Im Internet ist ein Schreiben aufgetaucht, in dem offen zur Gewalt gegen Polizisten aufgerufen wird. Hamburgs Innensenator ist unterdessen zu Gesprächen mit den Besetzern der Roten Flora bereit, wenn diese sich zur Gewaltlosigkeit bekennen.
Hamburg. Während viele Hamburger den Aufruf des Hamburger Abendblatts gegen Gewalt in der Stadt unterstützen, ist auf der linkspolitischen Plattform „Indymedia“ ein neues Schreiben aufgetaucht, in dem offen zur Gewalt gegen Polizisten aufgerufen wird.
Das Schreiben, das wie ein Strategiepapier formuliert ist, soll detaillierte Anweisungen für den „Nah- und Fernkampf“ geben. Der Verfasser des Schreibens „Über HH2112 und eine militante Zukunft“ gibt darin Tipps, wie beispielsweise Polizisten trotz Schutzausrüstung angegriffen und gezielt verletzt werden können.
Des Weiteren plädiert der Autor dafür, Polizisten insbesondere nach ihrem Feierabend aufzulauern. „Deshalb (...) halten wir die Idee für bedenkenswert, Riot-Cops (Bereitschaftspolizisten - Anmerkung der Red.) in Zukunft verstärkt zu fotografieren, falls möglich zu identifizieren und zum Beispiel auf dem Rückweg von der Arbeit so zu behandeln, wie sie uns begegnen, wenn sie ihre Uniformen anhaben.“
Eine Drohung richtet sich auch gegen einen Pressesprecher der Hamburger Polizei: „Weiß nicht zufällig ein Hamburger Genosse Herrn Mirko Schreibers Adresse? Man sollte ihm für seine vielen Live-Berichte ,Danke‘ sagen gehen.“ Unklar ist, ob nur ein Autor oder mehrere Autoren hinter dem Schreiben stehen.
„Die kühl kalkulierte, zynische Gewalt ist neu und in negativem Sinne beeindruckend und beängstigend“, sagte der Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes, Manfred Murck, dem Sender NDR Info. Man dürfe die linksautonome Szene jedoch nicht pauschal mit dem Denkmuster dieses Autoren gleichsetzen, wird Murck weiter zitiert. Hier würden Grenzen überschritten, die für erhebliche Teile der autonomen Szene unumstößlich seien. Auf der „Indymedia“-Plattform wird das Schreiben kontrovers diskutiert.
Neumann bietet Flora-Aktivisten Gespräche an
In einem Interview mit der in Berlin erscheinenden Tageszeitung hat Hamburgs Innensenator den Besetzern des linksautonomen Kulturzentrums „Rote Flora“ derweil Gespräche angeboten. Bedingung dafür sei allerdings „das Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit“, sagte Neumann. Der Senator appellierte an die Aktivisten, den politischen Dialog aufzunehmen.
Zuvor hatte auch der frühere Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) Unterstützung in dem Konflikt angeboten. „Wenn der Bürgermeister mich bitten würde, tue ich für ihn alles“, sagte der 85-Jährige der „Welt am Sonntag“. Dohnanyi war von 1981 bis 1988 Hamburger Bürgermeister. 1987 war es ihm gelungen, den Konflikt um die besetzten Hafenstraßen-Häuser in Hamburg-St. Pauli durch direkte Verhandlungen zu lösen.
CDU fordert bessere Ausstattung für Polizisten
Unterdessen fordert die CDU-Opposition eine bessere Ausstattung der Beamten. „In der Polizei ist manches nicht mehr in Ordnung“, sagte der Vorsitzende der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Dietrich Wersich, am Sonntag. Die Christdemokraten legten einen Katalog mit 15 Forderungen an den SPD-Senat vor. Dazu zählt eine bessere Schutzausrüstung für Einsätze und die zügige Neubesetzung frei gewordener Stellen. Der innenpolitische Sprecher Kai Voet van Vormizeele (CDU) sagte, für rund 7000 Polizeibeamte ständen gerade mal zwei Experten zur psychologischen Betreuung nach traumatischen Erlebnissen zur Verfügung. Die Polizisten hätten zudem wohl mehr als eine Million Überstunden angesammelt. Um das zu ändern, will die CDU auch eine Unterschriftenaktion starten.
