Hoch umstritten ist das Senatsprogramm zur Busbeschleunigung. In den betroffenen Straßen wächst der Widerstand. 150 Menschen zogen am Sonnabend bei einem Protestzug durch St. Georg.
Der Mühlenkamp im Stadtteil Winterhude ist an der Einmündung der Gertigstraße von hohen Gründerzeithäusern umrahmt, im Erdgeschoss findet man Cafés und Bäcker, daneben Apotheke, Optiker, ein Laden mit italienische Spezialitäten, der Friseur nennt sich „Haar Scharf“. Durch die Äste großer Bäume fällt das Sonnenlicht diffus auf den Bürgersteig. Hin und wieder ein Hupen, das Geräusch anfahrender Busse. Ein Straßenzug, wie man ihn mitten in einer Großstadt erwartet. Aber der Mühlenkamp ist auch eine Straße, die für die Bezirkswahlen im Mai und die Bürgerschaftswahlen im kommenden Jahr eine große Rolle spielen könnte, die so gar nicht zu dem quirligen freundlichen Bild passt: So wie etliche andere Straßenzüge in Hamburg auch, für die die Behörden derzeit das ehrgeizige Busbeschleunigungsprogramm planen – und sich wegen vorgesehener Umbauten oft den Zorn der Anwohner zuziehen. An etlichen Linien werden dabei in den kommenden Jahren Ampeln auf Busvorrang geschaltet, Pkw-Abbiegespuren oder auch Fußgängerampeln abgebaut, damit Busse dort besser vorankommen. 260 Millionen Euro soll das Programm kosten, das Hamburgs Busse schneller machen und den Fahrgästen mehr Platz bieten soll.
Lange Reihe in St. Georg, Bornheide in Altona, die Sternschanze und eben Mühlenkamp – vielerorts ist aber angesichts der Planungen der Aufruhr groß. Unsinnig sei das Programm, außer monatelangen Bauarbeiten, Staus und dem Wegfall von Parkplätzen bringe es nichts, sagen die Kritiker und kleben Protestplakate an die Pfähle der Straßenlaternen. Am Sonnabend zogen rund 150 Gegner der Busbeschleunigung durch St. Georg.
Bürgermeister Olaf Scholz, sonst verwöhnt von guten Umfrageergebnissen, scheint erstmals seit seiner Wahl 2011 auf breite Missgunst in der Stadt zu stoßen. Dennoch ziehen seine Behörden das Programm im Basta-Stil durch. Die CDU in Hamburg wittert da natürlich Hoffnung. Endlich scheint sie etwas gefunden zu haben, das sie gegen die Wucht des Scholz-Zuspruchs in Stellung bringen kann. „Das wird unser Wahlkampfthema, das an vielen Stellen in der Stadt noch hochploppen wird“, glaubt der Winterhuder CDU-Politiker Christoph Ploß.
Der erst 28-Jährige ist derzeit einer der hartnäckigsten Gegenspieler des Senats beim Busbeschleunigungsprogramm. Ploß, Doktorand der Politikwissenschaft, hat sich in die Materie tief eingearbeitet, ist gut vernetzt mit Initiativen und Fahrgastverbänden. Und er lässt sich auch nicht als typischer Vertreter einer Autofahrerpartei diskreditieren. Er hat, wie so viele seiner Generation, kein eigenes Auto und setzt auf den öffentlichen Nahverkehr als Mittel der Mobilität in der Stadt. Nur eben nicht auf das Bus-Programm, wie der Senat es plant
Bäume werden gefällt, Parkplätze verschwinden, monatelang wird gebaut
Was unsinnig daran sei, will Ploß am Mühlenkamp zeigen. Die Abbiegespuren sollen hier verkleinert werden, die Bäume an der Bushaltestelle werden gefällt, Parkplätze abgeschafft, monatelange Bauarbeiten sind notwendig. „Das bringt kaum etwas, mehr Fahrkartenautomaten und moderne Ampeln würden reichen“, glaubt der Christdemokrat. Lkw-Verkehr werde in Wohnstraßen wie die Semperstraße verdrängt, Geschäfte würden während der sechsmonatigen Bauzeit unter Einbußen leiden: Die Argumente von Ploß müssen sich die Behördenvertreter derzeit immer wieder anhören. „Man kann in den engen Innenstadtquartieren nicht so brachial vorgehen und muss die Bürger auch besser beteiligen“, sagt er.
Ploß und die Hamburger CDU plädieren dagegen für die Einführung einer Schienen-Stadtbahn. Was etwas witzig ist, weil sich nun einiges wiederholt: Denn 2011 noch hatte die CDU kurz vor Ende ihrer Regierungszeit in Hamburg die Stadtbahn-Pläne hastig gestoppt, weil es gegen das Herzstück der damaligen schwarz-grünen Verkehrspolitik ähnlichen Widerstand in der Bevölkerung gegeben hatte wie jetzt gegen das Bus-Programm.
„Wir haben aus dem Fehler gelernt“, sagt Ploß heute. Nicht durch enge Quartiere, wie seinerzeit am Winterhuder Marktplatz vorgesehen, dürfe man die Trasse einer Stadtbahn verlaufen lassen, sondern dort, wo es – wie auf der Strecke der Metrobuslinie 5 – einfacher zu bewerkstelligen ist. Zwar dürfte eine Stadtbahn mehr als zwei Milliarden Euro kosten, aber dafür gebe es auch Zuschüsse vom Bund, weil sie wesentlich effektiver als Busse sei, argumentiert die CDU.
