Wie sollen Städte aussehen? In Hamburg hat sich darüber eine heftige Diskussion entwickelt. Die Evakuierung der einsturzgefährdeten „Esso-Häuser“ sorgte für Proteste. Eine Stadtentwicklungsforscherin sagt: Es braucht politische Lösungen.
Hamburg. Die Städtebauexpertin der Universität Hamburg, Professorin Gertraud Koch, hat Politik und Bürger aufgefordert, mehr Engagement bei der Lösung des Konflikts um die Hamburger Stadtentwicklung zu zeigen. „Natürlich sind politische Lösungen notwendig“, sagte die Forscherin mit Schwerpunkt Stadtentwicklung in einem Interview. Aber nicht nur: Gefordert seien alle, „vom einfachen Bürger bis hin zum Investor“.
In Hamburg hatte unter anderem die Evakuierung der einsturzgefährdeten „Esso-Häuser“ für Proteste gesorgt. Vielerorts wird befürchtet, Alteingesessene könnten durch steigende Mieten vertrieben werden.
In Hamburg und anderen Großstädten fordern Initiativen ein „Recht auf Stadt“ und eine „demokratische Stadtplanung“. Die Menschen gehen dafür auf die Straße. Ist das denn nötig?
Gertraud Koch: Die Formulierung zielt darauf, dass man mehr Demokratie bei der Stadtplanung möchte. Die Vorstellung davon, was diese Beteiligung beinhalten soll, variiert aber sicherlich. Momentan haben wir in ganz Deutschland eine starke Diskussion über Beteiligungsverfahren. Menschen haben heute eine genaue Vorstellung davon, wie das Umfeld aussehen soll, in dem sie leben. Sie möchten mehr Orientierung am Gemeinwohl.
In Hamburg hat sich die Debatte kürzlich an den evakuierten „Esso-Häusern“ entzündet. Warum?
Koch: Es ist natürlich sehr gravierend, wenn Leute ihre Häuser verlassen müssen, weil sie einsturzbedroht sind. Dass das Empörung hervorruft, muss nicht groß wundern. Die „Esso-Häuser“ hatten auch eine gewisse Bekanntheit, weil dort ein angesagter Club war. Nun wird daran festgemacht, dass Investoren Häuser herunterkommen lassen, damit sie nachher die Areale neu bebauen und größere Profite machen können. Das empört die Leute.
Also sind die Investoren die Bösen? Oder müsste man nicht vielmehr die Politik in die Pflicht nehmen, Regeln für solche Fälle zu schaffen?
Koch: Es nutzt nicht viel die „Bösen“ oder auch die „Guten“ auszumachen. Die Interessenlagen sind sehr heterogen. Und je größer die soziale Spanne einer Stadt ist, desto heterogener werden sie. Das erklärt vielleicht auch die Situation in Hamburg. Die soziale Spanne ist gewaltig. Hamburg ist in Deutschland die Stadt mit den meisten Millionären, aber es gibt hier auch viel Armut. Stadtpolitisch sind große soziale Unterschiede eine Herausforderung. In Hamburg wurde in den letzten Jahren wenig für den sozialen Wohnungsbau getan. Das ist jetzt zu spüren.
Wie sollen die Konflikte gelöst werden, wenn nicht politisch?
Koch: Natürlich sind politische Lösungen notwendig. Aber es ist zu einfach, sich nur in der Politik einen Schuldigen zu suchen. Politik ist letztlich das Ergebnis von unterschiedlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen – und damit sind wieder alle mit im Boot, vom einfachen Bürger bis hin zum Investor. Es geht dabei um die Frage, was ist sozial gerecht, aber auch wie binden wir die Finanzen hier in der Stadt, damit sie nicht abwandern.
Warum ist eine soziale Mischung in den Stadtteilen so wichtig?
Koch: Wir sehen, wie wichtig soziale Durchmischung ist, immer dort, wo sie nicht mehr vorhanden ist. Da, wo wir Ghettos haben oder wo die Innenstädte abends aussterben, weil sich luxuriöse Einkaufspaläste aneinanderreihen und sonst nichts weiter ist. Das sind Gegenden in einer Stadt, die wenig Lebensqualität bieten.
Ist Veränderung schlecht für eine Stadt?
Koch: Große Städte sind sowieso Orte mit viel Dynamik. Eine große Spanne an Bevölkerungsgruppen kommt hier zusammen. Da lässt sich nicht alles regulieren und reglementieren, weil man nicht alle Entwicklungen absehen kann. Man muss immer neu aushandeln, wo Lösungen liegen, wenn sich Veränderungen ergeben. Dabei darf man nicht vergessen: Auch der freie Markt ist ein Modus der Regulierung. Dort setzt dann das freie Spiel des ökonomischen Kapitals die Regeln und ist das Maß der Dinge.