Die Hamburger Cruise Days sind ein Touristenmagnet. Doch die Luxusliner blasen riesige Mengen krebserregende Abgase in die Luft.
Hamburg. Die Cruise Days Ende Juli galten als Höhepunkt der Kreuzfahrtsaison in Hamburg. Blaues Licht illuminierte den Hafen, tauchte die sechs Schiffe, die gekommen waren, in eine Szenerie, die von Luxus und Fernweh träumen ließ. Hamburg-Markting-Chef Thorsten Kausch war entzückt und sprach von einem "Geschenk für Hamburg". Allerdings war es ein Geschenk, das noch mehr enthielt als die schönen Bilder: 1600 Tonnen Kohlendioxid, 20 Tonnen Stickoxide und 1920 Kilogramm gefährliche und krebserregende Rußpartikel bliesen die sechs Kreuzfahrer an diesen Tagen zusammen in den schön beleuchteten Hamburger Himmel. Das rechnet die Umweltorganisation Nabu vor. "Die Traumschiffe sind in Wahrheit ein Albtraum für die Umwelt", sagt Hamburgs Nabu-Vorsitzender Alexander Porschke und rückt dabei ein Thema in die Öffentlichkeit, das mittlerweile wohl auch Reedereien und Hafenstädte trotz der schönen Bilder als ernste Imagegefahr erkannt haben: Parallel zur Schiffbaumesse SMM in dieser Woche in Hamburg sprechen Branchenvertreter heute auf dem weltweit ersten maritimem Umweltkongress über das Thema.
Ökologie und Ökonomie - hier sind sie auch 2010 noch krasse Gegensätze. So feiern Tourismus- und Marketing-Institutionen der Stadt, dass jährlich immer mehr Kreuzfahrer in die Stadt kommen. Millionenschwere Umsätze würde das bringen und die "Marke Hamburg" (Kausch) beflügeln. Gleichzeitig aber bereitet sich die schwarz-grüne Koalition auf 2011 vor, um sich als Umwelthauptstadt Europas feiern zu lassen. Während dabei über Umweltzonen selbst für Autos mit Katalysator nachgedacht wird - arbeiten die Schiffe im Hafen wie Kraftwerke aus der Vorkriegszeit - also weitgehend ohne Filter.
Und selbst der neue, relativ schwefelarme Treibstoff, der in EU-Häfen seit Anfang des Jahres verwendet werden muss, hat noch immer einen gut 100-mal höheren Schwefelanteil als Lkw-Diesel. Ein Luxusliner, so der Nabu, stößt an einem Tag im Hafen so viel Ruß- und Schwefelpartikel aus wie 12 000 Pkw. Heute geht es bei dem Umweltgipfel daher um Maßnahmen, wie Hafenstädte solche Schiffsabgase in Zukunft eindämmen können. Auch Hamburgs Umweltstaatsrat Christian Maaß (GAL) wird heute dort reden. Er könnte von einer schier unendlichen Geschichte erzählen.
Denn Forderungen nach einer sauberen Landstrom-Versorgung während der Liegezeiten gibt es in Hamburg bereits seit 2006: Damals hatte ein Gutachten dazu geführt, dass wegen der Abgase nahe dem Kreuzfahrtterminal in der HafenCity keine Wohnungen gebaut werden. Und am geplanten zweiten Terminal in Altona wurde die Zahl der jährlichen Schiffsanläufe auf 50 begrenzt. "Die Schadstoffgrenzwerte werden an beiden Terminals überschritten", räumt Björn Marzahn. Sprecher der Hamburger Umweltbehörde, ein.
Doch die Sache mit dem Landstrom für Schiffe ist nicht ganz so einfach. Sie lässt sich mit dem Angebot von Handys und ihren Aufladegeräten vergleichen. Viele unterschiedliche Modelle gibt es da, und nix passt zusammen. Zwar haben Hafenstädte wie Los Angelas bereits Landstrom-Anschlüsse gebaut. "Doch Landstrom funktioniert nirgendwo richtig", sagt Max Johns vom Verband Deutscher Reeder. Bisher gebe es nur Lösungen für ganz spezielle Schiffe wie Fähren, die immer nur eines und immer dasselbe Terminal anlaufen. Die deutschen Reeder empfehlen daher als kurzfristige Lösung besonders schwefelarmen Treibstoff, der dann aber von den Hafenstädten als Anreiz subventioniert werden müsste.
Und so tat sich Hamburg bisher schwer, die Forderung nach Landstrom umzusetzen - obwohl dies im schwarz-grünen Koalitionsvertrag verankert ist. Immerhin aber setzte Ex-Bürgermeister Ole von Beust (CDU) 2008 eine behördenübergreifende Planungsgruppe ein, die Lösungen erarbeiten soll. Zunächst nur für Kreuzfahrtschiffe - obwohl ihr Anteil weit geringer ausfällt: 12 000 Seeschiffe laufen Hamburg jährlich an, aber bisher nur 100 Kreuzfahrer. Die stehen allerdings besonders im Blickfeld, weil sie als schwimmende Luxushotels besonders viel Strom brauchen und die beiden Terminals eben dicht an bewohnten Stadtteilen liegen. Daher konzentrierte sich die Lenkungsgruppe, die dem Senat in diesen Tagen eine Empfehlung vorlegen will, zunächst darauf.
