Staatsanwalt und Verteidigung fordern Bewährungsstrafen. Urteilsverkündung ist am Montag. Alle Artikel: Von den Ermittlungen bis zur Anklage

Das Blitzlichtgewitter, das Interesse der Medien - Wolfgang Poggendorf (71) hatte es einst geliebt und gesucht. Doch nun, da der Ex-Chef des Hamburger Tierschutzvereins (HTV) nicht mehr gegen das Leid der Tiere kämpft, sondern für sich selbst, scheut er es - seit gestern wird ihm der Prozess gemacht, wegen Untreue und Unterschlagung. Es ist Punkt 9.25 Uhr. Der Mann, der laut Anklage zwischen 2003 und 2007 in neun Fällen Vermögenswerte von Hunderttausenden Euro veruntreute beziehungsweise unterschlug , er humpelt in den Saal, gestützt auf einen Stock. "Buh" und "Pfui", rufen Zuschauer, mehr als 50 Tierfreunde sind gekommen. Ein Geständnis möchte er ablegen, sich entschuldigen. "Ich habe keine Rechtfertigung", sagt er mit zittriger Stimme, "ich bin schuldig."


Poggendorf vor Gericht


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Der Staatsanwalt rechnet im Laufe des Prozesses mit dem Angeklagten schonungslos ab: Der habe den HTV "als Selbstbedienungsladen angesehen", eine gewissenlose Gesinnung offenbart, die an Habgier grenze; die Anklage sei nur "die Spitze des Eisberges, Macht und Geld" habe er gewollt.

Der gelernte Bäcker- und Konditorgeselle aus Stralsund, der sich zum Herrscher im Verein aufschwang, zum Straftäter wurde - Poggendorf nimmt Stellung, in einer wohlformulierten, vorbereiteten Erklärung: Da kaufte er eine dem Verein vererbte Wohnung auf Sylt unter Marktwert für 130 000 Euro, wobei er zwei weitere Kaufinteressenten dem Vorstand verschwieg. Als das Abendblatt den Fall exklusiv enthüllte, er unter Druck geriet, wurde die Wohnung verkauft - nun für 250 000 Euro. "Die Höhe des Verkaufspreises hat mich überrascht."

Zu einer Spende von Inhaberschuldverschreibungen in Höhe von 100 000 Euro für den HTV sagt er nur so viel: "Ich habe für mich den Entschluss gefasst, sie mir anzueignen und mit nach Hause zu nehmen", auch, weil es keine Zeugen gab. Für 16 000 Euro kaufte er Montblanc-Schreiber, eine Kamera-Ausrüstung - auf Rechnung des HTV. Aus einem Schließfach einer Verstorbenen, die ihr Vermögen dem HTV vermacht hatte, entnahm er Wertpapiere. Wert: 81 581,61 Euro. Nur in einem Punkt widerspricht er: Es geht um 29 000 Euro Bargeld, das man beim Nachlass einer alten Dame in deren Kleingarten-Laube fand. "Ich habe nichts unterschlagen", sagt er. Das Bargeld war Teil einer 1,4-Millionen-Erbschaft der Dame, die ihr Vermögen zu je einem Drittel dem HTV und zwei weiteren Organisationen vermacht hatte. Poggendorf ließ das Bargeld aufs Konto des HTV einzahlen.

Als Poggendorf sein Geständnis verliest, schütteln einige Zuschauer den Kopf, anderen äußern Unmut. Eine Tierfreundin sagt: "Der macht doch da vorne eine Show, dem fehlt jegliches Unrechtsbewusstsein." Poggendorf spricht derweil über seine Finanzen und gerät schon mal ins Schleudern. Rund 150 000 Euro will er insgesamt für sich vereinnahmt habe, nach Abzug der Steuern. Er lebe von einer monatlichen Rente von 1151,29 Euro. Vermögenswerte, Bargeld? "Habe ich nicht mehr", sagt er erst, dann fällt ihm ein, er habe noch 15 000 Euro "Restgeld". Und: Er wohne in der Wohnung seiner Frau - nach Abendblatt-Informationen überschrieb er sie erst 2007 seiner Frau.

Auf Poggendorf könnte weiterer Ärger zukommen. Der HTV will sich von ihm und anderen Ex-Vorständen auch die rund 70 000 Euro zurückholen, die die beiden Notvorstände bekommen haben, die nach der Poggendorf-Affäre neu eingesetzt worden waren. Der Staatsanwalt fordert eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren sowie 40 000 Euro Geldbuße. Die Verteidigung plädiert auf eine anderthalbjährige Bewährungsstrafe. Der Ankläger plädiert auch deshalb auf Bewährung, weil Poggendorf bisher unbestraft sei, den gesamten Schaden (235 000 Euro) zurückgezahlt hat. Urteilsverkündung ist am kommenden Montag.


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