Wenn denn die Stadtbahn tatsächlich so viel besser ist und die Beschleunigung der Busse sich anders und einfacher erreichen ließe, warum hält der Senat so fest an dem Programm, das ihm so viel Ärger beschert?
Eine Antwort darauf findet sich vielleicht im Gebäude der Wirtschaftsbehörde am Alten Steinweg, hoch oben im achten Stock. Hier hat der Hamburger Verkehrsstaatsrat Andreas Rieckhof (SPD) sein Büro. Zu dem Gespräch über die Hamburger Busbeschleunigung hat er zwei Experten dazugebeten, vom städtischen Busbetrieb Hochbahn und den zuständigen Projektleiter seiner Behörde. Auf dem Tisch liegen Pläne, Flyer und eine große Hamburg-Karte, auf der lange, bunte Linie dargestellt sind, die von schräg oben nach schräg unten verlaufen: Sie stellen neun große Metrobuslinien dar, die auf den bis zu 15 Kilometer langen Strecken strahlenförmig aus der Innenstadt heraus verlaufen. Und um diese Linien geht es derzeit in der sogenannten ersten Ausbaustufe, die bis 2016 abgeschlossen sein soll. Sie sollen optimiert werden, sagt Rieckhof.
Schadstoffarm, leiser und eben schneller sollen die Busse dort künftig fahren. „Busbeschleunigung ist dabei nur ein Teil“, sagt Rieckhof und tippt ein paar Mal auf eine lilafarbene Linie, die oben im Bezirk Wandsbek verläuft. „Alles fertig geplant – alles ohne Ärger“, sagt Rieckhof und weist dann auf die lange 5er-Linie – die meistbenutzte Buslinie Europas zwischen Burgwedel und Innenstadt. Sie soll so etwas wie die Referenzlinie des Busprogramms werden, Ende des Jahres schon werden dort wohl alle Umbauten zwischen Niendorf und City abgeschlossen sein. „Hier wird sich das Schicksal der Busbeschleunigung entscheiden – und es wird ein positives sein“, sagt der Staatsrat. Denn auch hier habe es kaum Proteste gegeben. „Auf sechs Maßnahmen gibt es vielleicht eine, über die mal mehr debattiert wird“, sagt Rieckhof.
Rund 60 „Maßnahmen“ sind es, die für das Programm umgesetzt werden: Oft beinhaltet eine solche Maßnahme dann ein ganzes Paket von Einzelprojekten an einer Haltestelle: Neue Ampelschaltungen geben per Fernsteuerung Bussen Vorrang, sodass sie nur noch an Haltestellen halten müssen.
Die Stationen werden umgebaut oder hinter Kreuzungen verlegt, Bordsteine behindertenfreundlich erhöht; Abbiegespuren werden zurückgebaut, um den Verkehrsfluss für Busse flotter zu bekommen. Und auch Fahrkartenautomaten sollen vermehrt aufgestellt werden. Oft sind zusätzlich Radfahrstreifen eingeplant – mit einem überraschenden Effekt: Zweite-Reihe-Parker trauen sich dort offensichtlich nicht, ihre Fahrzeuge auf einem solchen Streifen abzustellen – sodass auch dieses ärgerliche Hemmnis für die Busse wegfällt.
Die erhoffte Folge all dieser Maßnahmen ist weniger, dass Busse an einigen Stellen schneller fahren, als dass auf einer gesamten Linie mehr Kapazitäten geschaffen werden, erläutert Projektleiter Roland Hansen. Zur Erklärung zieht er eine Berechnung für die Linie 5 hervor. Derzeit braucht ein Bus für die 15 Kilometer lange Strecke rund eine Stunde. Künftig soll er das in 50 Minuten schaffen. Die gleiche Anzahl Busse wird mehr Fahrten absolvieren können, hoffen die Planer. Die Folge: mehr Plätze in den Bussen, größere Pünktlichkeit, verkürzte Fahrzeiten.
Das Geld sei für die Stadt gut investiert, rechnen der Projektleiter und der Staatsrat vor: Rund 40 Millionen Euro kostet auf dieser Linie das Umbauprogramm – jährlich erzeuge es aber auch zusätzliche Erlöse von rund vier Millionen, etwa durch mehr verkaufte Fahrkarten. „Nach zehn Jahren hat sich das alles amortisiert“, sagt Rieckhof.
Aber ist eine Stadtbahn nicht die bessere Alternative, stauunabhängig, weil auf Schienen und mit deutlich mehr Platz für Fahrgäste? Rieckhof lächelt bei der Frage. „Klar“, sagt er. „Auch ich bin ein Fan einer Stadtbahn.“ Doch dafür müsse man Schienen legen, langwierige Genehmigungsverfahren anschieben, mit Klagen rechnen. Beim Busbeschleunigungsprogramm baue die Stadt lediglich in den Straßenräumen selbst, ohne dass dafür Bebauungspläne erstellt oder Planfeststellungsverfahren durchgezogen werden müssten. Busbeschleunigung sei eben einfach schneller – und das wichtig angesichts der wachsenden Fahrgastzahlen im Nahverkehr. „Wir brauchen jetzt eine Lösung, in diesem Jahrzehnt, eine abstrakte Stadtbahn schafft das nicht so schnell“, sagt Rieckhof.
Trotz der Proteste am Mühlenkamp – das Busbeschleunigungsprogramm fährt derzeit noch auf der Grünen Welle.