Der Oppositionsführer in der Bürgerschaft fährt schweres Geschütz auf. Dietrich Wersich über Olaf Scholz‘ Versäumnisse und sein Coming-out.
Hamburg. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Dietrich Wersich ist überzeugt: Nach dem tiefen Tal, in das die Hamburger Christdemokraten bei der Bürgerschaftswahl gestürzt waren, hat sich die Partei erholt und ist jetzt wieder da. Im kommenden Jahr will die CDU in den großen Themenbereichen Verkehr, Wohnen und Soziales sowie Familie und Bildung eigene Konzepte vorlegen, kündigt der 49-Jährige im Interview an. Und greift Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) scharf an. Dessen Energiewendepolitik sei gescheitert, sein Busbeschleunigungsprogramm ernte vor allem Kritik und die Internationale Gartenschau sei eine Pleite gewesen.
Vor allem aber kümmere sich der SPD-Politiker nicht um die Anliegen, die den Bürgern wirklich unter den Nägeln brennten. Ein Gespräch mit Wersich über die Neuaufstellung der CDU, den Umgang mit der Volksinitiative für eine längere Gymnasialzeit, die Haltung der Kirche in der Flüchtlingsfrage und die Weihnachtserholung mit seinem Partner in der Schweiz.
Hamburger Abendblatt: Herr Wersich, das Jahr geht zu Ende – Zeit, Bilanz zu ziehen: Wie war das Jahr 2013 für Sie persönlich?
Dietrich Wersich: Es war ein Jahr des Aufbaus – gut, aber auch anstrengend. Ich bin überzeugt, dass die CDU in Hamburg stabil geworden ist, wir rücken die wichtigen Themen in den Mittelpunkt, und das Interesse der Hamburger an dem, was die CDU will, wird wieder deutlich größer.
Das allein reicht noch nicht.
Wersich: Das stimmt, wir können noch nicht die Früchte unserer Anstrengungen ernten. Aber es ist eine sehr gute Ausgangslage, um im kommenden Jahr inhaltliche Akzente bei den Themen zu setzen, die den Hamburgern unter den Nägeln brennen. Ein gewaltiges Ärgernis ist die Verkehrspolitik des Senats mit seinem irrsinnigen Busbeschleunigungsprogramm. Wir wollen stattdessen die Verkehrsträger besser miteinander verbinden, damit mehr Menschen auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen. Wir brauchen einen Ausbau der schienengebundenen Verkehrsmittel wie die Verlängerung der U4 nach Wilhelmsburg oder die Einführung einer Stadtbahn zur besseren Anbindung ganzer Stadtteile. Dazu werden wir im kommenden Jahr ein Konzept vorlegen.
Die CDU will also ein eigenes Verkehrskonzept erarbeiten?
Wersich: Ja. Wir werden bei den wichtigen politischen Themen nicht nur sagen, warum wir die Senatspolitik falsch finden, sondern auch, was wir besser machen wollen. Das betrifft den Verkehr in Hamburg, dieses Thema regt die Menschen derzeit zu Recht sehr auf. Ein weiteres wichtiges Thema ist das Wohnen, die Lebensqualität in den Stadtteilen, die Sicherheit dort und die Vermüllung der Straßen. Und drittens die Frage, wie kinderfreundlich unsere Stadt ist und welche Chancen wir unseren Kindern bieten. Das reicht von der Qualität der Kindertagesbetreuung über die Schulen bis zur Ausbildung und besseren Hochschulen. Das sind Probleme, die die Menschen bewegen und um die sich der erste Mann der Stadt kümmern sollte. Aber da sind die SPD und der Bürgermeister gar nicht wahrzunehmen.
Ist das Ihr Eindruck?
Wersich: Wenn wir Bilanz ziehen würden, dann muss man sich doch fragen: Was bliebe eigentlich von diesem Jahr? Die Energiewende ist vermurkst, das ganze Konzept von Olaf Scholz ist im Volksentscheid gescheitert. Das Busbeschleunigungsprogramm belastet bisher nur alle, dazu kommt die Gartenschau-Pleite. Wir haben 2013 kein einziges Highlight der politischen Gestaltung erlebt.
Immerhin wird die Elbphilharmonie weitergebaut.
Wersich: Das stimmt, aber für sehr viel mehr Geld. Wenn die Stadt zusätzlich 200 Millionen Euro hineinsteckt, wäre es eine Katastrophe, wenn es nicht klappte. Trotzdem: Der Bürgermeister lässt leider nicht erkennen, in welchen großen Linien die Stadt sich entwickeln soll, noch kümmert er sich um die Alltagssorgen der Bürger. Wenn man jetzt sieht, wie er in Berlin aufgeblüht ist und auftritt, als wäre er der Lenker der Republik, ist das ein gewaltiger Unterschied zu seinem Verhalten hier in Hamburg, wo Politik fast nicht stattfindet.
Sie unterstellen ihm, dass er sich nicht dafür interessiert?
Wersich: Viele teilen den Eindruck, dass er sich in Berlin als großer Gestalter präsentiert, aber in Hamburg gar nicht mehr richtig vorkommt. Das mag seinen Leidenschaften entsprechen, aber er ist eben nicht Bundesminister, sondern Hamburger Bürgermeister, und da erwarten die Menschen schon vom ersten Mann der Stadt, dass er sich um die Themen und Probleme seiner Stadt kümmert.
Die Flüchtlingspolitik mit all ihren Facetten hat die Diskussion in der Stadt in diesem Jahr sehr stark bestimmt. Hat der Senat da aus Ihrer Sicht stringent und richtig gehandelt?
