Studien belegen den desolaten Gesundheitszustand von Obdachlosen. Viele sterben an den Folgen des Drogenkonsums. Obdachlose sind zudem nicht immer bereit, öffentliche Schlafplätze aufzusuchen.
Hamburg. Obdachlose in Hamburg leiden im Durchschnitt an mindestens vier Krankheiten und sterben vor allem an den Folgen ihres Drogenkonsums (Intoxikationen). Zwar sind die auf der Straße lebenden Menschen in den vergangenen Jahren immer älter geworden. „Doch ihre Lebenserwartung ist gering. Sie liegt bei den rechtsmedizinisch untersuchten verstorbenen Obdachlosen in Hamburg bei 46,5 Jahren“, sagt der Hamburger Obdachlosenarzt Stanislaw Nawka. Der Facharzt für Allgemeinmedizin arbeitet seit 1996 ehrenamtlich für die „Mobile Hilfe“ der Caritas und hat eine wissenschaftliche Studie dazu erstellt.
Nach dem Tod von zwei obdachlosen Männern am vergangenen Wochenende sind die gravierenden gesundheitlichen Schäden und der desolate Allgemeinzustand von Obdachlosen erneut in den Blickpunkt gerückt. Wie die Polizei mitteilte, starben die beiden Männer – einer von ihnen wurde nur 41 Jahre alt – weder durch Fremdverschulden noch an Erfrierungen. Sie sind inzwischen obduziert worden und starben, wie es hieß, eines natürlichen Todes. Für Experten wie Werena Rosenke, stellvertretende Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, ist klar: „Der Gesundheitszustand und die medizinische Versorgung dieser Menschen ist prekär, da ihnen häufig die Mittel fehlen, um Zuzahlungen zu leisten oder Rezeptgebühren zu bezahlen.“ Außerdem sei der Krankenversicherungsstatus meist ungeklärt. Experten fordern daher, Konsequenzen aus diesen beiden Todesfällen zu ziehen. „Unser Ziel muss es sein“, sagt der Mediziner Nawka, „obdachlose Menschen langfristig in das bestehende medizinische Regelleistungssystem einzubinden.“ Eine bloße Akut- und Notfallversorgung reiche nicht aus.
Ein Fünftel der Obdachlosen verstirbt im öffentlichen Raum
Neben Stanislaw Nawka hat auch Diakonie-Ärztin Frauke Ishorst-Witte den Gesundheitszustand und die Todesursachen wohnungsloser Menschen wissenschaftlich untersucht. Ishorst-Witte, die regelmäßig eine hausärztliche Sprechstunde für Wohnungslose anbietet, sagt: „Haupttodesursachen waren mit 24,6 Prozent Drogen und Alkohol, gefolgt von Herz- und Gefäßerkrankungen (16,9 Prozent) sowie Infektionen (14,5 Prozent).“ Immerhin ein Fünftel der Hamburger Wohnungslosen stirbt ihren Angaben zufolge im öffentlichen Raum; die meisten Todesfälle ereignen sich jedoch in Wohnheimen (31,6 Prozent) und Krankenhäusern (22,5 Prozent). Wie Mediziner Nawka ergänzt, leiden gut 40 Prozent der Obdachlosen an Hauterkrankungen, was vor allem auf mangelnde Hygiene zurückzuführen ist. 56 Prozent haben mindestens vier Erkrankungen gleichzeitig. Unter den Obdachlosen sind doppelt so viele Diabetiker wie in der Durchschnittsbevölkerung. „Bei ihnen ist ein strukturierter Lebenswandel mit angemessener Diät sowie Langzeit-Medikamenteneinnahme kaum zu realisieren“, so Nawka.
Dazu kommt, dass Obdachlose nicht immer bereit sind, die im Winternotprogramm zur Verfügung gestellten Schlafplätze aufzusuchen. Nach Angaben der Sozialbehörde liegt die Auslastung derzeit bei 70 Prozent. Ein Behördensprecher bewertet diese Zahl als „sehr niedrig“. Dabei sei gerade in diesem Winter die Kapazität deutlich erhöht worden. An mehr als 20 Standorten stellen Senat, Kirchengemeinden und freie Träger rund 700 Schlafplätze bereit. Im Winternotprogramm des Vorjahres waren es lediglich 252. Die Hansestadt trägt damit auch einer Wanderungsbewegung von Obdachlosen Rechnung. Experten berichten, dass Wohnungslose im Winter zum Beispiel von Kopenhagen nach Hamburg reisen, weil hier die Versorgung besser sei. „Im letzten Jahr ist uns zu Ohren gekommen, dass einige Städte kein Obdach für Obdachlose angeboten und auf Hamburg verwiesen haben sollen“, heißt es beim Straßenmagazin „Hinz & Kunzt“.
Nach Ansicht von Stephan Karrenbauer, Sozialarbeit bei „Hinz & Kunzt“, haben viele Obdachlose allerdings Angst, in Großunterkünften mit bis zu 35 Personen zu übernachten. „Unbekannte, Drogensüchtige, Alkoholabhängige oder psychisch Kranke werden zusammen in einem Raum untergebracht. Da ist es schon verständlich, dass viele einen ‚ruhigen‘ Platz auf der Straße vorziehen“ – selbst bei kalten Außentemperaturen. Die Akzeptanz der Notunterkünfte, fügt Diakonie-Sprecher Steffen Becker hinzu, wäre größer, wenn die Einheiten kleiner und dezentral wären. Die Diakonie fordert: „Die schlechten Verhältnisse in den Notunterkünften müssen verbessert werden.“ Zwar betonen auch Vertreter der Caritas, das Winternotprogramm sei „gut angelaufen“. Ein Problem sei aber die fehlende Perspektive. „Die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe sind voll belegt, und dieser Personenkreis hat auf dem Wohnungsmarkt überhaupt keine Chance“, kritisiert Andrea Hniopek, Abteilungsleiterin Wohnungslosenhilfe der Caritas. Es müssten dringend neue Plätze in der Wohnungslosenhilfe geschaffen werden. „Nur wenn wir die Menschen dort aufsuchen, wo sie leben, können wir Todesfälle verhindern.“