Vier Menschen starben - Anwalt will auf Schuldunfähigkeit des Autofahrers plädieren. Epileptiker hatte bereits drei Kollisionen verursacht.
Hamburg. Sieben Monate sind eine Menge Zeit. Jahreszeiten wechseln, einige weltbewegende Ereignisse passieren und Tausende kleine Alltäglichkeiten. Etwas mehr als sieben Monate ist es her, dass einer der schwersten Unfälle, die es in Hamburg je gegeben hat, vier Menschen aus dem Leben riss und einen Stadtteil - bis heute - tief im Herzen erschütterte. Der Unfall von Eppendorf rief bei den Menschen Trauer, Fassungslosigkeit und Wut hervor. Wut gegen den Unfallverursacher Alexander S., der nun unter Umständen nicht dafür belangt werden kann. Denn sein Anwalt verweist auf Schuldunfähigkeit.
Am 12. März war der 38-jährige Alexander S. mit seinem Fiat auf der Eppendorfer Landstraße mit knapp 100 Kilometern pro Stunde auf die Gegenfahrbahn und dann trotz roter Ampel auf die Kreuzung Eppendorfer Landstraße/Lenhartzstraße gefahren. Dabei stieß er ungebremst gegen das Heck eines VW Golf und schleuderte in eine an einer Fußgängerampel wartende Menschengruppe. Bei dem Unfall kamen der Sozialwissenschaftler Günter Amendt, der Schauspieler Dietmar Mues und seine Ehefrau sowie die Künstlerin Angela K. ums Leben. Der Schauspieler Peter Striebeck und seine Frau, die in dem Golf saßen, wurden verletzt. Im Blut von S. wurden nicht nur Spuren eines Medikaments gegen Epilepsie gefunden, sondern auch der Cannabis-Wirkstoff THC.
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"Aber Cannabis ist jetzt als Unfallursache vom Tisch", sagt Henry Schulitz, Anwalt des Unfallfahrers. "Es war ein epileptischer Anfall. Das muss auch der Staatsanwaltschaft mittlerweile klar sein." Für einen Krampfanfall spreche etwa die hohe Geschwindigkeit und dass es kein reflexartiges Ausweichverhalten gab. Dem Abendblatt liegt zudem ein Dokument des Landgerichts vor, das im Zuge eines Konflikts um das Vorgehen der Staatsanwaltschaft bei den Ermittlungen entstand. Darin steht, dass aus Sicht der auf Verkehrsrecht spezialisierten Kammer der Unfall wegen seines Ablaufs nicht allein mit einer Wirkung von Cannabis erklärt werden könne. Zudem sei keine außergewöhnlich hohe Konzentration dieser Droge zum Tatzeitpunkt festgestellt worden, heißt es weiter.
Die Staatsanwaltschaft verweist dagegen auf die noch nicht abgeschlossenen Ermittlungen. Es sei noch alles offen. "Es handelt sich um ein komplexes Unfallgeschehen", sagt Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers. Somit gibt es auch unterschiedliche Ermittlungsansätze, um herauszufinden, warum der Todesfahrer die Kontrolle über sein Auto verloren hat. "Wir müssen dem Haschischkonsum nachgehen, ebenso wie der Frage, ob ein epileptischer Anfall vorlag. Und wir müssen drei Unfallgeschehen aus der Vergangenheit bewerten", sagt Möllers. Ob und wann Anklage erhoben werde, sei noch offen.
Bereits vor dem Unfall am 12. März, bei dem vier Menschen starben, verursachte Alexander S. drei Unfälle. Im Juli 2004 gab es einen Unfall auf einer Landstraße im nördlichen Umland. Ob die Unfallursache ein epileptischer Anfall war, ist unklar. Seine Fahrweise war zumindest auffällig. Nur fünf Monate später baute Alexander S. den nächsten Unfall. Dabei wurde er schwer verletzt, eine weitere Person leicht. Ein Notarzt war vor Ort. S. kam auf die Intensivstation, war lange im Krankenhaus. Grund für den Unfall war ein epileptischer Anfall. Ein Facharzt attestierte S. aber die Eignung, ein Fahrzeug zu führen. Allerdings muss dieser seitdem das Medikament Valproat gegen Epilepsie einnehmen. Im November 2008 verlor Alexander S. auf der Autobahn 1 erneut die Kontrolle über sein Fahrzeug. Er kam mit dem Auto nach links von der Straße ab, prallte gegen die Mittelplanke und schleuderte quer über die Fahrbahn. Daraufhin wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen. Doch S. ging dagegen vor, und das Kieler Landgericht entschied, dass sich der Mann wieder hinters Steuer setzen darf. Das Gericht hat laut Schulitz folgende Begründung angegeben: Ein Anfall als Ursache sei nicht klar zu beweisen. Und selbst wenn es einer war, sei er für S. nicht sicher vorhersehbar gewesen.
Angesichts der drei Unfälle, die zum Teil mit der epileptischen Erkrankung verbunden sind, stellt sich die Frage, ob S. an diesem 12. März 2011 überhaupt noch als Autofahrer am Verkehr hätte teilnehmen dürfen. "Mein Mandant hatte den Führerschein rechtmäßig und hat sich an alle Regeln gehalten", sagt Anwalt Schulitz. "Er war sogar alle drei Monate bei der Kontrolle, statt nur einmal pro Jahr."
"Wenn es rechtens war, dass der Unfallverursacher Auto fahren durfte und der Anfall nicht durch das THC begünstigt oder ausgelöst wurde, könnte er für schuldunfähig erklärt werden", sagt der unabhängige Anwalt Holger Karsten, zuständig für den Schwerpunkt Verkehrsrecht bei der Steinwachs Rechtsanwaltskanzlei. "Dann würde er nicht belangt werden."
Für die Hinterbliebenen der Todesopfer ein unvorstellbares Szenario. "Wenn man schon mehrere schwere Unfälle hatte, sollte man daraus etwas lernen", sagt Roman Raacke, 35, Sohn von Angela K. "Vielleicht einfach verantwortungsbewusster handeln und realisieren, dass man eine Bedrohung ist, solange man Auto fährt. Und vielleicht sagt man dann: Ich fahre lieber nicht Auto, weil ich nächstes Mal ein Kind totfahren könnte - oder vier Menschen." Außerdem habe er ein Zeichen seitens des Unfallverursachers erwartet. "Das haben wir aus mehreren Gründen bisher nicht getan", sagt Anwalt Schulitz. Zum einen sei es für Alexander S. psychisch gar nicht möglich, zum anderen gebe es keine angemessene Form. "Ein Brief wäre doch blanker Hohn."