Star: Heute lädt die große Volksschauspielerin ihre Freunde ein - am Sonntag wird sie mit einer Gala im Rolf-Liebermann-Studio geehrt

An Bekanntheit nimmt sie es mit jedem Bundeskanzler auf. An Popularität sowieso. Heidi Kabel ist ein Mensch zum Knuddeln, obwohl sie aufdringliche Fans nicht mag. Aber das gehört dazu, wenn man Deutschlands beliebteste Volksschauspielerin ist. Wo immer sie sich zeigt, muss sie Hände schütteln und Autogramme schreiben. So auch am vergangenen Sonntag bei der Uraufführung der Komödie "Dat tweete Fröhjohr" im Ohnsorg-Theater. Seit sich am Silvesterabend 1998 für sie der letzte Vorhang im Ohnsorg-Theater hob, hat sie einen Ehrenplatz in der ersten Reihe und verpasst keine Premiere. Das ist sie ihrem Theater und den Kollegen schuldig.

66 Jahre hat sie bei Ohnsorgs gespielt - erst im Wandsbeker Stadttheater, seit 1936 an den Großen Bleichen. Zum Theater kommt sie eher zufällig, denn die junge Heidi will Konzertpianistin werden. Als sie aber ihre Freundin Eva Stolze zum Vorsprechen bei Dr. Ohnsorg begleitet, kommt es ganz anders. Zwar hatte Mutter Kabel ihrer Tochter ein energisches "Heidi, du nicht!" nachgerufen, doch dann öffnet ein stattlicher junger Schauspieler, der Hannes gerufen wird, den beiden Küken die Tür. Nach der Probe fragt dieser Hannes die 18-jährige Heidi, ob er sie nach Hause bringen soll. Sie ist empört und kontert mit einem schrillen "Nein!" Vier Jahre später - Heidi Kabel gehört längst zum festen Ensemble von Richard Ohnsorg - heiratet sie Hans Mahler. Eva hat es da schon längst nach Bayern verschlagen.

Heidi Kabel erlebt Richard Ohnsorg als strengen Chef. Die Schauspieler müssen selbstverständlich beim Bühnenbau helfen und Kostüme nähen. Auch wer krank ist, muss spielen. Als einmal eine Schauspielerin in der Pause einen Schlaganfall erleidet und ausfällt, wird er unwirsch: "Den letzten Akt hätte sie doch noch spielen können."

1935 sucht das Theater Lüneburg einen neuen Intendanten. Heidi Kabel wittert eine Möglichkeit für ihren Mann, "weiterzukommen". Nie hat sie verhehlt, dass sie es war, die ihn in die NSDAP gedrängt hat. "Tu es mir zuliebe". Hans Mahler tritt in die Partei ein, und Heidi Kabel wird Mitglied der NS-Frauenschaft. Den Intendantenposten bekommt Mahler dennoch nicht. Dieser Opportunismus soll sich schon bald bitter rächen. Nach dem Krieg verwehren einige Kollegen den beiden den Zutritt zum Theater. Hans Mahler muss sich nun zu Hause um die drei Kinder kümmern, während seine Frau in der Truppe des Sängers Bernhard Jakschtat über die Dörfer rund um Hamburg tingelt und die Menschen mit "Bunten Abenden", also plattdeutschen Programmen, Hamburger Volksliedern und Operettenmelodien den Nachkriegsalltag vergessen hilft. Die Gage besteht aus Eiern, Speck und Kartoffeln. Auch der übliche Kohlenklau gehört zum Alltag der jungen Mutter. Im Frühjahr 1947 wollen es die beiden genau wissen und werden beim zuständigen britischen Besatzungsoffizier vorstellig, um Klarheit über den Stand ihrer Entnazifizierung zu bekommen. Der teilt ihnen mit: "Gehen Sie sofort ins Theater. Sie können beide wieder arbeiten. Es liegt nichts gegen Sie vor."

Sie werden freundlich begrüßt und gehören wieder zum Ensemble - als sei nichts passiert. Heidi Kabel hat diese Intrigen bis heute nicht verwunden. "Tief in mir ist ein Misstrauen geblieben, das ich nicht ablegen kann."

Mit dem Theater aber geht es aufwärts. "Man wollte sich amüsieren, den Krieg vergessen, für ein paar Stunden Fröhlichkeit genießen, bevor man wieder in den tristen Ruinenalltag zurückkehren musste", so Heidi Kabel rückblickend. Hans Mahler, seit 1949 Intendant an den Großen Bleichen, setzt darum konsequent auf Unterhaltung und bindet schnell ein treues Publikum an sein Haus.

