Der Industrieverband Hamburg warnt vor der Abschaffung der Befreiung der EEG-Umlage für energieintensive Unternehmen. „Ein negativer EU-Bescheid würde zur Deindustrialisierung in Hamburg und Deutschland führen.“
Hamburger Abendblatt: Herr Westhagemann, was sind die größten Herausforderungen für Hamburgs Industrie?
Michael Westhagemann: Natürlich die Energiewende. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat sich einen engen Zeitplan gesetzt, und ich hoffe, dass man an dieser Stelle nicht den einen oder anderen Fehler macht. Mittlerweile ist jeder im Land von der Energiewende betroffen, die Verbraucher, die Industrie, mittelständische Unternehmen. Man muss nochmals nachvollziehen, dass das oberste Ziel der Energiewende der Ausstieg aus der Kernenergie ist und die damit verbundene Erreichung der gesetzten Klimaziele sehr anspruchsvoll ist. Meiner Meinung nach müsste der Umbau von der volkswirtschaftlichen Seite mit betrachtet werden. Welche Kosten kommen auf uns zu und können wir diese finanzieren?
Was würden Sie dem Bundeswirtschaftsminister Gabriel raten?
Westhagemann: Wir müssen uns zuerst fragen, welche realistischen Ziele sind mit welchen Technologien und in welchem Zeitraum aus heutiger Sicht noch erreichbar? 100 Prozent Klimaneutralität – sind die finanzierbar? Wir benötigen ein neues Strommarktdesign im europäischen Kontext, hierfür sollten wir uns bei der Entwicklung Zeit nehmen. Somit hätten wir vielleicht die Chance, ein Energiesystem zu entwickeln, welches als Schaufenster für andere Länder dienen könnte.
Die EU hat ein Verfahren gegen Deutschland wegen Beihilfen für die Industrie eingeleitet. So werden allein in der Hansestadt insgesamt 26 Unternehmen von der Umlage für das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) befreit.
Westhagemann: Bundesweit liegt die Zahl zurzeit sogar bei rund 2100 Unternehmen. Die EEG-Ausnahmen für Schienenbahnen, wie die Deutsche Bahn, könnten überprüft werden, vor allem, um damit die Befreiung der Grundstoffindustrie langfristig zu sichern. Häufig können die Unternehmen die höheren Stromkosten nicht an den Markt weitergeben. Ein international tätiges Unternehmen wird im globalen Wettbewerb ohne Befreiung nicht wettbewerbsfähig sein. Wir haben heute schon die zweithöchsten Strompreise in Europa für Unternehmen. Nur Italien liegt höher, und dadurch bedingt wurde die Deindustrialisierung dort beschleunigt.
Wie viele Unternehmen in Hamburg wären von einem EU-Verbot der EEG-Befreiung betroffen?
Westhagemann: In erster Linie die großen Grundstoffunternehmen wie Aurubis, Trimet und ArcelorMittal, jedoch auch die Unternehmen, die in die gesamte Wertschöpfungskette eingebunden sind, als Zulieferer zum Beispiel. Selbstverständlich wären auch die industriellen Dienstleister, inklusive der Banken und Versicherungen, betroffen. Tausende von Arbeits- und Ausbildungsplätze wären gefährdet. Somit würde ein negativer EU-Bescheid zur Deindustrialisierung in Hamburg und Deutschland führen. Das muss verhindert werden.
Was sagen Sie Verbrauchern, deren Strompreis bedingt durch die Energiewende steigt?
Westhagemann: Ohne ein neues Strommarktdesign werden wir den Kostenanstieg nicht stoppen können. Ferner müssen wir auch bei den erneuerbaren Energien zu einer Direktvermarktung kommen. Die Art der Förderung sollte an den technologischen Fortschritt gebunden und regional differenziert werden. Die CO2-Begrenzung sollte durch Stärkung des europäischen CO2-Zertifikatehandels oder alternativ erzeugungsspezifisch verfolgt werden. Das bisherige Fördersystem EEG hat sich teilweise zu einem Renditemodell entwickelt. In Süddeutschland können Sie dies an dem massiven Solarausbau in der Landwirtschaft erkennen. Im letzten Jahr betrug die Förderung allein hierfür über 20 Milliarden Euro.
Was fordern Sie konkret von der Politik?
