Im Mordprozess um den gewaltsamen Tod der 16-Jährigen hat das Landgericht einen der beiden psychiatrischen Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Nun hat die Staatsanwaltschaft beantragt auch den zweiten Gutachter abzulehnen - davon könnte der Angeklagte profitieren. Bilder des Prozesses. Eindrücke von Morsal.

Hamburg. Überraschung im Mordprozess um den gewaltsamen Tod der 16 Jahre alten Deutsch-Afghanin Morsal: Die Richter lehnten am Freitag einen der zwei psychiatrischen Sachverständigen ab wegen Besorgnis der Befangenheit. Die Brisanz hinter der Entscheidung: Sollte auch die zweite Sachverständige abgelehnt werden, wie nun von der Staatsanwaltschaft beantragt, könnte der Prozess platzen. Oder: Sollte sie im Prozess bleiben, könnte den Angeklagten eine mildere Strafe erwarten, da sie von "verminderter Schuldfähigkeit" ausgeht.

Darum geht es im Detail: Ahmad-Sobair Obeidi (24) ist wegen Mordes vor Gericht, weil er im Mai 2008 mit 23 Messerstichen seine Schwester Morsal tötete, da ihn laut Anklage ihr westlicher Lebensstandard störte. Der Sachverständige, Dr. Michael Kreißig, den die Staatsanwaltschaft beauftragt hatte, kommt in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte voll schuldfähig ist. Nun gibt es im Prozess nur noch eine psychiatrische Sachverständige, Dr. Marianne Röhl. Das Gericht hatte sie beauftragt. Sie kommt hingegen zu dem Ergebnis, dass Obeidi vermindert schuldfähig sei. Der Staatsanwalt stellte nun auch einen Antrag diese Sachverständige wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen und einen neuen Gutachter zu beauftragen. Sollten die Richter auch diesem Antrag folgen, müsste sich ein neuer Sachverständiger in den Fall einarbeiten, das könnte einige Zeit dauern dann könnte theoretisch das Verfahren platzen, müsste neu beginnen.

Staatsanwalt Boris Bochnik hält Gutachterin Röhl für befangen, weil sie möglichst viele Gesichtspunkte zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, negative Aspekte aber ausgeblendet habe. Sie habe etwa Obeidi dazu verleitet, "übertriebene Angaben zu seinem Alkoholkonsum zu machen." "Das ist eine reine taktische Retourkutsche", kritisierte Verteidiger Thomas Bliwier den Staatsanwalt. Das andere Szenario: Bleibt die Gutachterin im Prozess, würde das Gericht ihr folgen, dass Obeidi vermindert schuldfähig ist, würde ihn wohl eine mildere Strafe erwarten. Bisher droht Obeidi bei Mord Lebenslang.

Unterdessen wurden weitere Details des Falls bekannt: In einer früheren Vernehmung bei der Polizei, die verlesen wurde, schilderte Morsal, wie sie von ihrer Familie seit Frühjahr 2005 verprügelt, gedemütigt wurde, weil sie sich beispielsweise schminkte oder etwa auf einem Foto mit zwei Jungs zu sehen war. Mehrfach zog sie in ein Jugendheim, aus Angst vor der Familie. "Wenn ich wieder zurückkehre, würde mich mein Bruder umbringen", sagt Morsal in der Vernehmung. Und: "Ich werde nicht zu meinen Eltern zurückkehren, weil es eigentlich Selbstmord ist." Das Problem sei gewesen, dass Morsal einerseits wollte, dass ihre Situation endete, andererseits "hat sie sehr an ihrer Familie gehangen", sagt eine Kriminalbeamtin aus. Einmal soll Morsal ihrer besten Freundin gesagt haben: "Ich möchte leben wie jede andere Deutsche auch." Sie soll demnach auch einen Freund gehabt haben, den sie vor ihrer Familie geheim hielt. Der Prozess wird am nächsten Montag fortgesetzt.