Wie ist sie zum populären Gesicht der Hansestadt geworden, so bekannt wie Michel, Hafen, Fischmarkt, HSV oder das HH auf dem Nummernschild?
Hamburg. Heidi Kabels gewaltiger Erfolg hatte fünf Bausteine.
1. Eine von uns: Heidi Kabel galt den Menschen auf der Straße immer als „eine von uns“. Dabei war die Drucker- und Verlegertochter nicht in schlechten Verhältnissen geboren. Ihre Rollen in niederdeutschen Stücken holten sie in die Volksnähe: Das war die Sprache des Volkes, das waren Frauen von nebenan, aus dem Mietshaus oder vom Bauernhof. Frauen, die sich durchbeißen. Wichtig vielleicht auch: Heidi Kabel war in der NS-Frauenschaft, sie durfte deshalb zwei Jahre nicht spielen nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie musste weiterleben im Bewusstsein, dass sie vor 1945 wohl zu unkritisch gedacht hat. Das verband sie mit einer Mehrheit der Hamburger, denen es ähnlich ging, die auch weiterleben mussten mit moralischer Schuld. Sie war eine von ihnen. Und sie erlebte, wie es ist, wenn man in Kriegs- und Nachkriegszeiten drei kleine Kinder durchbringen muss. Da alles half, die Nase nicht hoch zu tragen.
2. Das Ohnsorg-Ritual: Mit der Fußball-WM 1954 wird Fernsehen zum Massenereignis. Das Zeitalter von Salzstangen und Käse-Igel bricht an; wer schon einen Bildschirm hat, lädt Nachbarn ein. 1954 geht zum ersten Mal das Ohnsorg-Theater auf Sendung, damals aus dem Bunker auf dem Heiligengeistfeld und mit einer Revolution: Man spricht vor der Kamera eine entschärfte Form des Plattdeutschen, damit es draußen im Land auch jeder verstehen kann. Die Stücke kommen gut an, die Einschaltquoten liegen nicht selten bei Straßenfeger-Zahlen: bei 70, 80 Prozent der Geräte. Der Marktanteil beträgt, weil das Erste noch das Einzige ist, 100 Prozent. Heidi Kabel wird zum nationalen Fernsehstar, auch weil man sie so gut verstehen kann. Auch meine Eltern haben immer wieder auf das „Ohnsorg“ gewartet. Die Kinder durften länger aufbleiben, weil jugendfrei, der rote Vorhang ging so hübsch auf, und das Publikum applaudierte. Fernsehen war Theater.
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3. Bleibende Werte und vergängliche: Das Ohnsorg ist ein Theater der kleinen Leute, und Heidi Kabel war ihre Klatschbase und Mutter Courage. Sie rettet das gute Kleine vor dem großen Bösen – ein bisschen Heinz-Rühmann-Syndrom steckte in fast jeder Rolle: Man kennt seinen Platz in der Gesellschaft, aber zu doll sollen es die anderen nicht treiben, sonst … Ja, was? Sonst werden sie Heidi Kabel mal so richtig kennenlernen. In ihren Rollen trickst sie und intrigiert, schmiedet Allianzen und Pläne, schimpft begnadet, explodiert auch mal. Dann aber so, dass man ihr dabei nicht begegnen möchte.
Sie ist immer ein Familientier, und vor der Mattscheibe sitzen ebenfalls Familien. Die wollen heile Welt, mentales Kuscheln, Zusammenhalt in schweren Zeiten. Sie wollen auch Lachen, das befreit. Heidi Kabel gibt es ihnen. Noch besser, als die eigene Tochter mit auf der Bühne steht – die wird tausende Male vor dem falschen Liebhaber, vor Betrügern, Hochstaplern und arroganten Schnöseln gerettet und in die richtigen Hände geleitet.
Heile Familie wird immer wichtiger, je seltener sie sich zum Ohnsorg-Ritual vor dem Fernseher versammelt. Am Ende wird Heidi Kabel so etwas wie das Leitfossil dieser Idee, so wie Freddy Quinn an eine Romantik der Seefahrt erinnert, die längst vergangen ist (und die so selten ist wie Familien-Idylle).