Westhagemann: Die Bundesregierung muss in der Legislaturperiode einen neuen, wettbewerblichen Rahmen für den Strommarkt schaffen, der EU-konform ist und der die Trennung zwischen Wettbewerbsmarkt für konventionelle Kraftwerke auf der einen und einen vollständigen regulierten, risikofreien Markt für Erneuerbare auf der anderen Seite beseitigt. Die derzeitigen Risiken bei der Umsetzung der Energiewende verunsichern Investoren und belasten Unternehmen und Dienstleister in der Branche. Ich glaube aber, dass gerade Norddeutschland weiterhin mit seiner Offshore-Technologie eine große Chance hat, diesen industriellen Sektor perspektivisch weiterzuentwickeln, aber vielleicht nicht mit der Dynamik, die man sich vorgestellt hat. Wir müssen den Investoren die Sicherheit wieder zurückgeben – hier ist die Politik gefragt.
Die Hamburger Industrie hat 2013 mit einem Minus von 6,1 Prozent abgeschlossen. Woran lag dies?
Westhagemann: Rund vier Prozent Minus entfallen allein auf die Mineralölindustrie, weil innerhalb eines Jahres die Rohstoffpreise gesunken sind. Teilweise haben auch Unternehmen wegen der Unsicherheit in den Märkten weniger investiert. Aber insgesamt können wir nicht klagen. Diese Faktoren erklären auch, warum die Arbeitsmarktentwicklung trotzdem positiv war.
Viele junge Menschen entscheiden sich gegen einen Arbeitsplatz in der Industrie. Wie wollen Sie das ändern?
Westhagemann: Wir müssen die Industrie positiv in der Gesellschaft verankern. Schön wäre es, wenn jeder in Hamburg sagen würde: Die Industrie ist gut. Gerade in Hamburg liegen unsere Betriebe mitten in der Stadt, jeder kann sie sehen. Zudem wollen junge Menschen in attraktiven Städten wie Hamburg leben, wenn die Mietpreise bezahlbar bleiben. Aber wir müssen auch an unserem positiven Image arbeiten, weil viele noch an die Rauchwolken der Industrie in den 1970er-Jahren denken. Deshalb haben wir zusammen mit dem Senat in unserem neuen Masterplan Industrie das Handlungsfeld Akzeptanz als Voraussetzung für die Industrie aufgenommen.
Wie attraktiv ist Hamburg für neue, regenerative Unternehmen?
Westhagemann: In der Branche der erneuerbaren Energien haben wir seit 2008 zahlreiche Unternehmen, wie General Electric, Nordex, Senvion sowie industrienahe Dienstleister und Siemens mit der Windkraftsparte in die Stadt geholt und in dieser Branche 23.000 Arbeitsplätze geschaffen. Es werden weitere kommen. Hamburg hat die Chance, mit unserem Cluster der erneuerbaren Energien zu einem internationalen Schaufenster zu werden. Im nächsten Jahr findet hier die Internationale Hafenkonferenz statt. Da kann unsere Branche sich präsentieren und zeigen, was wir schon alles umgesetzt haben, etwa beim Thema Elektromobilität, Speichertechnologien, schadstoffarme Wasserstoff-/Elektrobusse oder den Windrädern im Hafen, die auch zur Eigenversorgung der Unternehmen gebaut wurden. Viele internationale Delegationen kommen bereits heute in die Stadt, um zu schauen, wo wir in puncto erneuerbare Energien stehen. Wenn Hamburg zu dem gesagten Schaufenster der Energiewende wird, dann können wir hiermit sicherlich auch junge Menschen anlocken, die einen qualifizierten Arbeitsplatz in der Industrie suchen.
Zuletzt eine statistische Frage: Wie hoch ist die Wertschöpfung der Hamburger Industrie?
Westhagemann: Sie liegt zwischen 18 und 19 Prozent für produzierende Unternehmen und industrienahe Dienstleister. Wir beschäftigen in der Stadt 120.000 Menschen mit 4000 Auszubildenden in diesen Unternehmen. In Europa, wie etwa Frankreich und Großbritannien liegt der Wertschöpfungsanteil bei nur rund zehn Prozent, in Italien noch bei 15 Prozent. Deutschland konnte jedoch seinen hohen Industrieanteil am Bruttoinlandsprodukt von 23 Prozent halten. Dadurch haben wir relativ stabil die damalige Wirtschaftskrise überwunden. Die EU plant daher, mithilfe eines Programms den industriellen Anteil über alle europäischen Länder bis 2020 auf durchschnittlich 20 Prozent Industrieanteil zu entwickeln.