"Technisch", sagt Professor Heinrich Reincke, "ist vieles möglich." Reincke, Leiter der Lenkungsgruppe, schlägt oben im 5. Stock der Europa-Passage einen Aktenordner auf. Der Planungsstab der Senatskanzlei hat dort seine Büros, quasi der Thinktank des Senats. Viel war Reincke in den vergangenen Monaten unterwegs, sprach mit Reedereien und Werften. Eine Landstrom-Anlage, so hat seine Gruppe erarbeitet, würde für die beiden Kreuzfahrtterminals etwa 20 Millionen Euro kosten. Vorstellbar sei, dass sie als schwimmende Einheiten auf Bargen installiert sind, um mobil eingesetzt werden zu können. Doch Landstrom dürfte auch nur eine Übergangslösung sein, sagt Reincke. "Langfristig geht der Trend zum LNG, zum flüssigen Naturgas." Zunächst werde es Schiffe geben, die sowohl mit dem viel saubereren Gas als auch mit Marinediesel betrieben werden. "2020 bis 2025 werden neue Kreuzfahrtschiffe komplett mit diesem Gas fahren", vermutet Reincke.
Doch was ist bis dahin? Soll Hamburg eine teure Landstromanlage bauen oder Millionen Euro in eine Infrastruktur für Landgas investieren? "Das wird jetzt eine politische Frage sein", sagt Reincke. Zumal es noch ein Problem mit den Reedereien geben könnte. Auf Schiffen produzierter Strom ist viermal günstiger als Landstrom. Und Landstrom würde die Abgase auch nur um 70 Prozent abmildern, weil für die Wärmeerzeugung immer noch Hilfsdiesel weiterlaufen müsste. "Wenn man einen Landstrom-Anschluss ohne Kostenausgleich im Alleingang vorschreibt, werden bald die Schiffe wegbleiben", sagt Reincke. Hamburg versuche daher, eine Allianz der Kreuzfahrthäfen in Europa zu schmieden.
Doch das dürfte ein schwieriges und langes Vorhaben werden. So gilt seit dem 1. Januar dieses Jahres in EU-Häfen eine Schwefelgrenze von 0,1 Prozent für Treibstoffe, die während der Liegezeiten verfeuert werden. Brav hat Hamburg die Regelung umgesetzt und lässt die Wasserschutzpolizei schon einmal kontrollieren, ob Schiffe den sauberen Hafendiesel auch gebunkert haben. Doch im Mittelmeer, so hat Reincke bei seinen Gesprächen festgestellt, ist selbst dieser schon vorhandene Grenzwert lange noch nicht überall als nationale Vorschrift umgesetzt.
Vielleicht aber liegt die Lösung auch ganz woanders. Vielleicht findet man sie, wenn man eine kleine Landstraße in Dithmarschen am Elbdeich an Strohdachhäusern entlangfährt und vor einem weißen Einfamilienhaus im Dorf Kollmar ankommt.
Hier hat der von Föhr stammende Kapitänsreeder Rörd Braren vor 20 Jahren mit seiner Frau eine Reederei gegründet, die in Sachen Umwelttechnik mittlerweile führend ist. Schon lange fahren Schiffe von ihm mit Katalysatoren, seinem Unternehmen wurde wegen des Öko-Engagements der blaue Umweltengel verliehen. "Der packt auch schon einmal was drauf, um die Sache voranzubringen" heißt es beim Reederverband, deren Präsidiumsmitglied Braren ist. Er empfängt in seinem Büro, das wie ein gediegenes Wohnzimmer aussieht. Schwere Ledersessel stehen dort, ein Bücherregal. Im Garten, nur zwei, drei Meter hinter der Terrasse, ragt schon der grüne Elbdeich auf.
"So sieht das aus", sagt Braren und zeigt ein Bild von seinem neuen Frachter, der "Timbus". Ein merkwürdiger weißer Kasten ragt dort vor dem Decks-Haus auf. Darin arbeitet die weltweit erste auf einem Schiff installierte trockene Entschwefelungsanlage. Kalkgranulat wäscht hier die Abgase förmlich, als Abfallprodukt fällt Gips an. Gleichzeitig besitzt die knapp 100 Meter lange "Timbus" auch einen Katalysator, sodass viele Abgaswerte nahe der Nachweisgrenze liegen. Auch Ruß wird, als Nebeneffekt, zu großen Teilen weggefiltert. Eine teure Technik, nur um das Umweltgewissen zu beruhigen? "Nein", sagt Braren. "Nur als Gutmensch besteht man keinen globalen Wettbewerb." Es sei eher eine Win-Win-Situation zwischen ihm und seinem Kunden, einem führenden Cellulose-Hersteller aus Schweden. "Die legen viel Wert auf einen hohen Umweltstandard, man kann dann nicht mit einem herkömmlichen Schiff ankommen."
Und: Skandinavien dürfte in Sachen Umwelt auch einen Schritt weiter als Hamburg sein. Dort gibt es beim Hafengeld kräftige Rabatte für saubere Schiffe wie die "Timbus". In Hamburg nicht mehr. 2001 hatte der damals neue CDU-Schill-Senat eine solche Regelung flugs wieder abgeschafft.