Messerstecher aus Bergedorf stammt aus polizeibekannter Großfamilie. Eine Tradition, die auch Vorbild für „Tatort“ war. Clan-Kriminalität ist für die Polizei in Norddeutschland ein großes Thema,.
Hamburg. Diebstahl, Leistungserschleichung, Körperverletzung: Bei der Polizei ist der 25 Jahre alte Bernado B., der am Montag im Zusammenhang mit einer tödlichen Messerstecherei festgenommen wurde, kein Unbekannter. Und er gehört zu einer Großfamilie, die, wenn es um Kriminalität geht, gern als Clan beschrieben wird.
Dahinter versteckt sich ein kriminelles Netzwerk, dessen Zusammensetzung durch familiäre Strukturen geprägt ist. Der letzte „Tatort“ mit Til Schweiger, der als Kommissar Nick Tschiller auf Hamburgs Straßen unterwegs ist, hat genau dieses Thema behandelt. Es ging um den (erfundenen) Astan-Clan, der sich in der Hansestadt mit anderen Clans um die Vorherrschaft im Drogengeschäft bekriegt. Die Episode war blutig. Am Ende waren es 19 Filmleichen – ein „Tatort“-Rekord.
Mit der Realität hat das in diesen Ausmaßen zwar nichts zu tun – im vergangenen Jahr gab es insgesamt „nur“ 13 Opfer von Tötungsdelikten und ein Bandenkrieg war nicht darunter. Clan-Kriminalität ist für die Polizei in Norddeutschland jedoch ein großes Thema, besonders Bremen ist mit der Miri-Familie voll beschäftigt. Und auch viele Familienmitglieder des am Montag festgenommenen Mannes sind nicht unbekannt. Die Geschichte der Clans in Hamburg weist einige traurige Kapitel auf. 1998 war es sogar eine Sonderkommission, die Soko 983 – besser bekannt als „Kurden-Soko“ – die genau das Phänomen bekämpfte, das der „Tatort“ 16 Jahre später zum Thema machte. In zweieinhalb Jahre langer Arbeit wurde eine Struktur zerschlagen, die sich in den Vorjahren gebildet, verfestigt und ausgeweitet hatte.
Die Zahlen waren beeindruckend: Bis April 2001 wurden 207 Ermittlungsverfahren gegen 241 Beschuldigte eingeleitet. 64 Angehörige der Clans kamen in Haft und wurden zu insgesamt rund 200 Jahren Gefängnis verurteilt. Als „Köpfe“ der drei Clans wurde drei ältere Herren ausgemacht, die sich regelmäßig trafen, die Geschäftsfelder aufteilten und – so wurde es damals festgehalten – ihre Gespräche im Beisein eine Papageis durchführten, der einem der Männer gehört.
„Die Soko 983 hatte Erfolg – besonders bei der Aufdeckung dieser Strukturen beim organisierten Heroinhandel. Allerdings konnte sie nicht verhindern, dass die Positionen verhafteter Tatverdächtiger schnell von neuen Personen übernommen wurde, im Regelfall von Angehörigen desselben Familienclans“, hieß es damals in der Polizeimitteilung.
Die Clans wurden dennoch zerstört – nicht durch die Gesetze der Bundesrepublik, sondern durch die Gesetze des Marktes. Heroin, die Droge Nr. 1 der 80er- und frühen 90er-Jahre, wurde immer mehr vom Markt gedrängt, weil Konsumenten vermehrt Kokain und Crack, später synthetische Drogen kauften. Damit waren die Kurden-Clans, die das Opium aus Afghanistan bezogen und in Labors in der Türkei in Heroin umwandelten, aus dem Geschäft. Der Kokainhandel war eine Domäne von Schwarzafrikanern, die in deutlich kleineren Gruppen und auch in ethnischen, aber nicht familiären Strukturen operierten. Der später im großen Stil aufkommende Handel mit synthetischen Drogen ist sogar multikulturell geprägt.
Familien wie die, zu der Bernado B. gehört, sind laut Polizei dagegen generell heute kein so großes Problem mehr. Sie seien in den vergangenen Jahren besser integriert worden. Ein Problem bleiben allerdings die mobilen „Verwandten“ aus Südosteuropa, die vor allem durch Einbruchskriminalität auf sich aufmerksam machen. Ihnen fehlen im Gegensatz zu den Kurden-Clans, gegen die 1998 die Sonderkommission vorging, der familiäre Hintergrund in Hamburg. Zwar hätten auch sie Anlaufstellen in der Hansestadt, wo man ihnen mit Unterschlupf oder Verwertung von Beute behilflich sei. Clans seien das aber nicht, sondern bandenmäßig organisierte Kriminelle. Vergleichbare, oft ethnisch geprägte Tätergruppen gibt es in vielen weiteren Kriminalitätsfeldern, beispielsweise dem Diebstahl von hochwertigen Fahrzeugen und Autoteilen.
Ganz anders sieht es in Bremen aus. Dort ist der Miri-Clan aktiv, der der organisierten Kriminalität zugerechnet wird. Die „Betätigungsfelder“ sind nach Erkenntnissen der Polizei Drogenhandel, Schutzgelderpressung, Waffenhandel und Kriminalität rund um das Rotlichtmilieu. In Berlin ist es der Abou-Chaker-Clan, der seit Jahren die Sicherheitsbehörden beschäftigt. Im Zusammenhang mit dem Clan geriet der Rapper Bushido in die Schlagzeilen, nachdem bekannt wurde, dass er einem führenden Mitglied des Clans Generalvollmacht über sein Vermögen gegeben hatte. Beide Clans haben ihre Wurzeln im Libanon und kamen ursprünglich als Flüchtlinge nach Deutschland. Der Bremer Clan besteht aus Mhallami, die aus der Türkei in den Libanon kamen. Der Clan in Berlin ist palästinensisch geprägt. Beide Gruppierungen sind laut Polizei miteinander verbunden.