Erkenntnisse über drei mögliche Anschlags-Szenarien. Auch in Hamburg patrouillieren Polizisten an Flughafen und Bahnhöfen.
Hamburg. Terror-Alarm in Deutschland: Ende November, also praktisch ab sofort, könnten in Deutschland Sprengsätze detonieren und Attentäter mitten auf der Straße oder in öffentlichen Gebäuden um sich schießen. Zwei entsprechende Hinweise erreichten das Innenministerium Ende vergangener und Anfang dieser Woche aus unterschiedlichen Quellen zu offenbar unterschiedlichen Terrorgruppierungen. Einer der zwei Hinweise kommt aus dem Ausland und betrifft offenbar auch eine nicht von Deutschland aus agierende Gruppe. Den zweiten Hinweis hat sich das BKA aus eigenen Quellen erarbeitet. Ob die Planungen der Gruppen zusammenhängen, ist offenbar noch nicht geklärt. „Es fällt nur auf, dass das Szenario, das sich im Endeffekt ergeben würde, sehr ähnlich ist“, hieß es in Sicherheitskreisen.
Grundsätzlich haben die Behörden Erkenntnisse über drei mögliche Bedrohungsszenarien. Einerseits verfolge al-Qaida das längerfristige Ziel, Europa und die USA massiv zu schädigen. Younis El-Mauretani, einer der obersten Führer der Terrororganisation koordiniere die Planungen dafür. Wertvolle und übereinstimmende Erkenntnisse dazu lieferten die kürzlich in Afghanistan und Pakistan festgenommen deutschen Islamisten Ahmad S. und Rami M., die seit Monaten getrennt voneinander vernommen werden.
Möglich wäre laut Sicherheitskräften auch ein Anschlag ähnlich dem, den Islamisten im November 2008 in Mumbai verübten. Die Terroristen töteten dabei mit Schnellfeuerwaffen und durch Explosionen mehr als 170 Menschen. Angeblich halten sich in Europa rund 15 bis 25 gewaltbereiter Islamisten auf, die eine ähnliche Aktion auch in Deutschland starten könnten. Als drittes Bedrohungsszenario nennen Experten Anschläge durch sogenannte Schläferzellen, deren Mitglieder möglicherweise seit Jahren in Deutschland leben und hier im Geheimen Gewaltaktionen vorbereiten.
Das Bundeskriminalamt hat Maßnahmen nach dem umstrittenen Paragrafen 4a des kürzlich geänderten BKA-Gesetzes ergriffen. Danach darf die Bundesbehörde präventive Maßnahmen zur Terrorabwehr ergreifen, die zuvor den Ländern vorbehalten waren. Darunter fällt unter anderem die sogenannte Online-Durchsuchung. Aus Sicherheitskreisen hieß es zudem, dass auch verstärkt verdeckte Ermittler eingesetzt würden und Mitarbeiter bei Telefonüberwachungen „live“ und wenn nötig auch mit Dolmetscher mithörten, um auf mögliche Gefahren sofort reagieren zu können. „Es kann dabei um die gezielte Lokalisierung möglicher Anschlagsorte gehen“, hieß es.
Die erhöhte Terrorgefahr in Deutschland wird auch Thema bei der Innenministerkonferenz (IMK) in Hamburg sein. Bereits für den Abend hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) seine 16 Landeskollegen zusammengerufen. Das kündigte der IMK-Vorsitzende, Hamburgs Innensenator Heino Vahldieck (CDU), am Mittwoch an. „Vor Eintritt in die reguläre Tagesordnung werden wir uns mit diesem Thema befassen. Und da wird Herr de Maizière sicherlich auch noch einige Details, die bisher noch nicht in der Öffentlichkeit bekannt sind, uns mitteilen.“ Die Innenminister kommen offiziell an diesem Donnerstag und Freitag zu ihrer Herbstkonferenz in Hamburg zusammen. Wegen einer Demonstration gegen die IMK sind in Hamburg Verkehrsbehinderungen zu erwarten .
