Netze-Rückkauf: Wie teuer wird es wirklich für Hamburg?
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Dieses Geschäft geht in die Geschichte der Stadt ein. Nach fast 18 Stunden Sitzung und dem Verlesen von Hunderten Vertragsseiten war am frühen Morgen der Weg frei für eine der größten Finanztransaktionen.
Es war genau 6.07 Uhr, als am Kehrwieder 12 in der HafenCity am Donnerstag die letzten Mappen zugeklappt wurden. Fast 18 Stunden lang hatte ein knappes Dutzend Vertreter von Vattenfall und vom Hamburger Senat im Büro der Anwaltskanzlei Allen & Overy LLP gesessen und sich von Notaren Hunderte von Vertragsseiten vorlesen lassen. Zu besiegeln galt es eine der größten Finanztransaktionen der vergangenen Jahre: den Rückkauf des Stromnetzes durch die Stadt. Wert: 550 Millionen Euro. Um noch mehr Geld ging es bei der Fernwärme, die inklusive Netz und Kraftwerken auf 1,15 Milliarden Euro taxiert wird.
Nachdem nun endlich alles unterschrieben und beurkundet war, machte der städtische Verhandlungsführer Rainer Klemmt-Nissen, Chef der Hamburgischen Gesellschaft für Vermögens- und Beteiligungsmanagement HGV, sich frisch – und auf den Weg ins Hamburger Rathaus. Dort informierte er zusammen mit Finanzsenator Peter Tschentscher den Bürgermeister Olaf Scholz. Um neun Uhr bat Scholz die Vorsitzenden der Bürgerschaftsfraktionen in sein Amtszimmer und legte ihnen die Eckdaten der Vereinbarung mit Vattenfall vor. Um 10.45 Uhr schließlich traten Bürgermeister, Finanzsenator und HGV-Chef vor die Presse und verkündeten, was nach monatelangen Verhandlungen gerade in der HafenCity rechtsgültig beurkundet worden war.
Sowohl beim Stromnetz als auch bei der Fernwärme war man sich schließlich einig geworden. Ergebnis: Die Stadt übernimmt die Eigentümerin des Hamburger Stromnetzes, die Stromnetz Hamburg GmbH, vollständig. Bisher war die Stadt mit 25,1 Prozent an der Gesellschaft beteiligt, Vattenfall gehörten 74,9 Prozent. Nun kauft Hamburg Vattenfall seine Anteile ab. Der genaue Kaufpreis wird demnach jetzt von unabhängigen Gutachtern festgelegt, die gemeinsam von der HGV und Vattenfall beauftragt werden.
Geeinigt hat man sich aber zunächst darauf, dass das gesamte Stromnetz 550 Millionen Euro kosten soll. Für die 74,9 Prozent müsste Hamburg also fast 412 Millionen Euro bezahlen. Für den Fall, dass Gutachter den Wert des Netzes niedriger taxieren, wurde Vattenfall jedoch ein Mindestpreis zugesichert, nach dem das Gesamtnetz 495 Millionen Euro kostet – und Hamburg etwa 371 Millionen Euro für Vattenfalls 74,9 Prozent zahlen muss. Hinzu kommen allerdings weitere 243 Millionen Euro für ein Gesellschafterdarlehen: Die Vattenfall-Muttergesellschaft hatte der Stromgesellschaft diese Summe geliehen. Die Stadt als Neueigentümerin muss sie nun zurückzahlen. Bleibt es beim jetzt vereinbarten Preis, muss die städtische HGV also 655 Millionen Euro Kapital aufnehmen. Dies sei jedoch angesichts der „historisch günstigen Finanzierungskosten“ unproblematisch, sagte Finanzsenator Peter Tschentscher.
Das Fernwärmenetz bleibt nach der jetzigen Vereinbarung zwar zunächst mehrheitlich bei Vattenfall. Auch hier ist das Konstrukt wie beim Strom: Die Stadt hält derzeit 25,1 Prozent an der gemeinsamen Gesellschaft Vattenfall Wärme Hamburg GmbH, der das Fernwärmenetz und die Kraftwerke Tiefstack und Wedel gehören. Vattenfall hält 74,9 Prozent. Hamburg hat sich nun aber eine Kaufoption zum 1. Januar 2019 gesichert. Zu diesem Datum kann Hamburg die Vattenfall-Anteile übernehmen. Auch hier sollen Gutachter die Preise ermitteln. Auch hier wurden aber bereits jetzt Mindestpreise festgelegt. Für den Fall, dass Vattenfall das geplante GuD-Kraftwerk (Gas und Dampf) in Wedel baut, wird der Gesamtwert der Fernwärme auf mindestens 1,150 Milliarden Euro festgelegt. Für die 74,9 Prozent müsste die Stadt also rund 861 Millionen Euro zahlen. Wenn hingegen bis 2015 keine Entscheidung für den Bau einer GuD-Anlage in Wedel getroffen wird, beträgt der Mindestpreis 950 Millionen Euro – die 74,9 Prozent würden dann rund 712 Millionen Euro kosten.