Wersich kritisierte Hamburgs Innensenator Michael Neumann (SPD) scharf. „Er hat die politische Lage – auch in der Führung der Behörde - nicht mehr im Griff.“ Die SPD und Neumann seien daher in seinen Augen Teil eines Problems, unter dem die Polizei zu leiden habe. Neumann agiere unsensibel und widersprüchlich – auch bei seinen Aussagen zur Einrichtung des Gefahrengebiets. „Wir wissen bis heute nicht, wer beteiligt war an dieser Entscheidung“, so Wersich.
Die Polizei hatte ein Gefahrengebiet, in dem sie jeden Bürger ohne Anlass überprüfen darf, am ersten Januarwochenende in Teilen von Altona, St. Pauli und des Schanzenviertels als Reaktion auf schwere Krawalle und Angriffe auf Polizeiwachen eingerichtet. Am vergangenen Donnerstag wurde die Zone auf drei kleinere Gebiete eingeschränkt. Neumann hatte erklärt, die Entscheidung sei von der Polizei getroffen worden. Er unterstütze sie aber politisch.
Neue Randale nach Verkleinerung des Gefahrengebiets
Nach der Verkleinerung des Gefahrengebiets, in dem die Polizei jederzeit Bürger kontrollieren darf, ist es rund um die Reeperbahn zu neuer Randale gekommen. Bei weiteren Auseinandersetzungen will die Polizei die Verkleinerung notfalls wieder rückgängig machen.
„Ich hoffe, dass die Vernunft siegt und die Gewalttäter innehalten“, sagte Hamburgs Innensenator Michael Neumann (SPD). „Ansonsten überprüft die Polizei wie bisher regelmäßig, ob die Ausweisung der Gefahrengebiete weiter erforderlich und ihr Zuschnitt polizeifachlich angemessen ist.“ Neumann deutete auch an, dass das großflächige Gefahrengebiet möglicherweise zu früh reduziert worden sei.
In der Nacht zum Sonnabend waren bei neuen Auseinandersetzungen drei Beamte nach Angaben der Polizei leicht verletzt wurden. Unter anderem sei eine Polizistin von einer Flasche getroffen worden. Es gab zwei Festnahmen. Laut Polizei hatten sich etwa 200 Demonstranten versammelt. Die Beamten waren mit einem großen Aufgebot im Einsatz. Auch die Feuerwehr rückte an, um in Brand gesteckte Weihnachtsbäume und Mülltonnen zu löschen. Zuvor hatten am Freitag Hunderte Menschen friedlich mit einer Kissenschlacht demonstriert.
Das Gefahrengebiet, in dem die Polizei Bürger verdachtsunabhängig überprüfen darf, war am 4. Januar eingerichtet worden. Am vergangenen Donnerstag verkleinerte die Polizei die Zone deutlich. Sie besteht jetzt aus drei nicht mehr zusammenhängenden Inseln.
Studenten planen Demonstrationszug zu den Esso-Häusern
Für Montagnachmittag haben Studenten der Uni Hamburg zu einer Demonstration für ein offenes und solidarisches Hamburg aufgerufen. Die Demo unter dem Motto „Don‘t let the system get you down“ soll am Nachmittag nahe dem Uni-Hauptgebäude gegenüber dem Bahnhof Dammtor beginnen und vor den Essohäusern an der Reeperbahn mit einer Kundgebung enden. Die Studenten fordern unter anderem eine sofortige Abschaffung der Gefahrengebiete.
Die Route des Demonstrationszuges startet am Theodor-Heuss-Platz und führt durch die Bundesstraße, die Glacischaussee, die Helgoländer Allee, die St. Pauli Hafenstraße und die Davidstraße hin zu den Esso-Häusern am Spielbudenplatz. Dort soll eine Abschlusskundgebung stattfinden. Die Veranstalter rechnen mit bis zu 3000 Teilnehmern.
Die Hamburger Linkspartei rief am Sonntag zu einem „kreativen Protest gegen die Gefahrengebiete“ auf. Die Demonstration soll am kommenden Sonnabend (18. Januar, 13 Uhr) unter dem Motto „Ausnahmezustand stoppen! Politische Konflikte politisch lösen!“ an der U-Bahnstation Feldstraße stattfinden. „Die verdachtsunabhängigen Personenfeststellungen, Durchsuchungen, Aufenthaltsverbote und Gewahrsamnahmen bei Menschen, die die Polizei der links-alternativen Szene zurechnet, müssen jetzt politisch gestoppt werden“, erklärte Bela Rogalla, Landessprecher der Linken.