Am 13. März 1954 beginnt für das Ohnsorg-Theater eine völlig neue Zeitrechnung. Zum ersten Mal überträgt das Deutsche Fernsehen eine Aufführung: "Seine Majestät Gustav Krause". Neben Walter Scherau, Otto Lüthje, Karl-Heinz Kreienbaum und Hilde Sicks ist auch Heidi Kabel dabei. Diese Premiere ist ein derart großer Erfolg, dass der NDR dem Ohnsorg-Theater einen festen Sendeplatz im Abendprogramm der ARD einrichtet. Einzige Bedingung: Die Schauspieler dürfen nicht Platt snacken wie auf der Bühne, sondern Missingsch, also Hochdeutsch mit Hamburger Zungenschlag. Die Komödien aus Hamburg erobern in wenigen Jahren die Fernsehnation von Flensburg bis zum Bodensee. Die Publikumslieblinge der frühen Jahre sind Heidi Kabel und Walter Scherau. Der Dicke, wie Scherau genannt wird, und die Hamburger Deern sind die Vertreter des norddeutschen Humors. Nach Scheraus Tod nimmt Henry Vahl seine Stelle an der Seite Heidi Kabels ein. Die Übertragungen aus dem Theater gehen als Straßenfeger in die Geschichte des Deutschen Fernsehens ein.

Die erfolgreichste Komödie, die jemals über die deutschen Fernsehschirme flimmert, erleben die Zuschauer am Silvesterabend 1966: "Tratsch im Treppenhaus". Heidi Kabel spielt die intrigante, verlogene Sludertasch Meta Boldt. Es ist die Rolle ihres Lebens. Ihre Lieblingsrolle ist aber, wie sie heute noch sagt, die der tragischen Mudder Mews in Fritz Stavenhagens gleichnamigem Drama. Doch das Publikum will sie lieber handfest erleben - in Komödien wie "Wenn du Geld hest", "Keen Utkomen mit dat Inkomen" oder "De Kortenleggersch". Sie spielt die keifende Schwiegermutter, die verschlagene Tante, die plietsche Wirtsfrau ebenso überzeugend wie die derbe Bäuerin und die Lebedame. Aber nie erliegt sie der Versuchung, ihre Figuren zu Gunsten billiger Pointen zu verraten. Sie führen mit Heidi Kabel auf der Bühne ein eigenes Leben. Sie macht aus ihnen Menschen mit einem eigenen Charakter. Das ist sie ihrem Publikum schuldig - und dafür wird sie geliebt.

Dieses hohe Berufsethos wird am 25. März 1970 auf eine harte Probe gestellt. Mitten in der Vorstellung erhält sie die Nachricht vom plötzlichen Tod ihres Mannes. Nach kurzem Zögern lässt sie zum dritten Akt einläuten und spielt das Stück zu Ende: "Die Show muss weitergehen".

Heidi Kabel ist in den 60er- und 70er-Jahren längst ein Star, nicht nur am Ohnsorg-Theater. Sie spielt nun auch in Fernsehserien an der Seite von Erni Singerl und Willy Millowitsch, sie übernimmt Gastrollen im "Tatort" und hat auch keine Bange vor derben TV-Shows wie "Alles Nichts Oder?" mit Hugo Egon Balder und Hella von Sinnen. Ihr schauspielerischer Mittelpunkt aber bleibt immer das kleine Theater an den Großen Bleichen. Zu ihrem 60. Bühnenjubiläum kehrt sie noch einmal zum Charakterfach zurück. Als 106-jährige "Manda Voss" wird sie vom Publikum und von der Kritik gefeiert.

Doch Heidi Kabel spürt das Alter. Die Souffleuse wird ihre engste Verbündete auf der Bühne, das weiß sie und bereitet ihren Abschied vor: "Ick will nich, dat de Lüüd blots noch koomt, wiel ick ehr Leed do".

Der Rückzug von der Bühne gibt ihr nun aber Zeit, sich sozial zu engagieren. Ob es Obdachlose, hilfsbedürftige Jugendliche oder krebskranke Kinder sind, auf Heidi Kabel können sie zählen. Für sie selbst ist das eine selbstverständliche hanseatische Tugend.

Im Oktober letzten Jahres hat sie ihr Haus in Nienstedten aufgegeben und lebt jetzt in der Ernst-und Claere-Jung-Stiftung in Othmarschen: "Ich vergesse schon mal das eine oder andere und das kann gefährlich werden."

Heute feiert Heidi Kabel ihren 90. Geburtstag mit lieben Freunden und am Sonntag ehrt ihr Ohnsorg-Theater sie mit einer Sonntakte-Gala im Rolf-Liebermann-Studio.