Während sich HGV-Chef Klemmt-Nissen nach der Pressekonferenz im schmucklosen Raum 151 des Rathauses übermüdet auf den Weg nach Hause machte, begann in der Stadt die Debatte darüber, ob die von ihm ausgehandelten Verträge nun gut und günstig für die Stadt sind oder eben nicht. Dabei bildeten sich schnell zwei erwartbare Fraktionen. Während die Volksinitiative „Unser Hamburg – Unser Netz“, Grüne, Linke und natürlich die SPD das Ergebnis lobten, übten CDU, FDP und auch der Industrieverband Hamburg zum Teil scharfe Kritik.
Die Handelskammer gab sich diplomatisch. „Die Einigung von Vattenfall und der Stadt ist angesichts der durch den Volksentscheid entstandenen schwierigen Situation ein durchaus vernünftiger Auftakt“, sagte Hauptgeschäftsführer Hans-Jörg Schmidt-Trenz. „Aber der Finanzsenator hat zu Recht auf die gestiegenen wirtschaftlichen und finanziellen Risiken für die Stadt hingewiesen. Denn die Einigung bedeutet keine abschließende Klärung der Angelegenheit. Es bleibt die Unsicherheit über die Zukunft des Stromnetzes, weil mit der Einigung das anstehende Konzessionsvergabeverfahren nicht ausgehebelt wird und es mehrere ernsthafte Bewerbungen gibt.“
Und Industrieverbands-Chef Michael Westhagemann konstatierte: „Der Volksentscheid zum Netzkauf ist für den Senat bindend, jedoch könnte Hamburg das Geld an anderen Stellen mit deutlich mehr Nutzen für die Menschen ausgeben.“
Für FDP-Fraktionschefin Katja Suding hat „der Hamburger Steuerzahler die Milliarden-Quittung für die verfehlte Energiepolitik von Olaf Scholz erhalten“. Mit dem „unnötigen Erwerb“ von 25,1 Prozent der Energienetze im Jahr 2011 habe der Bürgermeister den Grundstein für den Erfolg des Volksentscheids gelegt. Der Nutzen der Rekommunalisierung sei nicht ersichtlich. „Eine bezahlbarere, verlässlichere und sauberere Energieversorgung für die Bürger ist weder durch die 25,1-Prozent-Beteiligung noch durch den vollständigen Erwerb zu erwarten.“ Der SPD-Senat verweigere zudem trotz der ungeheuren Summen die Herstellung vollständiger Transparenz über die Entstehung der Kaufpreise. „Die Festlegung der endgültigen Preise durch einen unabhängigen Gutachter begrüßen wir grundsätzlich.“ Allerdings fordere die FDP-Fraktion den Senat auf, diese Bewertung zu veröffentlichen.
Die Initiative „Unser Hamburg – Unser Netz“, die den Volksentscheid im September gewonnen hatte, begrüßte die Einigung. Die Stadt verbessere damit ihre Chancen im laufenden Verfahren um die Stromkonzession. Wichtig bleibe die Prüfung der Vertragsdetails und eine öffentliche Debatte dazu in der Bürgerschaft. „Für uns ist entscheidend, dass die Stadt durch die Verträge mit Vattenfall auch den energiepolitischen Gestaltungsspielraum bekommt, den wir mit dem Volksentscheid erreichen wollen“, sagte Initiativen-Sprecher Manfred Braasch. „Deswegen darf der Eigentumsübergang der Fernwärme erst in fünf Jahren nicht dazu führen, dass diese Zeit ungenutzt verstreicht.“
Lob gab es auch von den Grünen: „Die Einigung ist ein vertretbares Ergebnis für Hamburg“, sagte Fraktionschef Jens Kerstan. „Der Preis ist hoch, aber noch akzeptabel. Der Senat setzt den Volksentscheid damit in angemessener Weise um. Hier sieht man: Es geht doch, wenn man nur will.“ Statt vor den großen Risiken des Rückkaufs zu warnen, habe der Bürgermeister jetzt ausdrücklich die finanziellen Chancen für die Stadt betont. „Das waren ganz neue Töne. Hier sehen wir uns in unserer Einschätzung bestätigt.“
Das empfand offenbar auch Linken-Fraktionschefin Dora Heyenn so. „Aller Propaganda und Angstmache der Rückkauf-Gegner vor dem Volksentscheid zum Trotz: Die Rekommunalisierung der Netze ist überhaupt kein Problem“, sagte sie.
Hamburg bewirbt sich nun mit der von Vattenfall übernommenen Gesellschaft Stromnetz Hamburg GmbH um die Stromnetzkonzession, die im Laufe des Jahres neu vergeben wird. Dabei konkurriert die Stadt mit E.on und einer Bietergemeinschaft aus dem holländischen Netzbetreiber Alliander und der Genossenschaft EnergieNetz Hamburg eG. Um dem Volksentscheid gerecht zu werden, muss die Stadt auch das Gasnetz wieder in die öffentliche Hand bringen. Deswegen verhandelt der Senat mit E.on über die vollständige Übernahme der gemeinsamen Gasnetzgesellschaft. Die Gasnetz-Konzession wird aber erst 2018 neu vergeben.
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