Manfred Murck, Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz, sagt, das eingerichtete Gefahrengebiet könne die autonome Szene zusätzlich mobilisieren. Weitere Aktionen gegen Polizisten befürchtet.
Hamburg. Der Hamburger Verfassungsschutzchef Manfred Murck sieht die schweren Krawalle der vergangenen Wochen in der Hansestadt auch als Ergebnis einer bislang beispiellosen Mobilisierung der autonomen Szene. Seinen Teil dazu beigetragen hätten auch die Räumungsdrohungen des Eigentümers des linksautonomen Kulturzentrums „Rote Flora“, Klausmartin Kretschmer.
Am 21. Dezember erlebte Hamburg eine der gewalttätigsten Demonstrationen seit langem. Wie kam es dazu?
Manfred Murck: Die Demonstration am 21. Dezember war nach unserer Erinnerung tatsächlich die größte Demonstration der gewaltbereiten linksextremistischen Szene, die wir in Hamburg in den letzten rund 25 Jahren hatten. Und im Ergebnis gab es dann auch viele Gewalttaten. Von den rund 7000 Teilnehmern waren etwa 4000 gewaltorientierte Extremisten. Das sind deutlich mehr, als Hamburg überhaupt hat. Insgesamt zählen wir hier knapp 1200 Linksextremisten, gut die Hälfte davon ist gewaltorientiert. Wir gehen davon aus, dass zur Demonstration rund 2000 Linksextremisten aus ganz Deutschland, einige auch aus dem Ausland, angereist sind.
Warum sind sie in so großer Zahl gekommen?
Murck: Weil es der hiesigen autonomen Szene im Laufe der letzten Monate gelungen ist, jene Themen, die Linksextremisten im Allgemeinen und die autonome Szene im Besonderen bewegen, unter ein Dach zu bringen. Dazu zählen seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, der Antifaschismus, der Antirassismus und die Antirepression. Das ist der ideologische Kernbestand der autonomen Szene, nämlich selbstbestimmt leben zu wollen und sich die Freiräume dafür zu erkämpfen.
Sichtbares Zeichen dafür in Hamburg ist das seit Jahrzehnten besetzte, linksautonome Kulturzentrum „Rote Flora“.
Murck: Sie steht im Zentrum dieser Vorstellungen. Sie hat man dem Staat oder dem privaten Investor abgetrotzt – sowohl das Gebäude als auch das, was man darin machen kann. Das verteidigt man.
Der Eigentümer der „Roten Flora“, Kretschmer, hatte die Rotfloristen aufgefordert, das ehemalige Theater genau einen Tag vor der Demonstration am 21. Dezember zu räumen.
Murck: Das war mit Sicherheit mobilisierungsfördernd. Es gab aber auch vorher schon eine Fülle von Veranstaltungen und Mobilisierungsstraftaten auch außerhalb Hamburgs. Zu den klassischen Kernthemen der autonomen Szene kam dann der Unmut über den Umgang mit den „Lampedusa-Flüchtlingen“ hinzu. Mobilisierend wirkte in Hamburg auch das Thema Stadtentwicklungspolitik, die als Gentrifizierung zulasten der sozial schwächeren empfunden wird. Es kam also vieles zusammen. Die „Rote Flora“ hat es geschafft, die gesamte Hamburger gewaltbereite linksextreme und insbesondere autonome Szene zu mobilisieren, offensichtlich kamen auch viele Sympathisanten. Und nicht nur die Hamburger Szene: Das betraf auch andere Städte wie Berlin oder Leipzig und Dresden. Alle sind sie nach Hamburg gekommen.
Wegen der schweren Ausschreitungen bei der Demonstration, aber auch wegen Angriffen auf Polizeiwachen hat die Polizei ein Gefahrengebiet in bislang nicht gekannter Größe eingerichtet.
Murck: Ich will nicht über die Einrichtung des Gefahrengebiets richten. Dafür gibt es schon Gründe. Die Szene hat ja auch überwiegend den Eindruck, dass die Demonstration ein großer Erfolg war. Ich gehe deshalb davon aus, dass es auf jeden Fall zu weiteren Aktionen gekommen wäre, zumindest von dem Teil der Demonstranten, dem es primär um Antirepression ging. Aber für diese Klientel war das Thema Gefahrengebiet natürlich ein neuer Mobilisierungsanlass.
Geht das denn nun endlos so weiter?
Murck: Es gibt in der Szene immer auch interne Diskussionen. Vor allem die Angriffe auf Polizeiwachen und die schwere Verletzung mehrerer Polizisten haben einige erschreckt. Ich gehe davon aus, dass dieser Teil der Szene jetzt zur Besinnung kommt und sagt: „So wollen wir nicht weitermachen.“ Diese Haltung wird hier unter anderem durch eine Initiative aus St. Pauli gefördert, und die Unterstützer der Flüchtlinge wollen ja auch etwas erreichen. Wenn jetzt nur verbrannte Erde hinterlassen würde, wäre das nicht in deren Absicht und Sinn.
Also wird die Polizei die Gefahrengebiete bald wieder aufheben?
Murck: Die autonome Szene ist in ihrem Kern ziemlich gewaltbereit, gerade gegen die Polizei. Einige wollen natürlich den Kessel am Kochen halten und die Polizei zumindest mit nervigen Aktionen herausfordern. Der Dampf ist also noch nicht ganz verzogen.