Uns Uwe, wie ihn keiner kennt - Teil 1: Er ist Hamburgs Fußballlegende: Uwe Seeler. Kurz vor seinem 75. Geburtstag am 5. November widmet ihm das Abendblatt eine große Serie. Lesen Sie zum Auftakt ein Exklusivinterview, das vielmehr ein Gespräch unter Freunden ist - über Glück, seine Figur und das Fußballgeschäft von heute
Hamburg. Wenn sich zwei Männer seit 48 Jahren kennen und schätzen, ist aus dem Sie längst ein Du geworden - selbst wenn der Interviewpartner Uwe Seeler heißt ...
Hamburger Abendblatt: Herzliche Grüße mit Blick auf den bevorstehenden 75. Geburtstag von Eduardo Galeano aus Uruguay.
Uwe Seeler: Kenn ich nicht. Ist das vielleicht ein neuer Torjäger für meinen HSV? Schlechte Fußballer sind die "Urus" ja nicht. Sie haben doch gerade den Südamerika Cup gewonnen, und an die Ohrfeige von Nationalspieler Troche 1966 bei der WM in England kann ich mich auch noch gut erinnern. Der kam ja auch aus Uruguay.
Galeano ist kein Torjäger. Er ist 71 Jahre alt, Journalist und Schriftsteller. Er beschreibt dich wunderbar in seinem Buch "Der Ball ist rund".
Seeler: Das bleibt er auch. Aber ich bin nicht wunderbar. Ich bin nur Uwe. Aber wie schildert er mich in seinem Buch?
Galeano schreibt: "Auf den Fußballplätzen war er immer der Kleinste und Dickste, ein untersetzter, rundlicher Hamburger, der krumm lief und einen Fuß hatte, der größer war als der andere. Doch wurde Uwe zum Floh, wenn er sprang, zum Hasen, wenn er lief, und zum Stier wenn er hüpfte."
Seeler: Grüß den Señor zurück. Sag ihm Gracias, so viel Spanisch kann ich. Und kläre ihn bitte auf: Ich war gar nicht dick. Jetzt allerdings habe ich etwas zugenommen. Ich war früher nur stämmig. Aber jeder rief mich Dicker.
Aber ein sehr wertvoller Mensch in deinem Leben ruft dich nicht nur "Dicker" sondern auch "Mäuschen". Deine Ilka, mit der du seit dem 18. Februar 1959 verheiratet bist ...
Seeler: Ruft sie "Dicker", dann fordert sie etwas von mir. Zum Beispiel: Dicker, jetzt gehst du mal mit dem Hund raus, und tu was für deine Gesundheit. Das Wort "Mäuschen" ist mehr eine Liebeserklärung.
Dann sage ich mal als Freund: Dicker, du bist in Sachen sportliche Aktivitäten ein fauler Hund. Du genießt mehr den Ohrensessel als 'ne Partie Golf oder 'ne Joggingrunde auf dem Ochsenzoll.
Seeler: Golf war nie meine große Liebe. Für mich hat dieses Spiel zu wenig Action. Ich engagiere mich da, um Geld für meine Stiftung zu ergattern. Und Jogging ist nach meinem Autounfall 2010 einfach nicht mehr möglich. Ich musste ja am Rücken operiert werden, und auf dem linken Ohr höre ich nicht mehr.
Bei dem Unfall damals wurde der Wagen, in dem du gesessen bist, von einem anderen gerammt. Zittern dir heute noch die Hände am Steuer, wenn du die Unfallstelle am Elbtunnel passieren musst?
Seeler: Nein. Ich versuche zu verdrängen. Meine körperlichen Verletzungen waren ja brutal genug, meine beruflichen Verluste ebenfalls. Ich kann dem lieben Gott nur danken, dass er mich vor Schlimmeren bewahrt hat. Unser großes Glück war ja das schwere Auto meines Managers Werner Treimetten. Wir wurden ja gegen die Tunnelwände geschleudert.
Glaubst du an Glück?
Seeler: Ja, ich glaube, der liebe Gott hat es bisher mit mir gut gemeint, privat, beruflich und sportlich, und das ist schon eine Menge Glück.
Woran liegt es, dass du das Leben so meisterst, wie es dich prüft?
Seeler: Das ist das Ergebnis meiner Erziehung. Mein Vater Erwin und meine Mutter Anni - übrigens eine sehr gute Schwimmerin - haben ihren drei Kindern Pflichtbewusstsein und Disziplin vermittelt. Mein erster Lehrer, ein Herr Klüver von der Spedition Schier, Otten & Co., schickte mich bei jedem Wetter in den Verteilungsschuppen 54/55 im Hafen und sagte: "Da musst du durch, Kleiner." Das Leben findet nicht nur bei Schönwetter statt. Die Lebensweisheit von Trainern wie Günther Mahlmann, Sepp Herberger, Helmut Schön oder Dettmar Cramer waren mitentscheidend für meine Einstellung zum Leben.
Besonders die des Pädagogen Mahlmann ...
Seeler: Ja, einen Satz habe ich nie vergessen. Er lautete: Uwe, erst in der Niederlage zeigt sich der wahre Sportsmann. Und diesen Satz hören meine Enkelkinder sehr oft. Vor allen Dingen Levin, der mit 16 Jahren schon für Deutschland spielt.
