Der Nachbar, ein Hanseat der besonders sympathischen Art, steht am Gartenzaun, leicht japsend, schwitzend, vornüber gebeugt. Und er trägt einen...

Der Nachbar, ein Hanseat der besonders sympathischen Art, steht am Gartenzaun, leicht japsend, schwitzend, vornüber gebeugt. Und er trägt einen dunkelblauen Trainingsanzug, dazu eine sportliche Mütze. Beeindruckte Blicke quittiert er mit der Erklärung, im Anschluss an eine Joggingstunde noch Dehnübungen zu absolvieren. Bei Nieselregen und erbärmlicher Kälte. Mannomann!

Statt um den HSV, die Rathauspolitik, Gott und die Welt geht der kurze Klönschnack diesmal um körperliche Ertüchtigung. Investigativ wird nachgefragt: Laufstrecke, Tempo, Spaßfaktor. Für den Hinterkopf quasi, für die Theorie. Ermattet, indes zufrieden, sprintet der Nachbar gen Haustür. Zurück bleiben Respekt und das matte Gefühl, ein fauler Sack zu sein.

"Moin!" sorgt ein fröhlicher Ruf von rechts für willkommene Unterbrechung. Wolfgang naht, Anwohner von gegenüber. Gleichfalls im Sportdress, zurück vom Dauerlauf. Fan des VfL Bochum, aber sonst ein äußerst angenehmer Mensch. Vor allem ein athletischer. Zudem Frühaufsteher und selbst bei Minusgraden nicht vom Training abzuhalten. Motto: Hüte dich vor Sturm und Wind - und allen, die aus Zucker sind. "Musst du auch mal machen, tut dir gut", meint Wolfgang und düst davon.

Derweil der Mann aus Zucker ermattet auf seinen Autositz sinkt und den Vorwärtsgang einlegt, klingelt das Handy. Maren ist dran, die Fitnesstrainerin. Schreck lass nach! Fröhlich fragt sie an, ob's bei dem Termin übermorgen bleibe. Früh um sieben, so ihre Erinnerung, werde sie vor der Tür stehen - mit Stöcken zum Nordic Walking. Alarmstufe eins also . . .

Auch angesichts nachbarlicher Vorbilder brechen die zuvor mühsam ausgeheckten Ausredenkonstruktionen mit dem Ziel definitiver Absage wie ein Kartenhaus zusammen. "Ja, Maren, na klar!" flötet das potenzielle Opfer in den Apparat. "Ich freue mich!" Dreist gelogen, aber wohlklingend. Maren lacht, sie hat das Spiel durchschaut. "Es gibt kein Entrinnen!" warnt sie zum Schluss. "Zieh' dich warm an."