Wegen der Warnung der Bundesregierung vor einem geplanten Terroranschlag in Deutschland sind in Hamburg die Sicherheitsmaßnahmen an neuralgischen Punkten hochgefahren worden. Die Präsenz von bewaffneten Beamten auf den S- und Fernbahnhöfen der Hansestadt sei „deutlich sichtbar erhöht“ worden, sagte Bundespolizeisprecher Rüdiger Carstens. Auch am Flughafen sind seit 12 Uhr alle Bundespolizisten in schusssicheren Westen und mit Maschinenpistolen unterwegs. Seit dem Mittag wird ein gepanzertes Fahrzeug am Flughafen eingesetzt.
Anliegen der verstärkten Sicherheitsmaßnahmen ist es Carstens zufolge, Reisenden ein größeres Sicherheitsgefühl zu geben. Deshalb seien nicht nur mehr uniformierte Bundespolizisten im Einsatz. Auch Zivilfahnder gehen auf Bahnhöfen und in Zügen verstärkt auf Streife.
Der Bundespolizeisprecher appellierte in diesem Zusammenhang eindringlich an alle Reisenden, umsichtig auf ihr Gepäck zu achten. Sie seien nicht nur zu erhöhter Wachsamkeit aufgefordert, um Sicherheitskräften ungewöhnliche Beobachtungen mitzuteilen. Es sollten zudem auch keine Gepäckstücke unbeaufsichtigt stehengelassen werden. Dies könne Großeinsätze der Polizei auslösen.
Ein Sprecher der Hamburger Innenbehörde sagte zur Polizeipräsenz im Stadtgebiet, dass an Schwerpunkten sowohl offene als auch verdeckte Maßnahmen ergriffen würden. Näher wollte er sich nicht äußern. Er betonte jedoch, es gebe bislang „keine konkreten Informationen zur Vorbereitung gravierender Anschläge“. Auch konkrete Orte seien nicht bekannt: „Wir sind entspannt.“ Angesichts der Herbsttagung der Innenministerkonferenez von Bund und Ländern am Donnerstag und Freitag sei das Sicherheitsniveau in Hamburg ohnehin „sehr, sehr hoch“. Es werde täglich geprüft, welche zusätzlichen Maßnahmen erforderlich seien.
Schleswig-Holsteins Innenminister Klaus Schlie rief zu verstärkter Wachsamkeit und Besonnenheit auf. „Es gibt Grund zur Sorge, aber nicht zur Hysterie“, sagte der CDU-Politiker. Die Landespolizei sei auf die neue Lage vorbereitet. Verschärfte Kontrollen gebe es in den Fährhäfen. Über weitere taktisch-operative Maßnahmen wollte sich Schlie nicht äußern. „Die Polizei wird im Rahmen ihres regulären Streifen- und Ermittlungsdienstes Orte und Objekte sowie bestimmte Personen verstärkt ins Auge fassen“, sagte der Minister. Dies geschehe zur Vorbeugung und Abschreckung. Die Maßnahmen erfolgten sowohl offen als auch verdeckt.
Am Vormittag hatten die Sicherheitsbehörden am Hamburger Flughafen Alarm ausgelöst. Dort war auf einer Damentoilette zwischen dem Terminal 1 und der Airport Plaza von einer Reinigungskraft ein verdächtiger elektronischer Gegenstand entdeckt worden. Spezialkräfte zerstörten das Objekt, das einem Klebestift ähnelte und bislang nicht weiter identifiziert werden konnte. Sicher ist nur, dass der zehn bis zwölf Zentimeter große Gegenstand aus elektronischen Bauteilen und Kabeln bestand. Es blieben davon nur drei kleine Teile übrig, berichtete ein Sprecher der Bundespolizei. "Es war Elektronik. Ob aber herausgefunden werden kann, was es genau war, kann ich nicht sagen.“ Der Vorgang hatte offenbar keine Auswirkungen auf den Flugverkehr.
