50 Studenten halten die Uni rund um die Uhr besetzt. Viele Kommilitonen sind am Protest aber nicht interessiert.
Im größten Hörsaal der Universität sind Dutzende Plakate und Stofftücher aufgehängt. Alle sind bedruckt oder mit krakeligen Buchstaben beschriftet. "Bildung verteidigen" steht da drauf, "Demokratisierung der Uni" oder "Solidarität mit allen Besetzern". Ein weißer, schmuckloser Zettel ist ebenfalls zu sehen, eine sich stetig aktualisierende To-do-Liste mit Häkchen: "Kontakt Heidelberg, Pressekonferenz, E-Mail, Werbung 17.11". Solche Sachen liest man da, und ganz oben: "Motivationsflyer machen".
Es ist wenig los im Audimax um 14 Uhr, dabei tagt doch gerade das Plenum. Seit zwei Tagen besetzen die Studenten der Uni Hamburg ihren Hörsaal, um gegen die üblichen Missstände zu protestieren: Studiengebühren, schlechte Studienbedingungen, undemokratische Strukturen. Diesmal kam der Streik etwas überraschend, nachdem Studenten erst im Juni gegen die Hochschulpolitik des Senats protestiert hatten. Wenn an Universitäten gestreikt wird, zeigt sich stets so etwas wie ein globales Band, das von Uni zu Uni gesponnen wird. Diesmal waren es die österreichischen Kommilitonen, die den Anfang machten und ihre Hochschule besetzten, um zu protestieren. Es schlossen sich an: die Unis in München, Stuttgart, Utrecht, Berlin, Dresden und London. Um nur einige zu nennen. Im Vorraum des Hamburger Audimax zeigt eine Karte den konzertierten Widerstand der Studenten. "Diesmal", sagt Sven Sieg, "ging es in Wien los." Der 22-Jährige steht in Jeans und T-Shirt an einem Infotisch, er ist eine Art Empfangskomitee für die Flaneure, die mit Umhängetasche und Rucksack ins Audimax kommen. Sieg gehört nicht zu den Flaneuren, er ist einer der Besetzer. Etwa 50 von ihnen übernachten zurzeit in der Uni. Die Schlafsäcke haben sie weggeräumt, aber auf den Tischen sind die Zeichen ihres Aufenthalts zu sehen: Nutellagläser und Safttüten. Aus einem Radio dröhnt Indiepop, und Sven Sieg, der Politikstudent, sagt: "Es ist nicht leicht, auch andere zu motivieren." Und dann erzählt er, wie zufällig ihre Besetzung angefangen hat: "Wir wollten zunächst nur die Veranstaltung im Audimax stören."
Dann sind sie einfach geblieben, haben sich Schlafnischen gesucht, diskutiert, ein bisschen gefeiert. Und wie immer, wenn Studierende gemeinsam etwas auf die Beine stellen wollen, den Versuch einer Organisation unternommen. Na ja, eigentlich sind sie immer noch dabei, ihren Widerstand zu organisieren. Jetzt gerade zum Beispiel, in der Plenumssitzung. Vier junge Menschen stehen vorne am Pult, einer schreibt am Laptop mit. Sein Text ist auf der Leinwand zu sehen. Studenten diskutieren gerne, aber diesmal werden viele ihrer Redebeiträge im Keim erstickt. Sie haben es eilig, am Montag beginnen die Uni-Tage, 10 000 Schüler wollen sich dann mit Informationen eindecken. Zentrale Veranstaltungen sind im Audimax geplant. Aber der ist gerade in ihrer Hand. Die Interimschefin der Hamburger Uni, Gabriele Löschper, hat den Studenten versprochen, den Hörsaal nicht räumen zu lassen. Aber eine Besetzung ist deswegen eine Besetzung, weil ein öffentlicher Raum in Besitz genommen wurde. "Und deswegen dürfen die jetzt nicht einfach ihre Informationsveranstaltungen für Schüler hier durchziehen", sagt ein Student. Ein anderer erwidert: "Wir müssen die Schüler selbst informieren, auf die Schwachstellen der Uni aufmerksam machen, das ist unsere große Chance."
Dabei ist es doch schon schwer genug, die Kommilitonen aufzurütteln. Die meisten wollen einfach nur studieren, Scheine machen, Referate halten. Als Sven Sieg und seine Mitstreiter einen Kursus der Wirtschaftswissenschaftler störten und zum Protest aufriefen, kam ihnen nur ein "Stört doch euren eigenen Unterricht" entgegen. Sieg seufzt. Er will nicht über die urteilen, die sich nicht für Hochschulpolitik interessieren. "Wir machen uns Gedanken, und das ist wichtig."
Und draußen, auf dem Campus? Rennen sie mit ihren iPods und den selbst gedrehten Zigaretten vorbei, dem Wochenende entgegen. Die Mensa ist auch noch ziemlich voll. In der Bibliothek sind die Studierecken belegt, eine Studentin streitet auf dem Gang mit ihrem Freund: "Du Idiot". Ihre Referatsgruppe arbeitet weiter am Laptop. Ein Student sagt, dass ihn die Leute im Audimax nicht interessieren, "unfassbar, was die da labern". Ein anderer schüttelt den Kopf. Dann fängt es an zu regnen. Manche gehen jetzt doch ins Audimax. Drinnen ist es trocken.