, müssten die Parteitagsdelegierten sowohl Müller-Sönksen als auch Canel selbst auf einem vorderen Listenplatz nominieren. Das wäre wohl zugleich das Ende der landespolitischen Karriere von Katja Suding.

Um Viertel nach sechs hört schon keiner mehr zu im Konferenzraum „Europa“ des „Elysee“-Hotels. Alexander Graf Lambsdorff, Spitzenkandidat der Liberalen bei der Europawahl, Jörg Schönenborns Gründe für das schlechte Abschneiden der Partei, Kubickis Analyse. Alles bleibt hier ungehört. Hamburgs Liberale sind sich selbst genug. Sylvia Canel ergreift noch einmal das Wort. „Die FDP braucht Zeit“, sagt sie, „Zeit für den Neustart.“ Ein Monat bleibt ja noch.