2015 wird die SPD in Hamburg vermutlich einen Koalitionspartner brauchen. Bürgermeister Olaf Scholz will dann als erstes mit den Grünen reden. Die sehen die Avancen skeptisch.

„Früher war alles besser“ ist ein statistisch nicht belegbares, in der Bevölkerung aber dennoch weit verbreitetes Empfinden. Außer der menschlichen Neigung, die Vergangenheit zu verklären, gibt es auch das umgekehrte Phänomen, dass ein Ereignis noch Jahre später traumatische Erinnerungen hervorruft. So ein Déjà-vu der unangenehmeren Art dürften diese Woche viele Grüne in Hamburg gehabt haben. Auslöser war ein einziger Satz von Bürgermeister Olaf Scholz. Mit Blick auf die Bürgerschaftswahl in neun Monaten hatte er im Abendblatt-Interview gesagt: „Sollte es nicht allein für eine Regierungsbildung reichen, fragen wir als Erstes die Grünen.“

Der SPD-Politiker hatte damit eigentlich nur eine Selbstverständlichkeit ausgesprochen, denn wer sich die politische Landschaft in Hamburg nach den Bezirkswahlen vom vergangenen Sonntag anschaut, muss zu dem Schluss kommen, dass Rot-Grün nach der Wahl im Februar 2015 zumindest die wahrscheinlichste Regierungskonstellation ist. Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass das überraschend magere Ergebnis der SPD von 35Prozent vor allem der Tatsache geschuldet war, dass die Bezirkswahlen von der Bürgerschaftswahl entkoppelt und an die Europawahl angedockt wurden – die stoßen traditionell im sozialdemokratischen Lager auf weniger Interesse als etwa bei den Anhängern der Grünen, was denen rekordverdächtige 18 Prozent bescherte. Nicht nur Scholz selbst geht daher schwer davon aus, dass die Bürgermeisterfrage, um die es bei der Bürgerschaftswahl auch und vor allem geht, die sozialdemokratische Klientel stärker mobilisieren wird – zumal die Wahlbeteiligung dann deutlich höher sein wird als die 41 Prozent am Sonntag.

Andererseits waren die SPD-Verluste in den Bezirken mit rund zehn Prozent doch zu hoch, um das nicht als Warnschuss zu verstehen. „Wir müssen schon aufpassen, dass wir 2015 ein gutes Ergebnis erzielen“, sagt ein prominenter Sozialdemokrat, wobei aus seiner Sicht „gut“ bei mehr als 40Prozent anfängt. Da die CDU weiter im Kellerloch zwischen 20 und 25 Prozent verharrt, wäre nach dieser Logik alles andere als ein klarer Sieg der SPD ebenso überraschend wie das Verteidigen der absoluten Mehrheit – das war der Partei in Hamburg übrigens letztmals 1970 gelungen. Mit anderen Worten: Die Genossen werden mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Partner brauchen.

Da Scholz die AfD (deren Einzug in die Bürgerschaft völlig offen ist) und die Linke als Kopiloten ausschließt, die FDP mal wieder an der Fünfprozenthürde verzweifelt und eine Große Koalition nur im Notfall infrage käme, bleibt nur eine Option: Rot-Grün. Bei den Grünen weckt das etliche schmerzhafte Erinnerungen – etwa an die erste Auflage des Bündnisses von 1997 bis 2001, als sich viele Grüne von den machtgewohnten Sozialdemokraten weniger als Partner, sondern mehr als notwendiges Übel behandelt fühlten.

Noch frischer sind die Eindrücke aus dem letzten Bürgerschaftswahlkampf: Im November 2010 hatten die Grünen das sinkende schwarz-grüne Regierungsboot auch und vor allem deswegen verlassen, weil nebenan schon der scheinbar seetüchtigere rot-grüne Senatsdampfer wartete. Die Spitzenkandidaten Olaf Scholz und Anja Hajduk waren sogar gemeinsam aufgetreten, der grüne Justizsenator Till Steffen verabschiedete sich aus seiner Behörde mit dem Paulchen-Panther-Motto „Ich komm wieder, keine Frage“, und auf Plakaten der Ökopartei wurde offen für Rot-Grün geworben. Auf inhaltliche Aussagen, mit denen man sich klar von der SPD hätte abgrenzen können, wurde weitgehend verzichtet.