Du bist eine Legende. Wie dein großes Vorbild Fritz Walter, der freilich immer ein wenig Abstand hielt. Du bist die Legende zum Anfassen. Wer mit dir an einer Autobahn Raststätte Halt macht, erlebt ein Ritual: keine Gulaschsuppe ohne Autogrammbeilage. Du unterschreibst immer lächelnd.
Seeler: Fußball heute ist ein knallhartes, globales Geschäft geworden. Mit vielen Gewinnern und Verlierern. Die Spielsysteme haben sich gewandelt. Die Grundtugenden sind geblieben: Einsatzwille, Disziplin, Zweikampfstärke, Laufbereitschaft, Geschlossenheit mit der Mannschaft und niemals aufgeben. Der zwölfte Mann im Stadion, der Fan, spürt die Einstellung eines jeden Spielers. Und diesem Fan gehört immer meine Sympathie, mein Respekt. Vor und nach dem Spiel. Deshalb schreibe ich jedem meinen Namenszug als Dankeschön für seine Unterstützung.
Der Fan sagt selten: "Heute spielt meine Mannschaft", er sagt: "Heute spielen wir." Du ja auch, wenn du mit hochrotem Kopf in der Delta-Loge deinen HSV ertragen musst. Warum stehst du immer ängstlich hinter der Glasscheibe und sitzt nie?
Seeler: Sitzen macht mich kribbelig. Im Stehen kann ich mich bewegen. Und im Hintergrund kann ich TV Bilder gucken. In der Loge ist eine tolle Stimmung. Eine Fußball-Börse. Da vergisst du schnell vergebene Torchancen oder falsches Stellungsspiel.
Bei Niederlagen spreche ich dich zehn Minuten nicht an.
Seeler: Das ist auch gut so. Früher dauerte der Frust drei bis vier Stunden. Zu Hause stellte mir Ilka Pantoffel hin und befahl den Kindern absolute Ruhe. Langsam wurde ich wieder ein glücklicher Mensch.
Laut jüngster Analyse leben die glücklichsten Menschen Deutschlands in Hamburg. Glück jedoch ist schwer definierbar.
Seeler: Mag sein. Für mich ist Glück Gottes Fügung, gepaart mit Leistung. Leistung ist individuell, sein Ziel muss jeder Mensch selbst finden, um dann das Glück zu erfahren. Man darf seine Ziele nur nicht zu hoch stecken, damit man hinterher nicht zu enttäuscht ist, wenn die Ziele nicht erreicht werden. Mein Glück: mein Elternhaus, meine Frau, meine Kinder, mein Beruf und meine Fähigkeit zum Fußballspielen.
Was ist der größte Gewinn eines Sportlerlebens?
Seeler: Es gibt keinen größten Gewinn, es gibt einen alles umfassenden Gewinn. Der Sport hat mir Halt gegeben. Wie jeder hatte ich im Leben Höhen und Tiefen. Und der Sport hat mir geholfen, diese Situation zu meistern.
Wenn ich jetzt das Datum 20. Februar 1965 nenne ...
Seeler: ... dann zucke ich noch immer zusammen. Wir spielen in Frankfurt gegen Eintracht. Der Winter ist hart, der Boden dementsprechend. In der 55. Minute werde ich gefoult, die Achillessehne reißt. Ich bin erst 28 und denke: So, Uwe, nun ist die Fußballerkarriere vorbei mit 28: Aber ich wurde wieder gesund. Schon am 26. September 1965 gelingt mir das Siegtor zum 2:1 gegen Schweden, das uns die Teilnahme an der WM 1966 garantiert.
Und Helmut Schön bietet dir das Du bei einem Whisky an.
Seeler: Ja, ich war sehr stolz.
Du engagierst dich sehr für Not leidende Menschen. Warum?
Seeler: Ich meine: Das ist doch Pflicht. Wir können von unseren Kindern nicht verlangen, sich für andere einzusetzen, wenn wir es selbst nicht tun. Mein Vater hat immer geholfen. Beim HSV und im Hafen. Meine Mutter ebenfalls. Eltern haben eine Vorbildfunktion. Diese Funktion versuchen Ilka und ich zu leben. Wenn ich Menschen treffe, denen wir helfen konnten, dann macht mich das glücklich.
Schreiben Sie "Uns Uwe" Ihre Glückwünsche!
Jede Menge Glückwünsche werden Uwe Seeler zum 75. Geburtstag erreichen. Und was könnte ihn mehr freuen als die Gratulation von jungen Menschen, die ebenso fußballbegeistert sind wie er? Das Abendblatt sucht daher die Kinder- oder Jugendfußballmannschaft, die den originellsten Glückwunsch kreiert. Ob eine Geburtstagskarte, ein besonders gestalteter Fußball - sendet ein Bild davon bis 4. November um 10 Uhr an (mit Telefonnummer des Trainers oder Betreuers).
Zu gewinnen gibt es einen kompletten Trikotsatz von Adidas mit Beflockung. Mitarbeiter der Axel Springer AG und der Adidas AG sowie deren Angehörige dürfen nicht teilnehmen. Der Gewinn kann nicht in bar ausgezahlt werden.
Lesen Sie am Montag: Uwe Seelers Kindheit und Jugend in Eppendorf - so wuchs er mit Eltern, Geschwistern und Onkel in der Dreizimmerwohnung auf.