26 Hamburger Unternehmen sind von der Zahlung der EEG-Umlage zur Förderung Erneuerbarer Energien befreit. Doch das könnte sich ändern. Die EU hat eine Klage gegen die deutschen Förderregeln eingeleitet.
Hamburg. Die Verunsicherung in Hamburgs Industrie ist groß, denn die EU hat gegen Deutschland ein Verfahren eingeleitet. Der Hintergrund: Berlin nimmt die Schwerindustrie von den Kosten für die Umlage des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) aus. Dies muss sich nach Meinung der EU ändern. Einige Unternehmen der Branche profitieren zudem von geringeren Netznutzungsentgelten. Auch dies sieht Brüssel kritisch.
Mit den jährlich steigenden Ausgaben für das EEG zwecks Förderung von regenerativem Strom geht Deutschland in Europa einen Sonderweg. Die Folge: Die EEG-Kosten erhöhen sich jedes Jahr und machen inzwischen 6,42 Cent vom gesamten Strompreis pro Kilowattstunde aus. Und im nächsten Jahr dürfte diese Umlage weiter steigen. Müsste die weltweit aktive deutsche Industrie die Umlage bezahlen, könnte sie sich angesichts der dadurch steigenden Strompreise im Wettbewerb weniger oder gar nicht mehr behaupten, fürchten die Unternehmen. „Kupfer ist ein an internationalen Börsen zu global ausgeglichenen Preisen gehandeltes Produkt. Wir können deshalb keine Mehrkosten über dem Preis an unsere Kunden weitergeben“, sagt Peter Willbrandt, Chef der Hamburger Kupferhütte Aurubis.
Bei Wegfall der Befreiungen würden nach seinen Worten auf Aurubis Mehrkosten von knapp 70 Millionen Euro im Jahr zukommen. „Das wären knapp 20.000 Euro pro Arbeitsplatz in den deutschen Werken von Aurubis“, so Willbrandt. Diese zusätzlichen Belastungen sind für unser Unternehmen voll ergebniswirksam. „Mehrkosten aus der EEG-Umlage und, oder den Netzentgelten stellen weitere Investitionen in unsere deutschen Standorte infrage, darunter auch Investitionen in den Umweltschutz, Innovationen, Energieeffizienz und Ressourcenschonung. Hinzu kommt die fehlende Planungssicherheit, auch weil wir nicht wissen, welche Belastungen noch auf uns zukommen.“
Allein in Hamburg erfüllen insgesamt 26 Unternehmen die vom Bund erstellten Kriterien zur Befreiung der Umlage oder der Netzentgelte. Darunter fällt auch die Hamburger Hochbahn. „Wir sind von sieben Millionen Euro EEG-Zulage befreit. Wenn wir künftig den kompletten Betrag bezahlen müssten, würde unser Fahrpreis um zehn Cent steigen“, sagt Hochbahn-Sprecher Christoph Kreienbaum.
„Unsere Stromkosten betragen 45 Millionen Euro. Inklusive der vollen EEG-Umlage würden diese um 50 Millionen auf 95 Millionen steigen“, sagt Marc Hölling, Betriebsleiter für Prozesstechnologie beim Hamburger Stahlwerk von ArcelorMittal. „Diese Summe würde zu tiefroten Zahlen führen. Damit wären wir für unseren Mutterkonzern nicht mehr interessant.“ Bereits seit 2008, mit dem Beginn der Finanzkrise, sind europaweit mehr als eine Handvoll Stahlwerke von ArcelorMittal geschlossen worden, weil sie sich nicht mehr rechneten.“ Das könnte auch in Hamburg passieren, wenn die EU mit ihrem Verfahren Erfolg hat. Auch Deutschland war bereits von Werksschließungen anderer Stahlkonzerne betroffen.
Müsste der auch in Hamburg ansässige Aluminiumkonzern Trimet die Umlage komplett bezahlen, wären etwa 250 Millionen Mehrkosten für die beiden Werke in Hamburg und Essen fällig. Das ist für das Unternehmen wirtschaftlich kaum darstellbar. Im Geschäftsjahr 2012/13 hatte Trimet unterm Strich nur rund 1,7 Millionen Euro verdient. Im Vorjahr schrieb das Unternehmen sogar Verluste.