Wersich: Ich glaube, er hat sehr unglücklich agiert. Während des Bundestagswahlkampfes hat der Senat sich praktisch gar nicht um das Problem gekümmert. Das war politisches Kalkül, aber keine stringente Haltung. Dann war es unpassend, dass Innensenator Neumann die Polizei ausgerechnet kurz nach dem Bootsunglück vor Lampedusa hat durchgreifen lassen. Grundsätzlich aber hat uns der Senat an seiner Seite, was die rechtliche Einordnung angeht: Die Menschen müssen sich bei den Behörden offenbaren, dann wird jeder Einzelfall geprüft.
Die Kirche hat sich in dieser Frage sehr engagiert. Daran gab es auch Kritik. Wie ist Ihre Meinung zur Haltung der Kirche?
Wersich: Es gab keine einheitliche Haltung der Kirche, sondern unterschiedliche Meinungen. Ich habe Verständnis für Menschen, die den Flüchtlingen aus Nächstenliebe helfen wollen und ihnen Obdach geben. Auf der anderen Seite kann sich die Kirche nicht außerhalb des Rechtsstaats stellen. Die Forderung an die Stadt, Gesetze zu missachten und eine Gruppenlösung ohne Preisgabe der Identität anzustreben, habe ich nie unterstützt. Da hat die Kirche eingelenkt, das begrüße ich.
Die Bürger haben in diesem Jahr entschieden, dass die Stadt die Energienetze zurückkaufen soll. Setzt der Senat diesen Volksentscheid richtig um?
Wersich: Noch ist ja gar nicht zu erkennen, wie der Volksentscheid umgesetzt wird. Der Bürgermeister hat einen abrupten Politikwechsel vollzogen und wollte nach dem Entscheid von all den Schwierigkeiten beim Rückkauf der Netze, vor denen er vor der Abstimmung gewarnt hatte, nichts mehr wissen.
Aber er hat doch den gesetzlichen Auftrag, den Volksentscheid umzusetzen.
Wersich: Wenn er vorher gesagt hat, es wird schwierig, warum tut er hinterher so, als sei das kein Problem? Da hätte ich mir klare Worte gewünscht. Aber passiert ist bisher wenig. Uns hat weder das Ergebnis der Gespräche mit den Energiekonzernen erreicht, ob diese nun an die Stadt verkaufen wollen, noch die Information, in welcher Form sich der Senat um die Netze bewerben will.
Wichtiges Thema in der Schulpolitik war der Erfolg der Volksinitiative für das neunjährige Gymnasium.
Wersich: Das fand ich gar nicht so bedeutsam. Viel stärker nehme ich die Unzufriedenheit der Eltern mit der Qualität und Umsetzung der Ganztagsbetreuung an den Schulen wahr – vom schlechten Kantinenessen bis zur Kritik an der Koordination in den Schulen.
Natürlich wünschen sich alle Eltern, dass das Essen in Produktionsküchen frisch gekocht wird. Aber muss man nicht auch als Oppositionspolitiker im Blick behalten, dass das kaum bezahlbar wäre?
Wersich: Wichtig wäre, dass der Schulsenator überhaupt ein Konzept für das Essen hat, wenn er sich schon politisch entscheidet, die Betreuung mit einem Schlag auf Zehntausende Kinder auszuweiten. An manchen Schulen läuft es gut, aber an anderen essen die Kinder nacheinander in fünf Schichten, teilweise auf dem Flur. Ganz generell sollten wir im Bereich der Bildung viel stärker die Alltagswünsche und -sorgen ernst nehmen, uns um mehr Qualität kümmern, anstatt ständig Strukturfragen zu diskutieren – ob beispielsweise die Gymnasialzeit acht oder neun Jahre dauert.
Im Hinblick auf die G9-Volksinitiative ist nun die Bürgerschaft am Zug. Ist da ein gemeinsames Vorgehen mehrerer Fraktionen denkbar?
Wersich: Eine generelle Umstellung der Gymnasien von acht zurück auf neun Jahre hat in der Bürgerschaft nach meinem Eindruck sehr wenige Anhänger. Ob es Kompromisse geben kann, muss man sehen. Es gibt sicherlich Bedarf, den Alltag an den Gymnasien besser und für die Schüler weniger belastend zu gestalten. Bisher haben wir keine Signale von der Volksinitiative, dass sie von ihrer Forderung nach einer längeren Schulzeit abrücken könnte. Eine inhaltliche Diskussion würde ich mir wünschen, aber die Systemfrage dient niemandem.
Wann soll denn feststehen, mit welchem Herausforderer die CDU in den Bürgerschaftswahlkampf geht?
Wersich: Das entscheiden wir im kommenden Sommer, nach der Bezirksversammlungs- und Europawahl.
War 2013 für Sie persönlich ein gutes Jahr?
Wersich: Ich arbeite gern. Deshalb war es ein gutes Jahr. Die Dinge entwickeln sich in die richtige Richtung.
Was war denn für Sie die schönste Begegnung in diesem Jahr?
Wersich: Es war ein wunderbar berührender Abend in den Hamburger Kammerspielen während der Privattheatertage. Ich hoffe sehr, dass dieses Festival auch 2014 wieder stattfinden kann.
Der Jahreswechsel steht bevor. Freuen Sie sich auf etwas Besonderes in 2014?
Wersich: Vielleicht auf meinen 50. Geburtstag im April. Aber jetzt erst einmal auf die Vorweihnachtswoche, die ich schon seit vielen Jahren mit meinem Partner in den Schweizer Bergen verbringe, bevor wir mit unserer Familie Weihnachten feiern.