Zweiter Tag im Mordprozess um den gewaltsamen Tod der 16-jährigen Afghanin Morsal: Der 24-jährige Ahmad Obeidi muss sich derzeit vor dem Landgericht deswegen verantworten. Heute Morgen stand seine 20 Jahre alte Freundin im Zeugenstand. Bilder zum Fall. Eindrücke von Morsal.

Hamburg. Zaghaft kommt die Jura-Studentin (zweites Semester) mit ihrer Zeugenbetreuerin in den Gerichtssaal. Nur kurz schaut sie einmal zu ihrem Freund rüber, den Angeklagten. Seit fünf Jahren sei sie mit ihm befreundet, sagt sie, erst vor einer Woche habe sie ihn zuletzt im Untersuchungsgefängnis besucht. "Er hat seine Schwester Morsal geliebt", beteuert sie. Er habe sich wie seine ganze Familie Sorgen um sie gemacht. "Ich habe nie mitbekommen, dass sie von der Familie geschlagen wurde."

Zum ersten Mal enthüllt sie nun vor Gericht Einzelheiten darüber, was für ein Mensch der Angeklagte offenbar ist. "Er ist ein extrem aggressiver Mensch und hat immer schon viel Alkohol getrunken, viel zu viel." Kurz nach der Tat, am 15. Mai 2008, rief er sie an und beide trafen sich in den frühen Morgenstunden in einem Park. Er habe ihr erzählt, dass er mit einem Messer auf seine Schwester Morsal eingestochen habe und gedacht habe, dass sie noch leben würde. "Wir waren beide unter Schock, haben es nicht geglaubt, er selber auch nicht." Er habe von ihren Freundinnen gehört, dass Morsal angeblich als Prostituierte gearbeitet haben soll. Der Angeklagte soll der Zeugin damals berichtet haben, dass er Morsal nicht umbringen wollte, dass er "durchgedreht" sei. Die Zeugin weiter: "Er war richtig verstört, ich habe ihn so noch nie erlebt." Mit zittriger Stimme ergänzt die Zeugin, sie fände das Gefühl unglaublich, das Gefühl, "dass mein Freund hier auf der Anklagebank sitzt."

Der Vorsitzende Richter Wolfgang Backen: "Oder finden Sie es unglaublich, dass Morsal getötet worden ist?" Die Zeugin: "Ja, es ist aber auch unglaublich, dass er derjenige ist, der das gemacht hat." Die Zeugin, selbst Afghanin, bezieht auch Position für ihren Freund: Dieser sei nicht so streng wie andere afghanische Männer, und wie bisher in den Medien berichtet wurde. Der Angeklagte habe sich nur Sorgen um seine jüngere Schwester gemacht, etwa wenn sie zu spät nachts nach Hause kam, nicht aber zum Beispiel deshalb, weil sie geraucht habe.

Der Vorsitzende jedoch wundert sich über eine solche Reaktion, "wenn man einen Menschen liebt, und dann eine solche Tat begeht." Dass dies ein Liebesbezeugnis gewesen sein soll, "da möchte ich meine Zweifel anmelden."

Die Zeugin sagt, dass sie am Angeklagten vor allem auch geschätzt habe, dass er mit ihr nicht so streng gewesen sei. "Ich durfte rauchen, Alkohol trinken, alleine weggehen, er hat es mir nie verboten." Die Zeugin über die Tat: "Ich habe niemals ahnen können, dass so etwas passiert." Ihre Eltern seien dagegen gewesen, dass sie mit dem Angeklagten befreundet war. Unvermittelt ruft der Angeklagte dazwischen, meldet sich zum ersten Mal zu Wort: "Ich wollte sie heiraten, aber ihre Mutter wollte es nicht" - sofort bremsen ihn seine zwei Verteidiger. Wenig später kommen ihm die Tränen und auch seine Freundin weint.

Zuvor hatte der Cousin des Angeklagten im Prozess als Zeuge aussagen sollen. Er berief sich jedoch auf sein "Auskunftsverweigerungsrecht", weil er sich nach Auffassung des Gerichts durch seine Aussage selbst in die Gefahr hätte bringen können, dass gegen ihn strafrechtlich im Fall Morsal ermittelt wird. Er soll damals zeitweise am Tatort anwesend gewesen sein. Der Vorsitzende Richter äußerte in diesem Zusammenhang seine Verwunderung, warum bisher gegen den Cousin kein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde wegen Beihilfe zu einem Tötungsdelikt, oder nicht zumindest wegen Unterlassener Hilfeleistung. "Ich verstehe das nicht." Der Staatsanwalt verwies auf einen Schlussvermerk und dass dafür keine Anhaltspunkte ersichtlich waren.

Der Prozess wurde am Nachmittag fortgesetzt. Nächster Verhandlungstag: 5. Januar 2009.