Im Grunde sucht sie immer den guten Kompromiss, ist eine Vertreterin des Machbaren, des Vernünftigen. Sie empört sich aufrichtig über Unrecht. Und regelt pragmatisch, dass es nicht gewinnen kann. Gelebter Pragmatismus zugunsten der heilen Welt – das unterscheidet sie wohltuend altmodisch vom Egoismus unserer Tage. Auch dafür wird sie geliebt.
4. Unterhaltung ist harte Arbeit: Kollegen rühmen ihr Arbeitethos. Dass sie immer auf der Bühne stand, auch wenn sie kränkelte. Dass sie selbstverständlich die Vorstellung zu Ende brachte, in der sie 1970 hinter der Bühne erfuhr, dass ihr Mann gestorben war. Sie hat jungen Kollegen mit ganz praktischen Ratschlägen geholfen: „So, das Kissen hier, das ist jetzt deine Deern, nu mal los.“ Das Publikum hat ihr alles gedankt, so wie die großen Tourneen mit bis zu 450 Vorstellungen. Den Klönschnack mit Zuschauern, die Autogramme. Das waren nicht ihre Lieblingstätigkeiten, aber sie wusste, was sie ihren Zuschauern und Fans schuldig war.
Am stärksten war Heidi Kabel, wenn sie sich in kleinen, fast anarchischen Momenten aus der Wirklichkeit herausträumte. Wenn sie plötzlich für unkalkulierbare Sekunden hinüberglitt in einen kleinen Traum – Liebe, Reichtum, Glück, dessen Seifenblase an der nächsten Realität zerplatzte. Dieses kleine „könnte aber doch auch sein, dass…“ – das war wunderbar. So wie die komischen Augenblicke, in denen sie Männer becircte, ihnen hemmungslos um den Bart ging, bis die kommunikationsgestörten Bären brummelig einlenken. Oder die erschütternden, in denen sie scheitert und verzweifelt war.
1. Der Nachruf des Ohnsorg Theaters
2. "Herz, Humor und Happy End" - Eine fünteiliges Fernsehporträt
3. Liebe Oma Heidi... - Ein persönlicher Brief des Enkels aus dem vergangenen Jahr
5. Die Volksschauspielerin: Fast jeden Titel kann man kaufen oder herbeischreiben. „Volksschauspielerin“ nicht – das ist eine bilaterale Vereinbarung, bei der nur das Volk sagt, wer das ist und wer nicht. Wer es ist, muss authentisch sein, das Volk möchte sich wiedererkennen und ernstgenommen fühlen. Und es möchte seine eigene Sprache hören. Das Plattdeutsche, sagte sie mal, hat mehr Kraft für Gefühle. Privat hat sie hochdeutsch gesprochen, mit unverkennbarem Hamburger Einschlag.
Viele möchten gar keine Volksschauspieler sein, fühlen sich da eingesperrt in Schubladen. Anders Heidi Kabel. Sie war es mit Leib und Seele, war vor allem menschlich nicht weit entfernt von den Figuren, die sie gespielt hat. Von der quasseligen Meta Bold aus „Tratsch im Treppenhaus“, der „Kartenlegerin“ Wilhelmine Lührs – und 250 anderen Rollen. Mit herrlich querschießendem Humor und Warmherzigkeit, mit hartnäckigem Charme und Durchhaltetalent. Sie hat auch gesungen („Hamburg, ich liebe dich“), gefilmt, und 2002 (in Bremen – bitter, aber wahr) ihr 70. Bühnenjubiläum gefeiert. „Weil ich verkörpere, was sie in sich selbst fühlen“ – so sah sie ihren Ehrentitel „Volksschauspielerin“ begründet, den jeder Applaus bekräftigte. Nicht vielen gönnte ihn das Volk, in Hamburg gehören noch Helga Feddersen, Henry Vahl, Hans Albers ihnen. Die Brüder Wolf („An de Eck steiht’n Jung mit’n Tüdelband“) wurden von den Nazis zum Schweigen gebracht. Von den Heutigen ist Jan Fedder auf einem guten Weg. Aber Heidi Kabel, die wird es für immer sein. Im Fernsehen, auf Youtube und in unserer Erinnerung.