Es war die dramatischste Stellungnahme in seiner bisherigen Amtszeit als Bundesinnenminister: Thomas de Maizière (CDU) hatte am Mittwoch in Berlin gesagt, die Hinweise auf Terroranschläge hätten sich „verstärkt“. So gebe es „Hinweise eines ausländischen Partners, nach denen Ende November mutmaßliche Anschlagsvorhaben umgesetzt werden“. Es lägen aber auch „eigene Erkenntnisse“ über „Bestrebungen islamistischer Gruppen zu Anschlagsplanungen in der Bundesrepublik“ vor. Ausdrücklich nannte er dabei die Terrororganisation al-Qaida. De Maizière betonte: „Es gibt Grund zur Sorge, aber keinen Grund zu Hysterie.“
Auch die Bundesregierung hat vor Hysterie gewarnt. Es wäre ein „großer Fehler“, sich durch die zugespitzte Lage in seinen Freiheiten beschränken zu lassen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. „Dann gäben wir ja den Terroristen einen billigen Sieg.“ Seibert hob hervor, dass sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Terminplanung nicht durch die Terrorwarnungen beeinflussen lasse. Merkel werde keine Reisen oder andere Planungen verändern oder streichen. Der Sprecher des Innenministeriums, Stefan Paris, wollte die Terrorwarnung nicht konkret einstufen. Es gebe kein Stufensystem wie etwa in Frankreich, Großbritannien oder den USA. Es handele sich aber um eine „neue Sicherheitslage“, sagte Paris. „Es ist durchaus ernst.“
Zum genaueren Termin oder zu Zielen eines möglichen Anschlags äußerte sich Minister de Maizière nicht. Die Hinweise kamen nach seinen Worten von einem „ausländischen Partner“ – damit ist in der Regel ein Geheimdienst gemeint. Auch das Bundeskriminalamt habe aber konkrete Informationen zu Anschlagsplanungen. Nach Informationen des Berliner „Tagesspiegels" bekamen die deutschen Behörden Hinweise aus den USA, dass zwei bis vier al-Qaida-Terroristen Anschläge in Deutschland und Großbritannien vorbereiten. Als Datum für deren geplante Ankunft in Deutschland hätten die US-Behörden den 22. November genannt, berichtet das Blatt aus Sicherheitskreisen.
In den vergangenen Wochen hatten sich bereits Hinweise verdichtet, dass Islamisten aus Deutschland nach einer Terror-Ausbildung im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet wieder auf der Heimreise sind. Eine andere Spur führt nach den gescheiterten Luftfracht-Anschlägen Ende Oktober in den Jemen. Auf Flughäfen und Bahnhöfen wird nun auch das Personal verstärkt. De Maizière sagte, einige der neuen Maßnahmen seien „sichtbar“, andere nicht. Der Minister verglich die aktuelle Gefährdungslage mit der Situation vor der Bundestagswahl im Herbst vergangenen Jahres. Bereits damals hatte es Befürchtungen gegeben, dass Deutschland zum Ziel eines Anschlags von al-Qaida oder anderen Terrorgruppen werden könnte. Die höheren Sicherheitsvorkehrungen gelten nach Angaben des Ministers bundesweit und ohne zeitliche Begrenzung. De Maizière schloss auch nicht aus, dass es innerhalb des sogenannten Schengen-Raums im Einzelfall an den Grenzen wieder Personenkontrollen gibt.
Der CDU-Politiker versicherte, die Sicherheitsbehörden seien auf die gestiegene Gefahr „gut vorbereitet“. „Wir zeigen Stärke, lassen uns aber nicht einschüchtern“, versicherte de Maizière. „Wir lassen uns durch den internationalen Terrorismus weder in unseren Lebensgewohnheiten noch in unserer freiheitlichen Lebenskultur einschränken.“ Zugleich verwies er auf die internationale Zusammenarbeit beim Anti-Terror-Kampf. „Wir sind aufs Engste mit unseren Nachbarn und Partnern im Gespräch.“ Als Drahtzieher der geplanten Anschläge wird nach „Tagesspiegel“-Informationen Mohammed Ilyas Kashmiri genannt, eine der führenden Figuren der al-Qaida. Der Pakistaner wird auch für den Anschlag auf das Touristenlokal „German Bakery“ in der indischen Stadt Pune verantwortlich gemacht, bei dem im Februar dieses Jahres 17 Menschen starben. Kashmiri soll die Terroristen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet rekrutiert haben.