Das Ergebnis ist bekannt: Vor die Wahl zwischen dem roten Machtmenschen und dem grünen Steigbügelhalter gestellt, entschieden sich viele Wähler gleich für Scholz – der holte die absolute Mehrheit, und die Grünen landeten mit für sie enttäuschenden elf Prozent in der Opposition. Für die selbstbewusste Ökopartei bis heute ein Trauma. „Die Partei lag am Boden“, erinnert sich ein führendes Mitglied. Dass die Bürgerschaftsfraktion seitdem betont selbstbewusst und mitunter auffallend senatskritisch auftritt, darf auch als Vergangenheitsbewältigung bewertet werden.

Die Avancen des Bürgermeisters lösen daher bei manchem Grünen erst mal Skepsis aus. „Das ist eine fiese Umarmungsstrategie“, sagt ein führendes Mitglied. „Wenn er als Erstes mit uns reden will, warum macht er dann so anti-grüne Politik?“ Als Beispiel werden das Beschneiden der Umweltbehörde oder die konsequente Ablehnung der Stadtbahn genannt. Auch nehmen nicht nur Grüne besorgt zur Kenntnis, dass die SPD mehr und mehr in den bis 2001 gepflegten Modus als quasi einzig natürliche Regierungspartei zurückfällt.

Auf der anderen Seite kommt bei den Sozialdemokraten mit Blick auf ihren potenziellen Partner auch kein Jubel auf. „Die sind echt anstrengend“, heißt es genervt aus der SPD-Fraktion. Jüngstes Beispiel war der von SPD, CDU, Grünen und FDP gemeinsam beschlossene Antrag zum Thema Olympia. Obwohl der Auftrag an den Senat, Chancen und Risiken einer Bewerbung zu prüfen, bewusst offen formuliert ist, ließen es sich die Grünen nicht nehmen, im Vorfeld eine eigene Pressekonferenz einzuberufen und ihre Kritikpunkte zu betonen. „Das gehört sich bei einem interfraktionellen Antrag nicht“, ärgerte sich ein Sozialdemokrat. Hintergrund war ein Konflikt innerhalb der Grünen-Fraktion: Weil Till Steffen den aus seiner Sicht zu olympiafreundlichen Antrag nicht mittragen wollte, ging man als Kompensation im Vorfeld an die Öffentlichkeit.

Dass SPD und Grüne gar nicht miteinander können, wäre aber übertrieben. Die Stimmung „könnte besser sein“, heißt es unisono, aber man arbeite daran. Ein Indiz: Zwei Tage vor der Bezirkswahl machte die Grünen-Landesvorsitzende Katharina Fegebank einen öffentlichen Stadtteilrundgang mit dem SPD-Mann Andy Grote, Bezirksamtsleiter in Mitte. Und in fast allen Bezirken außer Bergedorf und Altona loten Rote und Grüne derzeit Chancen für eine Koalition aus.

Die Ausgangslage für den Wahlkampf ist daher etwas paradox: Auf der einen Seite haben sowohl die allein regierende SPD als auch die vom rot-grünen Kuschelkurs 2010/2011 gebrandmarkten Grünen allen Grund, ihre Eigenständigkeit zu betonen. Auf der anderen Seite müssen sie sich darauf einstellen, künftig gemeinsam den Senat zu bilden. Bei den Grünen, bei denen der Wunsch, wieder mitzuregieren, sehr ausgeprägt ist, macht sich daher schon eine neue Sorge breit: Was ist, wenn die FDP doch in die Bürgerschaft kommt? „Dann wird Scholz keine Sekunde zögern, mit denen zu regieren“, unkt ein Grüner. Warum? „Weil die FDP billiger zu haben ist.“ Das hinge freilich davon ab, welchen Preis die Grünen denn aufrufen würden. Abwarten.