Der international aktive Konzern Norsk Hydro mit einem Werk in Hamburg gibt sich dennoch optimistisch. „Für die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Hydro ist es unabdingbar, das magische Viereck der Wertschöpfungskette von Forschung und Entwicklung, Erzeugung, Verarbeitung und Veredlung von gewalzten Aluminiumprodukten am Standort Deutschland zu erhalten“, sagte Sprecher Michael-Peter Steffen. „Wir werden in den nächsten zwei Jahren 130 Millionen Euro in eine neue Produktionslinie für Walzprodukte für Aluminiumkarosserien investieren und damit in die weitere Stärkung dieser Wertschöpfungskette. Wir tun dies in Erwartung, dass die energiepolitischen Rahmenbedingungen für die Aluminiumindustrie weiter so erhalten bleiben, und gehen diesen Schritt mit einem klaren Bekenntnis zum Industriestandort Deutschland.“
Bundesweit müssen knapp 2100 Unternehmen die volle EEG-Umlage oder die Netznutzungsentgelte nicht bezahlen. „Die weitgehende Befreiung der energieintensiven Industrie, die im internationalen Wettbewerb steht und die Zusatzkosten nicht an ihre Kunden weitergeben kann, muss bestehen bleiben“, fordert auch Michael Westhagemann, Vorsitzender des Industrieverbands Hamburg (ivh). „Die EEG-Ausnahmen für Schienenbahnen, wie die Deutsche Bahn, könnten überprüft werden, vor allem, um damit die Befreiung der Grundstoffindustrie langfristig zu sichern“, sagt er. Deutschland habe heute schon die zweithöchsten Strompreise in Europa für Unternehmen. Ein negativer EU-Bescheid würde zur Deindustrialisierung in Hamburg und Deutschland führen. Das bedeutet, dass es in Deutschland und damit auch in Hamburg dazu kommen könnte, dass die betroffenen Betriebe am Standort nicht mehr investieren oder sogar abwandern.
Auch das Hamburger Unternehmen VK Mühlen (Marke Aurora) fürchtet, dass der ersatzlose Wegfall einer Ausgleichsregelung für stromintensive Betriebe weitreichende Konsequenzen hat. Die Wettbewerbssituation der gesamten Mühlengruppe dürfte sich deutlich verschlechtern, auch die Ergebnissituation der Mühle in Hamburg würde durch einen Wegfall der Ausgleichsregelung deutlich belastet, so das Unternehmen. „In Hamburg und Umgebung müssten die Verbraucher als Folge des Wegfalls der Ausgleichsregelung zudem mit steigenden Mehlpreisen und in der Folge auch mit steigenden Preisen bei Brot-, Back- und Teigwaren rechnen“, sagt Sprecher Karl-Friedrich Brenner.
Derweil droht der Streit zwischen Deutschland und der EU über die Befreiung von den zusätzlichen Stromkosten zu eskalieren. Die Bundesregierung hat eine Klage gegen das EU-Verfahren eingereicht. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat im Streit um die milliardenschweren Industrierabatte der EU-Kommission einen zu engen Blick vorgeworfen. Sicher müsse EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia auf die Wettbewerbsgleichheit der Unternehmen in der EU achten, sagte der SPD-Politiker. Aber man müsse auch sehen, „dass die Wettbewerber unserer wichtigsten Unternehmen, auch der Mittelständler, oftmals in ganz anderen Teilen der Welt sind“, sagte er und verwies auf die niedrigen Energiepreise etwa in den USA. Er zeigte sich zuversichtlich, mit der Kommission einen Kompromiss zu finden. „Ich bin sehr sicher, dass wir bis Ende März die Kuh vom Eis haben.“
Die EU-Kommission hat wegen der weitgehenden Befreiung für eine Reihe von Industriezweigen in Deutschland ein sogenanntes Beihilfeverfahren eingeleitet. Dabei geht es um Rabatte im Wert von rund fünf Milliarden Euro jährlich. Am Montag zeichnete sich am Abend eine Einigung zwischen der EU und der Bundesrepublik ab. Deutschland ist es wichtig, seine Industrie und deren Mitarbeiter schützen.